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Bergbau kehrt in die Region zurück

Samstag, 10.30 Uhr in Halsbrücke bei Freiberg: Ortstermin am achten Lichtloch des Rothschönberger Stollns. Hermann Beyer, Bürgermeister von Triebischtal, will hinab in den Stollen, um sich von Bergleuten den Verbruch durch die Flut erklären zu lassen.

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Von Claudia Parton

Samstag, 10.30 Uhr in Halsbrücke bei Freiberg: Ortstermin am achten Lichtloch des Rothschönberger Stollns. Hermann Beyer, Bürgermeister von Triebischtal, will hinab in den Stollen, um sich von Bergleuten den Verbruch durch die Flut erklären zu lassen. In seiner Gemeinde hält sich das Gerücht von einer Gefahr durch den Rothschönberger Stolln hartnäckig. „Einige peitschen das hoch“, sagt Beyer. Während der Flut war der 50 Kilometer lange Stollen an einer Stelle am Halsbrücker Spat verbrochen. Die Gesteinsmassen stecken jetzt „wie ein Pfropfen im Gartenschlauch“, erzählt Michael Schramm vom Oberbergamt in Freiberg. Dahinter staut sich das Wasser aus dem Altbergbau, dass eigentlich in die Triebisch abfließen soll. Die Einwohner von Triebischtal fürchten noch immer, dass der Wasserdruck den Pfropfen wegdrücken könnte und sich das Wasser dann als Flutwelle in den Fluss ergießt.

Bevor die Besucher in den 138 Meter tiefen Schacht einfahren können, werden sie dick verhüllt. Über die Wintersachen kommen grell-orangefarbene Gummihosen und -jacken. „Ganzkörperkondome“ scherzt Andrea Fischer, Staatssekretärin im sächsischen Wirtschaftsministerium, dass für den Stollen zuständig ist. Die Füße der Besucher stecken in Gummistiefeln, ihre Hände in Gummihandschuhen, auf den Kopf kommt ein Helm. Zum Schluss erkennt man die einzelnen Besucher bloß noch am Gesicht. „Im Schacht herrscht eine Luftfeuchtigkeit von 100 Prozent“, erklärt Schramm die Verkleidung. Schließlich können die Besucher über eine kleine Metallleiter in den Förderkübel steigen, der einem großen Weinfass aus Eisen ähnelt. Die Bergleute wissen jedoch nicht genau, ob sie über diesen Vergleich lachen oder empört sein sollen. Mit dem Fachjargon nehme man es hier sehr genau, klären die Männer auf. Der Anschläger gibt das Schachtzugsignal – zwei Schläge – und es geht hinab in die Finsternis.

Das Grundwasser tropft unter Tage wie Regen

Im Schacht spiegelt sich nur ein wenig Tageslicht und der Schein einer Grubenlampe am Gestein, das nass-glitschig glänzt. Für die 138 Meter braucht der Förderkübel weniger als fünf Minuten. Je tiefer der Kübel hinabgelassen wird, desto feuchter wird es. Im unteren Drittel tropft das Grundwasser wie Regen aus dem Gestein. Die Bergleute haben ihre Kapuzen über ihre Helme tief ins Gesicht gezogen. Das ganze Jahr über herrscht in dem Stollen eine Temperatur von zehn Grad Celsius.

Im Stollen selbst steht das Wasser derzeit 1,40 Meter hoch. Das sind gut 20 Zentimeter mehr als sonst und ist für den eingebrochenen Stollen keine große Gefahr, sagt Projektleiter Tobias Dressler. Hinter dem Verbruch steht das Wasser fünf Meter hoch. „Der Verschütt besteht aus grobem Gestein. Was an Wasser momentan zufließt, kann durch die Lücken wieder abfließen.“ Gefahr bestünde nur, wenn niemand den Stollen sanieren würde, und feiner Schlamm diese Lücken im Verschütt stopft. Dann stünden auch in Freiberg Teile des Besucherbergwerkes unter Wasser, so Dressler. „Einige Projekte der Stadt Freiberg würden wohl platzen.“

Gefahren durch Tagesbrüche

Die unmittelbaren Gefahren für die Menschen über Tage liegen woanders: An zahlreichen Stellen entstehen flutbedingt Tagesbrüche. Das Wasser, das für gewöhnlich durch den Rothschönberger Stollen in die Triebisch abfließt, sucht sich andere Wege durch das Gestein. „Die Bergleute haben früher Hohlräume einfach mit taubem Gestein oder Holz gefüllt“, sagt Schramm. Das Wasser spült diese Hohlräume aus, die Erde darüber bricht ein. Diese Brüche sehen eigentlich harmlos aus. Der Rasen sackt ein Stück ein. Schramm: „Darunter liegen aber Schächte, die mehr als hundert Meter tief sein können.“ Auch Straßen können dadurch einbrechen, schlimmstenfalls fallen Gebäude zusammen wie Kartenhäuser. Für gewöhnlich registriert der Freistaat als Verantwortlicher im Jahr 30 bis 50 solcher Tagesbrüche. „Seit August sind es schon 220, und es kommen täglich neue dazu.“

Eine Bergbaufirma aus Thüringen hat bereits die ersten Arbeiten erledigt, die für die bevorstehende Sanierung nötig sind. Alte Hölzer mussten aus dem Lichtloch geräumt werden, eine Fördermaschine wurde gestellt. „Wir brauchten auch eine Notseilfahrtswinde, damit wir bei Schäden die Bergleute hochholen können“, sagt Thomas Heinemann, Bauleiter der Schachtbau Nordhausen GmbH. Im Stollen selbst müssen die Mitarbeiter eine Belüftung einrichten. Durch den Verschütt klappt die natürliche Luftzirkulation nicht mehr, Sauerstoff fehlt. „Die Wetter unter Tage sind zu schlecht“, sagen die Bergleute. Mangels Sauerstoff mussten sie eine erste Befahrung des Stollens abbrechen.

Umfangreiche Arbeiten sind auch am Lichtloch selbst nötig. Das muss neu ausgebaut werden, damit die schwere Technik durchpasst. Die Vorbereitungen haben gut zwei Wochen länger gedauert als geplant. „Wir haben uns auch auf Aussagen von Schwarzbefahrern verlassen“, sagt Heinemann. Diese Schwarzbefahrer seilen sich in die Lichtlöcher ab. „Das ist verantwortungslos.“

Wenn die Vorarbeiten abgeschlossen sind, sollen zwei Ruderboote die Arbeiter und Experten der Bergbehörden durch den Stollen fahren. Sind die Schäden bekannt und die Verbruchstelle im Stollen durchbrochen, können die Bergleute den ganzen Stollen sanieren. Wie das genau passieren soll, wissen die Experten noch nicht. Da fehle der Überblick, so Michael Schramm. Die Arbeiten werden ausgeschrieben. „Das Interesse bei den Bergbauunternehmen ist groß.“ Die Arbeit sei sehr anspruchsvoll, normale Baufirmen könnten sie nicht ausführen.

Freistaat stellt 9 Millionen Euro bereit

Auch Klaus Hesse von Schachtbau Nordhausen freut sich über den Job. Seit 30 Jahren ist er Bergmann. „So ein Altbergwerk ist immer eine interessante Sache.“ Die Arbeiten dauern mindestens bis Ende 2003, schätzt Schramm. Drei bis vier Millionen Euro an Kosten würden zusammenkommen. Dazu muss der Freistaat Sachsen noch Geld für Sicherungsarbeiten an den Tagesbrüchen ausgeben. Die werden auf Hohlräume erkundet und schließlich mit Beton verfüllt. „Der Freistaat hat insgesamt neun Millionen Euro im nächsten Haushalt eingeplant“, sagt Wirtschaftsstaatssekretärin Andrea Fischer.

„Ganz leicht, ganz cool“ ist Hermann Beyer, Bürgermeister der Gemeinde Triebischtal in den Schacht gestiegen. Die Bergleute konnten ihn bei der Führung schnell beruhigen. Nur maximal 15 Prozent des Triebischhochwassers sei aus dem Rothschönberger Stolln gekommen. „Ich kann den Gemeinderäten und Einwohnern jetzt ganz anders rüberbringen, dass keine Gefahr besteht.“

Auch Jörg Kiehne, Bürgermeister von Halsbrücke, freut sich, dass jetzt wieder Berg-Leben in die einstige Erzabbauregion einzieht. Außer zwei Verarbeitungsbetrieben sei hier in Sachen Bergbau nichts mehr los. Als letztes hatte sich die Bergakademie Freiberg Anfang der siebziger Jahre zurückgezogen, die am achten Lichtloch ihre Studenten ausgebildet hatte. Seitdem zog das weiße Fachwerkhaus in der Vergangenheit lediglich ein paar Touristen oder eben die Schwarzbefahrer an. „Es ist interessant, dass Halsbrücke jetzt wieder zum Mittelpunkt wird. Wir leiden sonst sehr unter der Übermacht von Freiberg“, sagt Kiehne.

Nach den Erläuterungen der Experten geht es für die Besucher schließlich im Kübel wieder nach oben. Der Regen unter Tage lässt nach, das Licht wird allmählich heller. Und so mancher zuckt unwillkürlich zusammen, als der Wind über Tage wesentlich kälter über die Gesichter streift.