Von Alexander Kempf
Christian Friebe drückt seinen Finger in den Beton. Er ist noch feucht. Am Morgen sind im Betonwerk die letzten Aufträge gegossen worden. Nun wirkt der Werkleiter etwas verlassen und alleine in der großen Halle. Ja, räumt der 65-Jährige am Montag ein, heute endet eine Ära. Für ihn, die entlassenen Mitarbeiter und auch die Stadt selbst.
Schon in den Fünfzigern wird in Niesky Beton gegossen. In Spitzenzeiten beschäftigt der Volkseigene Betrieb 200 Menschen, schätzt Christian Friebe. Er selbst arbeitet seit 1973 auf dem Gelände. Hinter ihm liegt eine bewegte Geschichte. Firmennamen und Besitzverhältnisse wechseln mehrfach. Doch es geht immer irgendwie weiter. Nun ist Schluss. Die Neißekies Baustoffwerke GmbH gehen mit ihrem Werkleiter in den Ruhestand. Denn an dessen Zukunft hat der Besitzer auch die des Unternehmens geknüpft.
Die Firma gehört einem Unternehmer aus der Region. Er will sich ohnehin neu aufstellen, erklärt Christian Friebe. Das Betonwerk passt nicht mehr ins Portfolio. An Aufträgen hat es der Firma offensichtlich nicht gefehlt. Mit dem Fuß notiert Christian Friebe eine Zahl auf dem staubigen Hallenboden. 1 593 steht da. So viel Kubikmeter Beton haben sie im vergangenen Jahr in Bauelemente verwandelt. „Wir hätten auch in diesem Jahr mindestens diese Zahl kriegen können“, sagt er.
Aber der Werkleiter räumt auch ein, dass ein Investor viel Geld in die Hand nehmen müsste, um die Firma fortzuführen. Nicht nur die Tür zu der Anfang der Neunziger gebauten Halle rostet. Dahinter dient ein historischer Bauwagen als Rückzugsort. Das Büro ist in einem Container untergebracht. Modern ist anders. „Es hat sich keiner gefunden, der die Verantwortung übernehmen wollte“, sagt Christian Friebe. Würde er es tun, wenn er 40 Jahre jünger wäre? Der Nieskyer denkt kurz nach. „Möglicherweise ja“, sagt er. Nach der Wende hätten aber andere ihre Hände draufgehalten. Nun ist es zu spät für eine Karriere als Unternehmer.
Bis Montag hat die Neißekies Baustoffwerke GmbH 13 Mitarbeiter beschäftigt, neun davon in der Produktion. Sie gießen bis zuletzt Balkone, Decken und Treppen. Die Arbeitsmoral macht Christian Friebe stolz. „Wir waren eine Truppe. Wir waren eine Gemeinschaft.“ Es habe das Musketier-Prinzip gegolten. Einer für alle, alle für einen. Nun kann er einem der Arbeiter zum Abschied nur noch ein Paar Handschuhe zustecken. „Mehr kann ich nicht tun“, sagt Christian Friebe zu ihm. Man hört, dass ihm dieser Satz nicht leicht fällt. Die Mitarbeiter treten jetzt den schweren Gang zum Arbeitsamt an.
Während das Aus die Angestellten nicht überrascht, wundert sich mancher Nieskyer. „Es fuhr doch erst heute ein Auto raus“, sagt ein Bekannter von Christian Friebe, der zufällig am Montag vorbeischaut und so vom Produktionsstopp erfährt. Zehn Kubikmeter hat der Lastwagen heute geholt, erzählt ihm der Werkleiter. „Volles Rohr bis zum letzten Tag“, kommentiert Christian Friebe stolz. Am Fleiß sind sie nicht gescheitert.
Und die Arbeit geht weiter. Zumindest für den Werkleiter, der in den nächsten Wochen das Unternehmen abwickeln wird. Er will das Gelände samt Halle ordentlich übergeben. Denn im Besitz der Neißekies Baustoffwerke ist es längst nicht mehr. Die Betongießer sind nur noch Pächter. Das Grundstück gehört seit vergangenem Jahr der Harmsen Immobilien Niesky GmbH. Investor Arno Harmsen plant am Ende der Fichtestraße eine 24,5 Hektar große Photovoltaikanlage.
Insgesamt will die Harmsen Komtec GmbH aus dem niedersächsischen Wilsum am Stadtrand von Niesky in Zukunft zehn Megawatt Strom erzeugen und ins Netz einspeisen. Dafür soll eine Fläche von rund 18,5 Hektar mit Solarmodulen bestückt werden. Der veränderte Bebauungsplan liegt noch bis zum 7. Juli in der Nieskyer Stadtverwaltung im Zimmer 005 aus. Bis dato kann jeder Anregungen und Bedenken zu dem Vorhaben vorbringen.
Statt Beton fließt in der Fichtestraße vielleicht schon bald Strom. Dafür braucht es nicht einen festen Mitarbeiter vor Ort.