Von Hartmut Landgraf
Die Kletterer wollen nach draußen. Seit Wochen sitzen sie auf gepackten Rucksäcken, hadern mit dem Wetter und warten sehnsüchtig, dass die Frühlingssonne ihre Routen und Gipfel im Elbsandsteingebirge aus der Gefangenschaft von Eis und Schnee befreit. In einschlägigen Internetforen ist die Stimmung mittlerweile am Tiefpunkt. Die eingesperrten Kletterer nerven sich gegenseitig mit gefrusteten Kommentaren. Einer klagte kürzlich über „unerträgliche Dummschwätzerei“.
Spätestens am Sonntag ist das alles vorbei. Die aktuellen Wettervorhersagen lassen in der Sächsischen Schweiz einen Besucheransturm erwarten. Bei überwiegend Sonnenschein und Temperaturen bis 17 Grad kommen die Märzenbecher im Polenztal ans Licht, schmilzt auf Wanderwegen, die lange Zeit beschwerlich oder unpassierbar waren, das Eis – und trocknen die Klettergipfel, vor allem die Südwände. Am Sonntag sieht’s gut aus: Das Regenrisiko liegt nur bei fünf Prozent.
Doch der Schein trügt. Und damit entsteht aus Sicht der Bergrettung eine kreuzgefährliche Situation. Seit Ostern sind die beiden Rettungsstationen in Rathen und an der Ottomühle wieder in Betrieb, doch besonders an diesem Wochenende sind sie laut Bergwacht-Regionalchef Stefan Falkenau auf Einsätze gefasst. „Die Leute brennen darauf, endlich wieder zu klettern – wir können nur hoffen, dass sie die Lage richtig einschätzen“, sagt er.
Denn noch hat der Frühling den Winter längst nicht aus allen Klüften und Schluchten vertrieben. Besonders auf den Nordseiten und in den höheren Lagen des Elbsandsteingebirges hält er sich verschanzt. Ein Nationalparkranger warnte gestern: Auf dem oberen Affensteinweg liege noch Schnee, der Weg durch die Wilde Hölle sei stellenweise vereist, viele andere Wege durch Schmelzwasser schlammig und rutschig. In einigen Winkeln konnte man in der vergangenen Woche sogar noch eisklettern. „Zumindest steckt in den Felsen noch viel Wasser“, sagt Bergretter Stefan Falkenau. Wasser wirkt auf den porösen Sandstein wie ein Lösungsmittel, es macht ihn brüchig. Griffe und Tritte könnten ausbrechen. Bei Nässe ist Klettern in der Sächsischen Schweiz verboten. Wer es nicht lassen kann, der solle, sagt der Bergwachtchef, sein Glück lieber an Südseiten und luftigen, frei stehenden Felsen versuchen.
Besonders an den Tafelbergen im Gebiet der Steine – etwa am Pfaffenstein oder in den Bärensteinen – könnten am Sonntag schon einige Routen trocken sein. Für den Start ins Frühjahr zu empfehlen sind auch einige Wände im Brandgebiet. Die Gegend um Hohnstein ist für ihren besonders festen Sandstein bekannt. Ganz anders das Rathener Gebiet: Dort ist der Stein von Natur aus weich und brüchig. Im Raaber Kessel bei Rathen gab es kürzlich schon den ersten Bergunfall. „Rathen würde ich auf jeden Fall noch meiden“, sagt Stefan Falkenau. Entgegen landläufigen Meinungen sei auch das Bielatal für den Saisonstart nicht zu empfehlen. „Der Sandstein dort ist zwar eisenreich und fest. Aber wegen seines großen und dichten Baumbestands trocknet das Bielatal erst spät ab.“ Vor allem, sagt Falkenau, sollen es die Kletterer nach der langen Winterpause ruhig angehen lassen. Keinen Übermut. „Lieber mit einem leichten und bekannten Gipfel anfangen, und die Finger weg von den nassen Wegen.“ Der Bergretter hat auch ein paar Packtipps parat: Im Kletter-Rucksack sollten neben der üblichen Ausrüstung auch ein Mobiltelefon sowie ein Erste-Hilfe-Set mit Verbandszeug, Dreieckstuch und Rettungsdecke stecken – vor allem: ein Sturzhelm!