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Wie sieht die Bibliothek der Zukunft aus? 

Bücherei oder Freizeitpark? Der Dresdner Bibliothekschef Achim Bonte über neue Ideen für den Auftrag, die Menschheit schlauer zu machen. 

Von Karin Großmann
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Die Bibliothek im dänischen Aarhus gilt als prominentestes Beispiel für den Wandel der Bibliotheken zu „dritten Orten“ zwischen der Arbeitsstelle und dem Zuhause.
Die Bibliothek im dänischen Aarhus gilt als prominentestes Beispiel für den Wandel der Bibliotheken zu „dritten Orten“ zwischen der Arbeitsstelle und dem Zuhause. © Dokk1

Die Buchbranche steckt im Umbruch, und der Medienwandel trifft auch die Bibliotheken. Sie verzeichnen jährlich rund 120 Millionen Besucher und sind damit die am meisten genutzten Kultur- und Bildungseinrichtungen in Deutschland. Was muss sich ändern, damit es so bleibt? Darüber diskutieren derzeit 4.000 Teilnehmer und 300 internationale Gäste beim 7. Bibliothekskongress in Leipzig. Es ist das größte Fachtreffen europaweit. Mit dabei ist Achim Bonte, Generaldirektor der Sächsischen Staats-, Landes- und Universitätsbibliothek (Slub).

Bücher sollen nicht länger das Erkennungsmerkmal einer Bibliothek sein, sagt der Direktor des Neubaus im dänischen Aarhus. Es ist das prominenteste Beispiel für radikalen Wandel. Stimmen Sie Ihrem Kollegen zu, Herr Bonte?

Vielleicht muss man so zuspitzen, um mediale Aufmerksamkeit zu erreichen. Ich gebe dem Kollegen insofern recht, als es auch um neue Formen der Wissensvermittlung geht. Früher war das Wissen in Büchern hinterlegt, und die Bibliothek war der Ort, wo man die Bücher abholte. Heute gibt es viel mehr Formen der Aneignung. Es gibt deshalb auch andere Erwartungen an die Bibliothek.

Würden Sie so weit gehen wie Ihr Kollege, der einen Teil der Fläche freigibt für Nähkurs, Tonstudio oder Eventspiele?

Ob die Bibliothek zum Freizeitpark wird, muss jeder selbst entscheiden. Die Slub ist eine wissenschaftliche Bibliothek, und die wissenschaftliche Fachinformation wird unser Markenkern bleiben. Wir halten an dem jahrhundertealten Auftrag fest: die Menschheit klüger zu machen. Wir wollen Chancengerechtigkeit herstellen beim Zugang zu Bildung und Information. Das bleibt. Doch in Zeiten von Google, Facebook und Instagram müssen wir zugleich neue Wege gehen. Wir arbeiten jetzt an einer Strategie bis 2025.

Achim Bonte, Generaldirektor der Sächsischen Staats-, Landes- und Universitätsbibliothek (Slub)
Achim Bonte, Generaldirektor der Sächsischen Staats-, Landes- und Universitätsbibliothek (Slub) © Thomas Kretschel

Welche neuen Wege sollten das sein?

Die Slub hat zum Beispiel ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm entwickelt, bei dem Wissen im Gespräch vermittelt wird. Menschen werden von Konsumenten zu Beteiligten. Wir hatten zum Beispiel kürzlich den Dresdner Geschichtsmarkt im Haus. Da kommen Leute, die alles über sächsische Feuerwehren wissen oder über Dresdner Brunnen. Dieses Wissen teilen sie miteinander und mit uns. Wir veranstalten Workshops und sogenannte Barcamps. Dort treffen sich Wissenschaftler und diskutieren ohne vorher festgelegte Tagesordnung. Daraus entstehen Netzwerke, vielleicht Publikationen. Damit wird die Bibliothek zum sogenannten „dritten Ort“ zwischen der Arbeitsstelle und dem Zuhause.

Es ist einer der wenigen öffentlichen Orte, wo sich auch Menschen treffen, die kein Geld ausgeben können für einen Kaffee.

Das ist richtig. Bei uns gibt es Bücher umsonst, mal abgesehen von Verzugsgebühren, und wir vermarkten nicht die Daten unserer Kunden. Das unterscheidet uns von sozialen Medien und Plattformen. Wir bemühen uns, Menschen jeden Alters, jeden Einkommens und jeder Herkunft zusammenzuführen.

Müsste eine Bibliothek als Kommunikationsort nicht ganz anders gebaut werden als bisher üblich?

Unbedingt. Wir haben bei uns im Haus den Eingangsbereich zu Gruppenarbeitsplätzen umgestaltet und bauen die Servicetheken zurück. Wir wollen mehr Agilität und Flexibilität. Es ist nicht mehr zeitgemäß, dass ein Mensch hinter einem Schalter sitzt und der andere steht als Bittsteller davor. Darüber hat schon der Feuilletonist Kurt Tucholsky gespottet.

Die Galerie zeigt außergewöhnliche Beispiele für Bibliotheken:

Die Livraria Lello ist eine Buchhandlung in der portugiesischen Stadt Porto. Sie zählt zu den schönsten Buchläden Europas und der Welt.
Die Livraria Lello ist eine Buchhandlung in der portugiesischen Stadt Porto. Sie zählt zu den schönsten Buchläden Europas und der Welt. © imago/zuma press
 Stadtbibliothek am Mailänder Platz im Europaviertel Stuttgart. Geplant wurde sie vom koreanischen Architekt Eun Young Yi.
 Stadtbibliothek am Mailänder Platz im Europaviertel Stuttgart. Geplant wurde sie vom koreanischen Architekt Eun Young Yi. © imago/Arnulf Hettrich
Die Fahrbibliothek der Städtischen Blibliotheken Dresden.
Die Fahrbibliothek der Städtischen Blibliotheken Dresden. © imago stock&people
Eine Bibliothek in Heifei, China.
Eine Bibliothek in Heifei, China. © imago/Xinhua

Gleicht die Bibliothek als „dritter Ort“ einen Mangel aus, den die Stadtplanung verursacht, den Mangel an freien, öffentlichen Räumen?

So weit würde ich nicht gehen. Wir sind ja selbst Teil der Stadt- und Gesellschaftsplanung. Wir haben alle miteinander in den letzten Jahren Fehler gemacht und die Infrastruktur gerade auf dem Land viel zu sehr ausgedünnt. Wenn Menschen in den nächsten Supermarkt fahren müssen, weil sie mal mit jemandem reden wollen, ist das erschütternd. Wir haben in Sachsen rund 400 Bibliotheken, die Hälfte davon ist im Deutschen Bibliotheksverband organisiert. Das ist ein Schatz, den wir besser nutzen sollten. Diese Einrichtungen könnten wie bodenstabilisierende Pflanzen wirken.

Die Bibliotheken stoßen jetzt schon ständig an finanzielle und personelle Grenzen. Wie sollen sie zusätzliche Aufgaben lösen?

Durch bessere Zusammenarbeit. Warum sollte das, was bei Strom, Abwasser oder Müllabfuhr funktioniert, nicht auch bei kulturellen Einrichtungen möglich sein? Auch Bibliotheken könnten sich zu kommunalen Zweckverbänden zusammenschließen. Dafür gibt es bereits ein schönes Beispiel in der Verbundbibliothek Oberlausitz, in der Einrichtungen aus Zittau, Löbau, Reichenbach und eine Fahrbibliothek wunderbar zusammenarbeiten.

Widerspricht das nicht den Prinzipien der kommunalen Selbstverwaltung?

In der globalen Welt kommt man mit Gemeindegrenzen nicht weit. Die Kulturraumförderung hat ja schon starke Signale für mehr Gemeinsamkeit gesetzt. Die Bereitschaft, über den eigenen Kirchturm hinauszudenken, ist entscheidender als Geld. Wir brauchen den Mut, Strukturen zu ändern. Aber es ist bei uns wie in jeder Branche. Man hängt an dem, was sich bisher bewährt hat.

Nordrhein-Westfalen hat ein Förderprogramm für Bibliotheken als „dritte Orte“ initiiert. Wie weit ist Sachsen?

Erkenntnismäßig sind wir genauso weit. Nur die praktische Umsetzung fehlt. Das beginnt bei der Landesfachstelle, die sich um kleine und mittlere Bibliotheken kümmert. Sie sitzt in der Landesdirektion Chemnitz als eine Behördeneinheit unter anderen. Das ist nicht ideal.

Der große Lesesaal in der Slub
Der große Lesesaal in der Slub © dpa/Monika Skolimowska

Wollen Sie die Fachstelle nach Dresden in die Slub holen?

Das kann ich mir prinzipiell vorstellen. Wir könnten das, was wir für unseren Sprengel tun, auch für kommunale Bibliotheken leisten, könnten bei digitalen Angeboten und medienpädagogischer Arbeit helfen, bei der Öffentlichkeitsarbeit beraten. Die kleineren Einrichtungen könnten vom Wissen und von den wesentlich größeren Möglichkeiten unseres Hauses enorm profitieren.

Es gab jahrelang das Bemühen, in Sachsen ein Bibliotheksgesetz zu installieren. Geben Sie dem Gesetz noch eine Chance?

Ich will nicht so gern unter Naturschutz gestellt werden. Ich will, dass Menschen Bibliotheken aus eigenem Interesse erhalten. Formelhafte Bekenntnisse nützen sowieso nichts. In einem solchen Gesetz müsste etwa stehen, dass Bibliotheken sonntags öffnen dürfen.

Warum dürfen sie das jetzt nicht?

Laut Arbeitszeitgesetz dürfen sonntags Waschanlagen und Freizeitparks öffnen, aber kommunale Bibliotheken nicht. Ich bin sehr für Sonntagsruhe. Aber gerade Bibliotheken sind Orte, an denen man zu sich kommt und sich mit Themen beschäftigen kann, für die unter der Woche keine Zeit ist.

Das Gespräch führte Karin Großmann.