Von Jörg Stock
In Blutspuren kann man lesen, wie in einem Buch, sagen die Kriminaltechniker. Die Größe der Flecken verrät die Fallhöhe, die Länge und Form von Spritzern die Richtung, die Geschwindigkeit, eventuell die Bewegung des Körpers. Als Pirnaer Kriminalpolizisten am 18. Juli 2004 die kleine Wohnung im 4. Stock eines Heidenauer Plattenbaus betreten, finden sie dort – um im Bild zu bleiben – eine Bibliothek des Schreckens. Das Blut ist überall. Der Staatsanwalt wird diesen Ort später mit einem Schlachthaus vergleichen.


Der 18. Juli 2004 ist ein Sonntag. Kurz vor 19 Uhr erhält der Diensthabende der Polizeidirektion Pirna einen wirren Notruf. Ein Mann meldet, seine Freundin sei tot, sie habe es so gewollt, er wisse nicht, was er nun tun solle, jemand müsse kommen. „Das klang, als ob uns einer veralbern wollte“, sagt Kriminalhauptkommissar Ralf Hubrich. Dennoch schickt der Diensthabende einen Streifenwagen in die Käthe-Kollwitz-Straße nach Heidenau.
Die Polizisten finden den Anrufer. Es ist der arbeitslose Frank K., 27, der bald als „Kannibale von Heidenau“ bekannt sein wird. Am Boden liegt seine Freundin, die 21-jährige Peggy L., tot. Ihrem Leichnam fehlt die linke Brust. K. hat sie abgeschnitten und in einen Kochtopf gelegt. Peggy habe das so gewollt, habe sogar verlangt, dass er die Brust vor ihren Augen isst, sagt K. Er wird sofort verhaftet und in einer Zelle des Pirnaer Polizeireviers verstaut.
Am Tatort treffen Kriminaltechniker, Gerichtsmediziner und die Staatsanwaltschaft ein. Die Brutalität des Verbrechens geht selbst den routinierten Ermittlern an die Nieren. Hauptkommissar Hubrich erinnert sich daran, wie man Peggy L.s Mutterpass fand. Sie war im vierten Monat schwanger. An ihrem schlimm zugerichteten Körper sah man es kaum, sagt er. Als Peggys Herz stehenblieb, musste auch ihr Kind sterben. „Es war wirklich hart“, sagt Hubrich über diesen Abend.
Die Kriminalisten halten K.s Behauptung, Peggy habe sterben wollen, von vornherein für Unfug. Doch müssen sie nun beweisen, dass es Mord war. Alle Spuren werden akribisch gesichert. Dazu gehört auch jede einzelne Blutspur, die vermessen und fotografiert wird. Viele Spuren hatte K. schon abgewischt. Mit Luminol, einer speziellen Chemikalie, machen die Kriminaltechniker sie wieder sichtbar. Die Lösung bewirkt, dass auch geringste Blutreste bläulich schimmern, sobald man den Raum abdunkelt und mit Schwarzlicht bestrahlt. „Da hat einfach alles geleuchtet“, sagt der damals zuständige Kriminaltechniker.
Die Beamten ermitteln auch im Umfeld, befragen Nachbarn und Bekannte. Niemand hat bei Peggy L. Todessehnsucht bemerkt. Ganz im Gegenteil. Sie war ein lebenslustiges Mädchen und freute sich auf ihr Kind. Was war K.s Motiv? Die Hinweise verdichten sich, dass der Mord mit sexuellen Handlungen zu tun hat. Im Bad finden die Ermittler ein blutiges Aktfoto von Peggy. Darauf hat jemand Markierungen gezeichnet. Es sieht aus wie ein Plan davon, welche Körperteile noch abgetrennt werden sollen. Auf dem Bild klebt Sperma.
Frank K., so stellt sich heraus, ist kein unbeschriebenes Blatt. Schon zweimal hat er Menschen schwer verletzt. Nur nachweisen konnte man ihm das nicht. 1999 stach K. seinem Mitbewohner Martin R. mit einer Schere brutal in den Hals. Das Verfahren wurde eingestellt, vor allem, weil R. nicht gegen K. aussagen wollte. 2002 schlitzte Frank K. seiner damaligen Freundin Julia K. mit einem Küchenmesser den Hals auf. Wieder deckte das Opfer den Täter, sprach von einem Unfall. Das ärztlich-forensische Gutachten kam zu dem Schluss, „dass die Selbstbeibringung der Verletzung am ehesten wahrscheinlich ist.“
In beiden Fällen ließ K. in letzter Sekunde von seinem Mordplan ab, rief sogar selber den Notarzt. Bei Peggy L. jedoch brannten ihm alle Sicherungen durch. Am 30. September 2004 klagt die Staatsanwaltschaft Frank K. wegen Mordes und Schwangerschaftsabbruchs an. Sie ist überzeugt davon, dass er Peggy im Bad der Wohnung ohne erkennbaren Grund mit mindestens 19 Messerstichen in die linke Brustseite, unter anderem ins Herz, getötet hat. Auch die früheren Attacken auf Martin R. und Julia K. werden Frank K. nun angelastet.
Wer ist dieser Frank K.? Im Prozess erzählt er kaum von sich, gibt sich überhaupt sehr verschlossen. K. stammt aus Heidenau. Er wächst ohne leibliche Mutter auf, hat dennoch keine schlechte Kindheit. In der Schule bekommt er Konzentrationsschwierigkeiten, muss in eine Fördereinrichtung. Wegen seiner Brille wird er gehänselt. Die Maurerlehre bricht er ab, hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Er macht ein Praktikum im Altenheim, wo er als ruhig und freundlich in Erinnerung bleibt. Seine dunkle Seite zeigt er nur wenigen. Bei diesen Gesprächen geht es dann um das Abtrennen von Körperteilen und um menschliche Organe auf Tellern.
Ist Frank K. krank? Zumindest nicht gemütskrank, nicht schwachsinnig. Der Gerichtspsychiater Stephan Sutarski stellt bei K. eine schwere seelische Abartigkeit und erhebliche emotionale Defizite fest. Frank K. kann sich kaum in die Gefühlswelt anderer hineinversetzen, kann kaum Mitleid empfinden. Er selbst will Macht. In der Zweisamkeit mit Peggy L., so sagt Sutarski, bekommt er diese Macht. Weil sich Peggy von ihm manipulieren lässt, fühlt sich K. erhöht. K.s Machtanspruch gilt auch für den Sex. Psychiater Sutarski glaubt, dass K. durchaus zum normalen Geschlechtsverkehr fähig wäre, und dass die Perversion nicht zwanghaft ist. „Aber sie hat für ihn die besondere Qualität ausgemacht.“
Sutarskis Gutachten bescheinigt K., vermindert schuldfähig zu sein. Am 2. März 2005 wird er zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Am selben Tag ergeht die Order, ihn in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen. Bis heute sitzt er in Arnsdorf unter Verschluss. Ob er jemals wieder frei kommt, ist offen.