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„Biegsam sein heißt nicht, sich verbiegen“

Der Leipziger Autor Ralph Oehme über die Lausitz und sein Stück, das am Freitag in Bautzen uraufgeführt wird.

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© Theater/Miroslaw Nowotny

Von Silvia Stengel

Bautzen. Vom Leben in der Lausitz über mehrere Generationen erzählt ein Bühnenwerk des Leipziger Autors Ralph Oehme, das an diesem Freitag in Bautzen uraufgeführt wird. Der 63-Jährige hat damit einen Stückewettbewerb gewonnen, den die Theater von Bautzen, Cottbus und Senftenberg gemeinsam ausgeschrieben haben. Sein Werk heißt „Lausitzer Quartiere oder Der Russe im Keller“ und reicht von der Zeit um 1815 bis nach der Wende. Der Autor hat bisher acht Stücke für Bautzen geschrieben, darunter „Johannes Karasek, der Schrecken der Oberlausitz“ und „Schwarze Pest und Gelbes Elend“. Nun geht es um eine Weberfamilie, die Kohle und eine freie Lausitz. Was er sich dabei gedacht hat, sagt der Leipziger im Interview.

Ralph Oehme aus Leipzig hat bereits acht Stücke für das Bautzener Theater geschrieben.
Ralph Oehme aus Leipzig hat bereits acht Stücke für das Bautzener Theater geschrieben. © PR

Herr Oehme, das Stück dreht sich um eine Weberfamilie. Ist dieses Handwerk für Sie das typischste in der Lausitz?

Ich hätte genauso gut die Kohle thematisieren können. Aber ich wollte 1813 beginnen und den Aufstieg und Untergang einer Industrie erzählen. Die Weberei umfasst ja meistens die ganze Familie und schien mir ein geeigneteres Sujet zu sein als die Kohle.

Mit dem Wassermann haben Sie auch noch eine Lausitzer Sagenfigur drin.

Wenn das Thema die Lausitz ist, dann muss der Sagenschatz eine Rolle spielen. Das ist eine Traditionslinie bei mir. Der Wassermann zieht sich durch meine Stücke. Zudem entsteht dadurch eine Spannung zu den realistischen Spielszenen.

Märchenhaft wird es außerdem, wenn sich das junge Mädchen aus der Weberfamilie einen Adeligen mit einem weißen Ross wünscht.

Zu dieser Zeit ist das ja für ein Mädchen ein ganz legitimer Wunsch. Es ist Aschenputtel, eine kleine Spinnerin im handwerklichen Sinne, die sich wünscht, was sich damals vielleicht jede wünschte, einen Ritter. Und dann knallt der Kerl tatsächlich durch die Tür und das Märchen wird „wahr“ .

Und das ist ein Russe. Wie sind Sie denn auf den gekommen?

Ich wollte nicht im Regionalen, Folkloristischen hängen bleiben. Da musste noch die Welt rein.

Also typisch Osten?

Nein. Es könnte auch ein Amerikaner sein. Das hat mit dem Osten wenig zu tun. Es ist eher das Fremde gemeint.

Sie halten sich nicht lange bei historischen Schilderungen auf. Damit es nicht zu trocken wird?

Ja. Ich bin kein Geschichtslehrer. Ich versuche, historische Vorgänge als Scharniere einigermaßen sinnlich zu machen und manchmal gegen den Strich zu bürsten. Dennoch muss es auch für jemanden, der keine detaillierten Geschichtskenntnisse hat, nachvollziehbar sein.

Es geht auch um Bestrebungen für eine freie sorbische Republik und eine autonome Lausitz. Gefallen Ihnen solche Gedanken?

Ob es mir gefällt, ist unerheblich. Es ist eine historische Tatsache, dass es mehrfach solche Bestrebungen gegeben hat. Ich habe es nicht gewertet.

Bei der Kohle thematisieren Sie einerseits die abgebaggerten Dörfer, andererseits die damit verbundenen Jobs.

Das musste natürlich rein, als Wendethema, das war ganz klar.

Sie schildern auch die Schwierigkeiten nach der Wende. Der Ausblick ist schwer zu deuten. Ist der optimistisch?

Eine Lausitzer Tuchfabrik erobert den russischen Markt. Das ist nur ein Wunsch, ein Traumbild. Aber ich wollte nicht unbedingt pessimistisch sein.

Sie haben noch ein Nachspiel geschrieben, in dem es darum geht, eine autonome Lausitzbank zu gründen. Wie ist das gemeint?

Ich weiß noch nicht, ob es auf die Bühne kommt. Das Stück ist nach dem vierten Akt eigentlich zu Ende. Das Nachspiel ist ein Spiegel unserer gesellschaftlichen und politischen Agonie. Ob man nun Pegida nimmt, die Ur-Linken, die Ur-Grünen oder Attack, jeder könnte sich ein Kuchenstück herausschneiden, aber es bringt uns nicht weiter. Es ist eine Verquirlung politischer und gesellschaftlicher Visionen. Ich bin sehr neugierig, welche Lösung Lutz Hillmann finden wird. Das ist schon der größte Stein, den ich ihm hingeworfen habe, an dem er zu beißen hat.

Der Bautzener Theaterchef Lutz Hillmann führt Regie. Sie sind selber Regisseur. Verfolgen Sie die Proben?

Natürlich nicht. Man muss dem Regisseur vertrauen. Wir haben eine 25-jährige gemeinsame Arbeitserfahrung. Er hat nie gegen meine Intention inszeniert. Und es gab produktive Vorgespräche. Ein Theaterstück ist ein kreatives Angebot, dessen Inszenierung eine neue, eigene Kunstleistung – das ist mein Verständnis von Theater.

Sind Sie beleidigt, wenn der Regisseur etwas an Ihrem Text kürzt oder ändert?

Beleidigt bin ich nur, wenn ich im Programmheft oder auf dem Plakat nicht erwähnt werde. Wir haben schon in den Vorgesprächen viel gekürzt. Da hat Lutz Hillmann gefragt: Willst Du die Leute ärgern? Soll das drei Stunden dauern?

Wie lang ist das Stück jetzt?

Jetzt sind es mit Pause ungefähr zwei Stunden. Ich kann es auch nicht leiden, wenn etwas ewig dauert. Ich will das Publikum nicht quälen.

Dann wurde arg gekürzt.

Ja. Es ist ein Brief von dem Russen drin, der ursprünglich über fünf Seiten lang war. Lutz Hillmann sagte: Da schlafen dem Zuschauer die Füße ein. Ich musste klein bei geben und kürzen. Das finde ich schön. Das ist fair und ein gutes Entgegenkommen, genauso, wenn es darum geht, verständliche und attraktive Sätze herauszubringen.

„Biegsam sein heißt nicht, sich verbiegen“ ist ein schöner Satz. Reime sind auch drin. Lieben Sie die?

Na ja. In meinen Stücken wird immer ein bisschen gereimt. Wenn ich einen Reim kreativ anwende und es darauf ankommen lasse, dass sich Welt nicht nur auf Geld reimt, sondern auf Feld oder bellt, entstehen ganz neue Zusammenhänge, auf die ich in einem Prosadialog gar nicht so gekommen wäre. Für die Schauspieler ist es auch gut, weil sie sich Reime besser merken können. Und es ist ein anderer Anspruch an Hörgewohnheiten, ein Signal – hier kommt etwas anderes.

Das Stück wird später noch in Senftenberg und Cottbus gezeigt. Hatten Sie das beim Schreiben mit im Blick?

Nicht direkt. In Cottbus war ja auch die Textilindustrie angesiedelt, in Senftenberg spielt die Kohle eine Rolle.

Ihr Preis beim Stückwettbewerb war ein zehnmonatiges Stipendium von insgesamt 10000 Euro. Hat die Zeit gereicht?

Ja, die Zeit war völlig angemessen.

Das ist Ihr neuntes Stück für Bautzen. Ist schon das nächste geplant?

Für Bautzen speziell nicht. Ich habe ja kein Autoren-Abo im Bautzener Theater. Aber, nach nunmehr neun Stücken, fühle ich mich schon als Hausautor. Übrigens: Wer es nochmals lesen möchte, hat zur Premiere die Gelegenheit, das Stück als Buch zu einem Dumpingpreis zu kaufen. Und ich bin bereit, alle gekauften Exemplare zu signieren.