Dresdner Forscher: Viren-Schutz durch Stammzellen

Dresden. Die medizinische Sensation steckt in den Knochen. Blutstammzellen können sich an Vergangenes erinnern. Sie führen eine Art Protokoll über ansteckende Begegnungen. Also, immer dann, wenn Viren oder Bakterien in den Körper einfallen, dann merken sich diese Blutstammzellen den Vorgang. Mit einem ganz wichtigen Effekt für unsere Gesundheit: Durch dieses biologische Gedächtnis können die Blutstammzellen bei neuen Infektionen eine schnelle Immunantwort geben. Der Körper wird weniger krank oder eben überhaupt nicht.
Ein deutsch-französisches Forscherteam hat unter der Leitung des Dresdner Humboldt-Professor Michael Sieweke die überraschende Eigenschaft der Blutstammzellen aufgedeckt: Sie sorgen nicht nur für die kontinuierliche Erneuerung der Blutzellen und sind Teil unserer Immunabwehr. Diese Erkenntnis dürfte zu neuen Wegen führen, ein schwaches Immunsystem zu stärken oder ein überreagierendes zu bremsen. Sie könnten künftige Impfstrategien maßgeblich beeinflussen.
Die Studie, die federführend am Zentrum für Regenerative Therapien der TU Dresden (CRTD) und dem Zentrum für Immunologie der Universität Marseille Luminy durchgeführt wurde, wird im Laufe des Freitags im renommierten Wisssenschaftsjournal Cell Stem Cell publiziert.
Diese Zellen haben ein Gedächtnis
Die Blutstammzellen sind im Knochenmark eingebettet. Ihre Aufgabe ist es vor allem, den Vorrat an Blutzellen zu erneuern. Dazu zählen auch die Zellen des Immunsystems, die für die Bekämpfung von Infektionen und anderen Krankheiten entscheidend sind.
Genetische Markierungen werden dazu auf der DNA der Stammzellen abgelegt, sagt Michael Sieweke. Das geschehe exakt um jene Gene herum, die für einen Immunantwort wichtig sind und damit die Voraussetzung für körpereigenen Bekämpfung die nahende Erkrankung. "Ähnlich wie Lesezeichen sorgen die Markierungen auf der DNA dafür, dass diese Gene leicht zu finden sind und im Falle einer zweiten Infektion durch einen ähnlichen Erreger schnell für eine Immunreaktion aktiviert werden können“, sagt Sieweke.
Bis vor zehn Jahren waren Wissenschaftler allgemein der Auffassung, dass es sich bei Blutstammzellen um unspezialisierte Zellen handelt, die blind für externe Signale wie zum Beispiel Infektionen sind. Im Labor von Michael Sieweke wurde diese Annahme nun widerlegt. Blutstammzellen reagieren auf externe Faktoren und produzieren bei Bedarf ganz spezifische Immunzellen zur Bekämpfung einer Infektion.
Grundprinzip von Impfstoffen
Dass das Immunsystem über ein Gedächtnis verfügt, das es ihm erlaubt, besser auf zurückkehrende Infektionserreger zu reagieren, war bekannt. Die vorliegende Studie belegt nun, dass Blutstammzellen eine zentrale Rolle dabei spielen. Sie könnten damit auch eine Schlüsselrolle dabei spielen, damit zum Beispiel eine Corona-Infektion nicht noch ein zweites oder drittes Mal auftritt.
„Die Fähigkeit unseres Immunsystems, frühere Infektionen zu verfolgen und beim zweiten Auftreten effizienter zu reagieren, ist das Grundprinzip von Impfstoffen", erklärt Michael Sieweke. Mit unserem neuen Verständnis, wie Blutstammzellen Informationen der Immunantwort speichern, ergeben sich neue Immunisierungsstrategien, um den Schutz vor Infektionserregern zu verstärken. Ganz grundsätzlich sollten unsere Erkenntnisse neue Wege aufzeigen, das Immunsystem zu stärken, wenn es zu schwach ist, oder zu bremsen, wenn es überreagiert."
Die Forschungsgruppe von Prof. Michael Sieweke arbeitet an der Schnittstelle von Immunologie und Stammzellforschung. 2018 erhielt Michael Sieweke den höchstdotierten Forschungspreis Deutschlands: die Alexander von Humboldt-Professur, die internationale Spitzenforscher an deutsche Universitäten holt. Seither ist er neben seiner Funktion als wissenschaftlicher Direktor am Zentrum für Immunologie der Universität Marseille Luminy auch als stellvertretender Direktor am Zentrum für Regenerative Therapien der TU Dresden tätig.