Borkenkäfer frisst sich durch Waldhusche

Als er in Hinterhermsdorf angefangen hat, war die Waldwelt noch in Ordnung. "Um den Borkenkäfer musst du dir hier keine Sorgen machen", habe sein Vorgänger zu ihm gesagt, erzählt Revierförster Matthias Protze. 1985 war das. Protze ist auf der anderen Elbseite aufgewachsen, in Schöna. Rings um den Großen Zschirnstein stand damals kaum ein Baum, erinnert er sich. Der Industrienebel, der aus dem böhmischen Becken herüberzog, hatte den Wald großflächig zum Absterben gebracht. "Dort war alles schwarz." Im Hinterhermsdorfer Revier hingegen standen die Bäume in vollem Saft. Grün über grün.
Jetzt ist der Borkenkäfer da. Der Blick von der Aussichtsplattform oberhalb des Beizehauses, wo der Nationalpark eine Infostelle betreibt, offenbart das ganze Drama. Am gegenüberliegenden Hang ist die Hälfte der Bäume braun. Fichten machen hier in Hinterhermsdorf wie im gesamten Nationalpark Sächsische Schweiz rund 50 Prozent des Bestandes aus. Sie sind innerhalb von zwei Jahren beinahe komplett abgestorben. "Totalausfall", sagt der 59-jährige Forstmann. Keine fünf Prozent sind in seinem Revier mehr übrig.

In der Waldhusche, einem Erlebnisgelände das Nationalparks, das Kindern und Erwachsenen die Funktionsweise des Waldes näherbringt, wurden die ersten befallenen Bäume im Herbst 2018 entdeckt. An mehreren Stellen hat Revierleiter Protze sie zunächst noch fällen lassen mit dem Ziel, die Ausbreitung zu verhindern. Doch im Sommer 2019 kehrte der Borkenkäfer in Übermacht zurück. "Wir hatten innerhalb von wenigen Tagen so viel Befall, dass wir es nicht mehr aufhalten konnten", sagt Matthias Protze. "Der Käfer hat uns überrollt."
Deshalb sind jetzt auch in dem bei Touristen beliebten Freigelände in Hinterhermsdorf sichtbare Einschläge nötig. Entlang der Wege und dort, wo die Spielgeräte für die Kinder stehen, müssen die kahlen Fichten weg. Zu groß ist die Gefahr, dass die abgestorbenen Bäume oder herunterbrechende Äste einen Besucher erschlagen.

Am 11. Mai rückt eine Fachfirma aus Regensburg mit dem Harvester an, einer schweren Holzernte-Maschine. In einem Korridor von elf Metern beidseits der Wanderwege - so weit reicht der Ausleger der Maschine - werden die Fichten gefällt. 1.000 Festmeter sind vereinbart, das entspricht beim hiesigen Wuchs ungefähr 1.000 Bäumen. Tiefer drin stehendes Totholz bleibt stehen und sich selbst überlassen.
Bis Pfingsten muss die Waldhusche aufgrund der Fällungen für Besucher komplett gesperrt werden. Auch in den Monaten danach wird es wegen der Aufräumarbeiten immer wieder abschnittsweise Sperrungen geben.
"Die Maßnahme wird Spuren hinterlassen", sagt Revierleiter Matthias Protze. Er hat die Waldhusche mit ihren Themenwegen und den zahlreichen waldpädagogischen und Abenteuer-Spielstationen für Kinder in den vergangenen 20 Jahren mit aufgebaut und führt selbst regelmäßig Besucher durch das 66 Hektar große Freigelände. Die Fällungen entlang der Wege seien aber aus Sicherheitsgründen unvermeidlich. "Gerne machen wird das nicht."

Ohne den Harvester gehe es heutzutage kaum, sagt Matthias Protze, auch wenn er sich früher lange dagegen gewehrt habe. Für das, was die Maschine in zwei Wochen schafft, bräuchten drei Waldarbeitern per Hand drei Monate. Und Waldarbeiter müsse man erstmal kriegen. Die Maschine kann die gefällten Stämme zudem präziser ablegen, so dass sie bei Fallen keine gesunden Bäume mitreißen. Die zerfahrenen Wege werden im Anschluss wieder hergerichtet, verspricht der Revierleiter.
Einen kompletten Kahlschlag soll es nicht geben. Der Waldhusche kommt zugute, dass durch den Waldumbau der vergangenen Jahre hier schon viele junge Bäume nachgewachsen sind. Die Waldarbeiter sind zudem angehalten auch Hochstubben stehen zu lassen, diese dienen unter anderem als Lebensraum für Ameisen. Ein Vergleichsbild, wie die Waldhusche später aussehen wird, ist an der Neuen Straße in Richtung Obere Schleuse in Hinterhermsdorf zu sehen. Dort sind die Arbeiten abgeschlossen.

Setzt es einen Förster nicht zu, wenn ihm der Wald quasi unter den Händen wegstirbt? "Wir haben ja gewusst, dass es irgendwann so kommen wird", sagt Matthias Protze und meint damit das Verschwinden der Fichte. All die - vielfach kritisierten - Eingriffe im Nationalpark Sächsische Schweiz hatten ja gerade das Ziel, die Fichte zurückzudrängen und Platz zu schaffen für andere Baumarten, für einen naturnahen Mischwald, wie er vor der Bewirtschaftung durch den Menschen existierte. "Aber dass es einmal so schnell geht, das hätten wir nicht erwartet."
Bei aller professionellen Abgeklärtheit geht die aktuelle Situation auch an dem erfahrenen Revierleiter nicht spurlos vorüber. Doch aus fachlicher Sicht sei es letztlich so: Ob nun große Bäume dastehen oder kleine - es ist immer Wald, erklärt Matthias Protze.

Der eigentliche Auslöser der Problematik ist nicht der Borkenkäfer. Ein fitter Baum, der genügend Harz ausbildet, wehrt die Käfer ab, erklärt der Forstwirt. Es ist vor allem die andauernde Trockenheit, die den Wald in der Sächsischen Schweiz geschwächt hat. "Das Hauptproblem ist das fehlende Wasser." Vielleicht seit zehn, 15 Jahren mangele es im Winter an Schnee. Tief unten in der Kirnitzschklamm lagen früher im Mai noch die letzten weißen Reste, während ringsumher schon alles blühte. In diesem Winter hat es fast überhaupt nicht geschneit.
Manchmal, wenn er nachts auf seiner Jagdkanzel sitzt, hört er ein lautes Knacken, erzählt Matthias Protze. Als ob ein Wildschwein durchs Unterholz bricht. Es ist das Holz der trockenen Bäume, das bis auf den Kern des Stammes reißt.