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Betrügergeständnis mit Halbwertszeit

Wie ein Gauner und früherer DDR-Polizist vor Gericht seinen früheren Komplizen belastet – und doch weiter seine Glaubwürdigkeit riskiert.

Von Alexander Schneider
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Der langjährige Betrüger Gerd E., hier mit seinem Verteidiger Michale Flintrop, ist dabei, sich in seinem aktuellen Prozess um Kopf und Kragen zu reden.
Der langjährige Betrüger Gerd E., hier mit seinem Verteidiger Michale Flintrop, ist dabei, sich in seinem aktuellen Prozess um Kopf und Kragen zu reden. © Alexander Schneider

Was hat Gerd E. vor? Der 53-jährige Betrüger muss sich seit Anfang Juli wegen zahlreicher Vorwürfe vor dem Landgericht Dresden verantworten. Im Oktober 2019 wurde er verhaftet, als eine Bande falscher Polizisten aufgeflogen war, der E. auch den einen oder anderen Gefallen getan haben soll. „Ich fuhr ein“, schimpfte E. zu Prozessauftakt  -  anderen ging es nicht so, auch wenn sie es seiner Meinung nach viel mehr verdient hätten. So undankbar ist die Welt gegenüber einem, der die Hälfte seines Lebens in Haft verbracht hat.

Gerd E. reagiert sichtlich sauer, wenn er daran denkt. Der Prozess begann damit, dass er minutenlang gar nichts sagte. Weder Namen noch Geburtstag. Das musste dann sein Verteidiger Michael Flintrop übernehmen, indem er erklärte: „Mein Mandant möchte noch nicht einmal bestätigen, dass er Gerd E. ist.“ So lösen Anwälte kleine Probleme, immerhin konnte der Staatsanwalt dann die Anklageschrift vortragen.

Angeklagter hat nach der Wende "die Seiten gewechselt"

Mit den großen Problemen ist es etwas schwieriger, was im Fall des Angeklagten E. auch an seiner hohen empirischen Kompetenz im Bereich Strafjustiz liegt. Der Angeklagte, der zu DDR-Zeiten Polizist war, hat nach der Wende „die Seiten gewechselt“, wie er selbst sagt. Seine Spezialität waren nun Betrügereien und Urkundenfälschungen.

Das geht auch aus der aktuellen Anklage hervor. Unter anderem soll E. ab Ende 2018 mit der wohl gestohlenen EC-Karte einer Frau deren Konto geplündert haben, indem er 1.000 Euro an einem Geldautomaten abhob und sich weitere 3.000 Euro der Geschädigten auf sein Konto überwies. In einem Autohaus auf der Dohnaer Straße habe er Leasing-Finanzierungen für zwei Autos mit gefälschten Einkommensnachweisen abgeschlossen. Die monatlichen Raten von jeweils mehr als 500 Euro blieb er schuldig.

Darüber hinaus soll er für andere Betrüger, die Senioren ausgenommen haben, indem sie sich als Polizisten ausgaben und ihnen Schauermärchen auftischten, ein Schriftstück gefälscht haben. Außerdem ist er mehrfach ohne Führerschein gefahren.

Wie war es denn nun?

Am Freitag, dem zweiten Verhandlungstag kommt es schon morgens zu einer Verfahrensabsprache. Danach stellt das Gericht dem Angeklagten eine Strafobergrenze von maximal drei Jahren und fünf Monaten in Aussicht, wenn er die meisten Vorwürfe umfassend einräumt. Die übrigen könnte das Gericht im Hinblick auf die Verurteilung fallen lassen.

Doch als es ans Gestehen geht, erzählt Gerd E. wieder Geschichten, die nicht mit den Ermittlungen in Einklang zu bringen sind. Er sei angerufen worden, der Anrufer habe ihn gebeten, für ihn 1.000 Euro abzuheben und ihm eine EC-Karte nebst Geheimnummer mitgegeben.

Erst nach dem Abheben am Kontoauszugsdrucker habe er bemerkt, dass die Karte gar nicht dem Anrufer gehörte. „Der ist doch Sozialhilfeempfänger, wie kommt der zu so viel Geld“, habe er sich gefragt. „Leider, leider“ sei die Karte auch noch eingezogen worden. „Da bin ich zurück, habe zu ihm ,Malheur, Malheur‘ gesagt“, so der Angeklagte. Der Auftraggeber  sei dann sauer gewesen, schließlich habe der Mann mit der Karte am nächsten Morgen nach Berlin fahren wollen.

Deal steht auf der Kippe

Betrüger sind oft gut darin, Geschichten zu erzählen. Noch besser jedoch sind Überwachungsbilder aus der Sparkassenfiliale. Die nämlich zeigen, dass E. erst am Auszugsdrucker war, dann das Geld abgehoben hat: „Das ist keine geständige Einlassung“, sagt der Vorsitzende Richter Birger Magnussen jetzt. „Sie sollen nichts Falsches sagen.“ Der Angeklagte bleibt erst dabei, dann sagt er: „Es ist doch wurscht“ und weicht weiter aus.

Der Richter wird deutlicher: „Wir kommen an den Punkt zu sagen, dass sich die Verständigung erledigt hat.“ Daraufhin E.: „Dann sag‘ ich jetzt gar nichts mehr!“  Verteidiger Flintrop: „Das ist keine böse Absicht!“  Nun erklärt Magnussen, wenn der Deal platzt, werde sich die Beweisaufnahme ausdehnen, mit allen Konsequenzen.

Kurz: Die Strafe für E. könnte ohne Geständnis und nach einer deutlich umfangreicheren Hauptverhandlung auch deutlich höher ausfallen. Nun räumt E. ein, das Geld abgehoben zu haben, aber bleibt dabei, die EC-Karte habe er von dem Anrufer erhalten.

So weit, so schlecht. Die übrigen Vorwürfe gesteht E. vermeintlich ein. Doch für das Gericht ist die Frage, ob es sich noch an die Verständigung gebunden fühlen kann, noch nicht beantwortet.

Gauner könnten sich im Knast kennengelernt haben

Doch wie kamen die beiden Männer zueinander? Gut möglich, dass sie sich im Vollzug kennengelernt haben. Freunde scheinen sie nicht mehr zu sein, denn heute 64-Jährige zählt zu jenen, die nach E.s Auffassung dringender als er selbst verhaftet hätten werden müssen. Er soll zu der Bande der „falschen Polizisten“ gehören. Tatsächlich hat der  64-Jährige ein schillerndes Leben geführt, war in den 90er-Jahren als Rotlicht- und Glücksspiel-König Dresdens bekannt, ehe auch er für viele Jahre in staatlicher Obhut verschwand. Oft wegen Betrugs- und Drogengeschichten. Zuletzt erhielt er 2016 wegen Schmuggels von Crystal dreieinhalb Jahre.

E., der nach eigenen Angaben seit seiner Zeit bei der Polizei Erwerbsunfähigkeitsrentner ist, soll nach seiner letzten Entlassung Mitte 2018 vorübergehend auch ganz in der Nähe des ehemaligen Rotlichtkönigs gewohnt haben, zuletzt in einem Übergangswohnheim in Klotzsche. Dort rückte die Polizei im Oktober 2019 zur Durchsuchung ein und stellte neben Laptop, Handy und elektronischen Datenträgern auch haufenweise Dokumente sicher - Kontoauszüge, Kreditkartenanträge mit teilweise gefälschten Personalien.

Der Prozess wird fortgesetzt.

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