Bautzen/Paris. Beim geplanten Kauf der Bombardier-Schienenfahrzeugsparte will der französische Branchenriese Alstom die Werke in Bautzen und Görlitz unangetastet lassen. Das teilte Alstom in der Nacht zum Donnerstag nach der Hauptversammlung der Aktionäre in der Nähe von Paris mit.
Dagegen will der Konzern seinen Betrieb im französischen Reichshoffen verkaufen. Außerdem soll sich Bombardier von Teilen seines Werkes in Hennigsdorf bei Berlin trennen. Das betrifft unter anderem den Werksteil, der den Elektro-Triebzug vom Typ Talent 3 produziert. Talent-Züge rollen unter anderem als Regionalexpress zwischen Dresden und Leipzig sowie als S-Bahn zwischen Hoyerswerda und Markkleeberg.
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Die Absicht zum Verkauf von Reichshoffen und zum teilweisen Verkauf von Hennigsdorf wollte Alstom noch am Donnerstag der Europäischen Kommission in Brüssel verkünden. Der Konzern will damit möglichen Vorbehalten der EU-Kommission gegen den Bombardier-Kauf zuvorkommen. Denn die Wettbewerbshüter in Brüssel wollen eine marktdominierende Stellung einzelner Unternehmen verhindern.
Diese Stellung aber hätte Alstom nach der Bombardier-Übernahme im Bereich Triebwagen in zwei Ländern. In Frankreich würde der heimische Konzern den Markt dann allein bestimmen, in Deutschland käme Alstom auf 70 Prozent Marktanteil.
Kommen weitere Auflagen von der EU?
Spätestens bis zum 16. Juli wollen die Wettbewerbshüter der EU erklären, ob sie mit dem Verkauf von Reichshoffen und dem teilweisen Verkauf von Hennigsdorf schon zufrieden sind oder noch weitere Auflagen stellen. Sollten sie das nicht tun, würde Alstom alle deutschen Werke von Bombardier mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern übernehmen - also auch Bautzen und Görlitz. Nach Recherchen von Sächsische.de soll der Kaufpreis bei rund sechs Milliarden Euro liegen.
Vor der jüngsten Ansage an die EU-Kommission hatte sich Alstom bereits mit Bombardier über die Trennung von Werksteilen abgestimmt. Bombardier bestätigte das gegenüber Sächsische.de. Die Konzernzentrale in Kanada teilte mit, sie unterstütze „ausdrücklich die geplante Übernahme von Bombardier Transportation durch Alstom“. Mit anderen Worten: Die Kanadier wollen ihre Schienenfahrzeugsparte loswerden. Die Übernahme durch Alstom schaffe einen Mehrwert „für alle Interessengruppen, einschließlich der Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und unserer lokalen Gemeinschaften“.
Wenn sich Alstom Bombardier einverleibt, entsteht damit der zweitgrößte Schienenfahrzeugbauer der Welt - nach dem chinesischen Marktführer CRRC. Für den neuen Vize-Marktprimus Alstom sieht Bombardier „großes Potenzial darin, der wachsenden weltweiten Nachfrage im Schienenverkehr mit gesteigerten Kapazitäten gerecht zu werden. Mit einer gemeinsamen Vision von umweltfreundlichen und digitalen Lösungen im Schienenverkehr würde ein fusioniertes Unternehmen von verbesserten Investitions- und Innovationsfähigkeiten profitieren.“
Verkauf könnte 2021 über die Bühne gehen
Das sieht auch Jan Otto so, der Ostsachsen-Chef der Industriegewerkschaft Metall. Er bezeichnet die Alstom-Ansage, die Werke in Bautzen und Görlitz mit allen Mitarbeitern zu übernehmen, als „grundsätzlich gute Nachricht. Jedoch bleibt abzuwarten, wie sich die EU verhält.“ Sofern Brüssel dem Kauf zustimmt, müsse „bei allen zukünftigen Verhandlungen der neue Eigentümer mit an Bord sein“, fordert Jan Otto. „Die Branche werden wir nur stabilisieren, wenn wir diesen neuen Player dann auch mit guten Aufträgen und einer hohen Reichweite versehen.“
Sollte die EU grünes Licht für die Übernahme geben, würde Alstom den Kauf voraussichtlich im ersten Halbjahr 2021 abschließen. Zunächst begänne die Suche nach Käufern für die Anlagen in Reichshoffen und Hennigsdorf. Weltmarktführer CRRC wartet nur auf die passende Gelegenheit, um groß in den europäischen Markt einzusteigen. Auch der japanische Hitachi-Konzern beobachtet die Marktentwicklung in Europa genau. Vom russischen Inlands-Marktführer Transmashholding ist bekannt, dass er gern in Richtung Westen wachsen würde.
Abzuwarten wäre, ob der aufstrebende Schweizer Bahnbauer Stadler Interesse hätte. Nicht zuletzt ist die Schienenfahrzeugsparte des Siemens-Konzerns immer ein potenzieller Käufer. Sie alle kämen auch als Interessenten infrage, sollten die Wettbewerbshüter der EU wider Erwarten doch die Bombardier-Werke in Bautzen oder Görlitz zur Disposition stellen.
Der Beitrag wurde am 9. Juli, 15.30 Uhr, aktualisiert.
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