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Bewährungsstrafe für Angriff auf Richterin

Beleidigung, üble Nachrede und Körperverletzung: Dafür wäre ein Neustädter fast ins Gefängnis gekommen. Er zeigte Reue.

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Von Ronny Zimmermann

Als die neunte Stunde im Marathon-Prozess am Pirnaer Amtsgericht begann, rückten Ulrich und Martina S. ganz eng zusammen. Das Ehepaar aus Neustadt hockte auf der Anklagebank, die Blicke der beiden wanderten unruhig durch den Gerichtssaal. Schon seit 30 Minuten warteten sie auf das Urteil. Doch bislang war von Richterin Simona Wiedmer nichts zu sehen. Sie hatte sich zurückgezogen – mit dicken Akten unter dem Arm, vielen Beweisen und unendlich langen Abschlussplädoyers der Prozessbeteiligten im Kopf. Die Uhr tickte, die Spannung wuchs.

Denn es war kein normaler Prozess, der jetzt auf dem Pirnaer Sonnenstein stattfand. Über acht Stunden tauschten Staatsanwalt, Nebenkläger und Verteidiger die Positionen aus. Alles drehte sich um das angeklagte Ehepaar: Auf der einen Seite saß er, Ulrich S., ein groß gewachsener Mann mit Pferdeschwanz, 37 Jahre alt und gelernter Informatikfachmann aus Neustadt. Rechts neben ihm seine Frau: Martina, 33, Informatikerin.

Beide waren wegen Beleidigung und Bedrohung verschiedener Ärzte und Justizpersonen angeklagt. Ulrich S. musste sich zudem wegen eines Angriffs auf die Chefin des Pirnaer Amtsgerichtes, Stefanie Vossen-Kempkens, vom 23. Oktober 2012 verantworten (die SZ berichtete). Er hatte sie geschlagen. Sie war nach dem Überfall drei Wochen lang arbeitsunfähig, erlitt Hämatome am Kopf, hatte ein Trauma.

Die Verhandlungsrunde am Donnerstag begann mit einem psychiatrischen Gutachten über Ulrich S. Darin hieß es, dass der Angeklagte eine ausreichende Normenkenntnis habe, er sehe seine Aufgabe darin, gegen Ungerechtigkeit vorzugehen. Dabei habe er zwar eine wahnhaft anmutende und stark verzerrte Wahrnehmung der Realität, aber keine krankhafte Psychose, so Gutachter Holger Kloß.

Ulrich S. hörte dem Vortrag gefasst zu, manchmal nickte er leicht mit dem Kopf, an anderer Stelle schaute er etwas verdutzt, so als fühle er sich falsch verstanden. Ulrich S. fühlt sich schnell ungerecht behandelt. Und genau das war seiner Meinung nach oft der Fall in seinem Leben.

Der Auslöser für seine Verbalattacken und den tätlichen Angriff auf die Richterin liegt vier Jahre zurück: Vom 16. Februar bis zum 8. April 2009 behandelte man ihn im psychiatrischen Krankenhaus in Arnsdorf. Ulrich S. war mit seiner dortigen Behandlung unzufrieden und sieht sie als Ursache für einen Blinddarm-Durchbruch. „Ich litt unter den schlimmsten Schmerzen meines Lebens“, sagte er vor Gericht. Schuld seien seiner Meinung nach die Medikamente gewesen, die ihm die Ärzte im psychiatrischen Krankenhaus in Arnsdorf verabreicht hatten. Die möglichen Nebenwirkungen habe er nicht gekannt. Eine Beschwerde auf legalem Rechtsweg wurde abgewiesen. Seitdem staute sich bei dem Angeklagten der Frust, seitdem wollte er „die Alphatiere entmachten“, wie er sagte.

Seine Frau Martina half ihm dabei. Das Ehepaar wähnte sich als Widerständler gegen die Mächtigen, die ihrer Ansicht nach ihr Amt und ihre Position missbrauchen. In der Folgezeit schickte er den zuständigen Ärzten immer wieder beleidigende Nachrichten und – als diese die Justiz einschalteten – auch den Vertretern der Gerichtsbarkeit. Darin ist von „Luschen“ und „Viehzeug“ zu lesen. Wobei das noch die harmloseren Zeilen sind. Als die Staatsanwaltschaft ihr Plädoyer hielt, kam es knüppeldick: Sie forderte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten – ohne Bewährung. Ulrich S. schaute fassungslos.

Lange Rede zum Abschluss

Als letzte Person im Gerichtssaal erhielt Ulrich S. das Wort: „Ich bin kein Kind, das zu wenig Aufmerksamkeit erfahren hat“, sagte er. „Aber ich habe ein Problem damit, wie in der Psychiatrie mit mir und anderen Menschen gegen deren Willen umgegangen wird.“ Im Saal war es still. Alle Augen fixierten den Angeklagten. „Es wird nur geguckt, welche Schublade gerade passt. Dann machen sie dich fertig“, fügte S. hinzu. Er sei ratlos gewesen, habe nicht gewusst, was er tun kann, da alle Beschwerden abgewiesen wurden. Also habe er versucht, seine vermeintlichen Peiniger einzuschüchtern: „Gewaltfrei gibt es in der Natur nicht.“ Die Anklagepunkte räumte er weitgehend ein. Am Ende sagte Ulrich S.: „Ich persönlich habe jetzt mental mit der Sache abgeschlossen, vor mir braucht sich keiner mehr bedroht zu fühlen.“

Richterin Simona Wiedmer zog das Geständnis von Ulrich S. als strafmildernd heran: Ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung, dazu 100 Stunden gemeinnützige Arbeit. Seine Ehefrau Martina wurde zu 800 Euro Geldstrafe verurteilt. „Wir bewegen uns auf der Grundlage des Gesetzes“, sagte die Richterin bei der Urteilsbegründung, „aber wir sehen auch den Menschen dahinter.“ Nun hofft sie, dass Ulrich S. nicht nur von Reue spricht, sondern auch danach handelt.