Aus diesem Fenster hat Kaiser Napoleon mit dem Fernrohr die Schlacht bei Bautzen beobachtet – so erzählen es Stadtführer den Touristen auf der Reichenstraße seit Jahrzehnten. Nur leider ist das Fenster im Giebel der reich verzierten Nr. 5 seit Jahren unter dem Putz verschwunden, die Besucher müssen also ihre Fantasie bemühen.
Das könnte sich bald ändern: Im Mai kommt mit Prinz Charles Napoleon ein Nachfahre des Feldherrn in die Stadt (siehe Kasten). Dabei soll es auch darum gehen, ob Bautzen in die Riege der „Europäischen Napoleonstädte“ aufgenommen werden kann – um damit um Geschichts-Touristen zu werben.
Zweiter Entwurf nötig
„Doch die sehen ja an der Reichenstraße gar nichts“, sagt Bernd Engelmann vom Verein „Napoleonzeit 1813“. Sein Vorschlag: Der Historienmaler Michael Franke soll den General samt Fenster auf die Fassade malen. Von diesem Vorhaben war der Ebersbacher Künstler begeistert und hat auch gleich einen Entwurf angefertigt. Der Haken dabei: Wie sich jetzt nach einer Besichtigung des Dachbodens herausstellte, war das Fenster nicht rechteckig, sondern oval. „Ich bin schon dabei, einen neuen Entwurf zu gestalten“, sagt Michael Franke. Denn der Zeitplan ist eng: Im Idealfall möchte er das Bild im Mai im Beisein des Napoleon-Nachfahren mit Acrylfarben an die Hauswand malen. Doch vorher will noch der Denkmalschutz den Entwurf begutachten. Und hier lauert schon die nächste Hürde: „Es ist strittig, ob Kaiser Napoleon tatsächlich je an der Reichenstraße aus dem Fenster geschaut hat“, sagt Klaus Wenzel, Leiter des Kreis-Bauamts.
Grundsätzlich würde man dem Projekt aufgeschlossen gegenüberstehen, allerdings wäre die historische Begebenheit dem Amt erst glaubwürdig nachzuweisen. Aus demselben Grund ist auch die Bautzener Stadtverwaltung bei dem Thema noch zurückhaltend. Der Eigentümer des Hauses, in dem unter anderem die Parfümerie Thiemann ein Geschäft hat, hat grundsätzlich nichts dagegen, sagt Hausverwalterin Ursula Zobel. „Er wartet darauf, ob der Denkmalschutz dem Fensterbild zustimmt.“
Streit unter Vereinen
Unter den Geschichtsfreunden der Region ist die Meinung gespalten, ob Napoleon tatsächlich von der Reichenstraße aus Richtung Wurschen gespäht hat. Während Bernd Engelmann vom Verein „Napoleonzeit1813“ sich der Sache ganz sicher ist und schon eine Hebebühne für das zweite Mai-Wochenende organisiert, sind die Mitglieder des konkurrierenden Wurschener Vereins „Napoleonstraße 1813“ erheblich skeptischer. „Ich bezweifle, dass Napoleon dort auf dem Dachboden stand“, sagt Schatzmeister Gerd Schneider. Der Feldherr habe schließlich stets seine Garde und Marschälle um sich haben wollen – belegt seien hier nur Standorte auf den Kreckwitzer Höhen und dem Monarchenhügel bei Jenkwitz.
Beide Vereine sind sich einig, dass es von Vorteil für Bautzen wäre, wenn die Stadt in den Verbund der Napoleonstädte aufgenommen würde. So regte es Dr. Uwe Koch, der Vorsitzende der Mättig-Stiftung, an. „Die Stiftung will Bildung und Kultur in der Stadt fördern – da gehört das Thema Napoleon dazu.“ Zumal die Stadt so verstärkt von Kulturtouristen profitieren würde. Bernd Engelmann lässt nun nach historischen Belegen für den Blick von der Reichenstraße forschen. „Die Besucher sollen doch später etwas zu sehen haben – und nicht auf die nackte Fassade schauen.“