Das Schloss der Zauberlehrlinge

"Ihr müsst aufpassen. In den Wäldern lauern böse Geister. Wenn ihr ihnen begegnet, wirken sie vielleicht zuerst nett. Doch sie wollen euch in die Irre führen.“ Lehrerin Kasia, schwarzer Umhang, bronzefarbene Kapuze, warnt ihre Schüler. Sie vermittelt den neun- bis 18-Jährigen Grundwissen. Allerdings solches in Sachen Zauberkunde. Denn die 20-Jährige mit den kurzen rotbraunen Haaren, die bereits den Titel Professorin trägt, unterrichtet an einer ungewöhnlichen Schule – an einer für Zauberlehrlinge. Die öffnet zweimal jährlich auf der polnischen Burg Czocha ihre Pforten. Hier, in der Nähe des Städtchens Leśna (Marklissa), gibt es für Mädchen und Jungen einen Sommer- und einen Winterkurs. Aus ganz Polen reisen sie dafür an.
Die 14-jährige Zosia und der zwölfjährige Patryk kommen aus Warschau. Für Zosia ist es bereits das vierte Mal, dass sie einen Teil der Ferien für die Zauberschule nutzt. Patryk sitzt zum dritten Mal im Kurs, schreibt eifrig die Namen böser Geister mit, und ist begeistert. „Es macht Spaß, ich lerne viele Leute kennen und ja, klar, ich komme im Sommer wieder.“ Zosia erzählt, dass sie nicht nur Fantasie-Wissen über Geister vermittelt bekommen, sondern auch Praktisches. „Zum Beispiel lernen wir viel über Kräuter und wofür man sie verwenden kann. Das kann ich auch zu Hause nutzen“, erzählt die Schülerin.
"Harry Potter" darf es nicht heißen
Tomasz Smaź, (50) Erfinder des ungewöhnlichen Schulprojekts und Geschäftsführer des Veranstalterunternehmens ECK, ergänzt, dass es unter anderem auch um Erste Hilfe gehe, ums Lernen von Gebärdensprache und um chemische Experimente, mit denen man daheim die Freunde überraschen könne. Neulinge erleben zudem eine nächtliche Führung durch die historische Anlage. „Mit schwarzer Magie hat das alles aber nichts zu tun. Anfangs gab es da Befürchtungen. Doch das machen wir nicht“, betont Tomasz Smaź. Alles sei einfach Spaß.
Letztlich ist die Zauberschule auf der Burg ein groß angelegtes Rollenspiel. Inspiriert wurde es von Romanfigur und Kinoheld Harry Potter, für den die britische Autorin Joanne K. Rowling ein ganzes Universum erschaffen hat. Burg Czocha mit ihren Türmen, Kämmerchen, Geheimgängen und Geheimnissen erinnert dabei an die Harry-Potter-Schule „Hogwarts“. Allerdings: Keine der Bezeichnungen aus Buch und Film taucht im Kurs von Tomasz Smaź auf. „Alles ist urheberrechtlich streng geschützt. Wir nutzen nichts davon.“
Für die Kinder und Jugendlichen wird das Erlebnis dadurch kein bisschen geschmälert. Das sieht Tomasz Smaź an den Anmeldungszahlen. Seit 2002 öffnet der frühere Sportlehrer die Zauberschule immer wochenweise. Es gibt die „Szkola Magii“ auf einem Schloss bei Danzig, auf einem im Glatzer Bergland und auf der Burg Czocha. Als er Ende September vergangenen Jahres die Termine für diesen Sommer veröffentlicht hatte, war der erste Kurs nach drei Stunden ausgebucht, der auf Burg Czocha mit 90 Plätzen nach zwei Tagen.
Ein wahrgewordener Traum
Nur für den Glatzer Raum gebe es noch wenige Restplätze. Im Winter sitzen 35 Kinder in den Klassenräumen. Einige haben schwarze Umhänge an. Spielen mit dem Zauberstab. An den Wänden hängen Gemälde mit den Konterfeis alter Ritter, die an die „lebendigen“ Bilder aus dem Harry-Potter-Universum erinnern. Gegen Mittag sind die meisten Schulkinder ein bisschen müde. Sie freuen sich aufs Essen im Erdgeschoss, in einem großen Saal an langen Tafeln werden sie sitzen. Nicht ganz stilecht – die Trinkbecher sind aus buntem Plastik. Aber egal.
Für die 18-jährige Kalina aus Oberschlesien ist all das ein wahrgewordener Traum. Sie liebt die Harry-Potter-Bücher. „Hier jetzt so etwas zu erleben, das ist wunderbar.“ Seit neun Jahren komme sie regelmäßig, hat derzeit die meiste Zauberschul-Erfahrung und trägt im Gegensatz zu den anderen nicht den schwarzen Baumwollumhang, sondern ein Kleid aus grünem Samt, das vorn zugeknöpft wird. Als Schülerin ist es ihr vorletztes Jahr. „Aber ich möchte künftig als Lehrerin weitermachen“, sagt sie. „Nicht ungewöhnlich“, erzählt Zauberschulleiter Daniel Bartusik.
„Viele haben bei uns Freunde gefunden, tolle Erlebnisse gehabt. Das soll weitergehen, darum werden sie Lehrer“, sagt der 45-Jährige, der früher beim Grenzschutz gewesen ist. Jetzt unterrichtet der Mann mit dem grau melierten Bart, mit langem wehenden Umhang und schwarzer Kappe die Nachwuchszauberer. Außerdem betreut er das Überlebenstraining bei einem anderen Ferienangebot des Unternehmens ECK in Racibórz, das die Zauberschule anbietet. Auch das orientiert sich an einem Buch, das allerdings eher in Polen bekannt ist.
Deutsche Version denkbar
Zum Nachspielen dieser Geschichte sind Abenteuerlustige auf die Burg Grodziec bei Zlotoryja (Goldberg) eingeladen. Ansonsten organisiere die Firma Ausflüge, Firmenveranstaltungen oder auch Überlebenstraining für Erwachsene. Rund 2.500 Zloty, um die 500 Euro, kosten zwei Wochen Zauberschule, Übernachtung und Vollverpflegung inklusive. Nicht jede Familie in Polen könne sich das leisten. Viele aber wollen, dass ihre Kinder in den Ferien mehr tun, als nur zu Hause sitzen, so Smaź. Sie investierten das Geld darum gern.
Die Zauberschule gibt es bislang nur auf Polnisch. Unter den Teilnehmern sind zwar unter anderem auch Kinder aus Kanada und Deutschland, aber sie haben polnische Wurzeln und sprechen die Sprache. Geschäftsführer Tomasz Smaź überlegt, auch ein Programm in deutsch-englischer Version anzubieten. „Vielleicht im Oktober, wenn in Deutschland Ferien sind. In Polen gibt es da keine, dann hätten wir Zeit dafür.“ Hier geht's zu Webseite der Zauberlehrlinge.