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Brennpunkt Autobahn

Feuerwehrleute sind oft die Ersten bei schweren Unfällen an der A 4. Was sie dabei erleben, ist schwer zu verkraften.

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Von Jana Ulbrich

Die junge Frau ist tot. Gestorben wohl in dem Moment, in dem ihr kleiner Golf unter den stehenden Sattelschlepper kracht. Schon als die Freiwillige Feuerwehr Salzenforst zum Unfall auf die Autobahn gerufen wird, ist es zu spät für die junge Frau. Brandmeister Olaf Steinborn weiß das in dem Moment, als er sie sieht. Er kann nichts mehr tun. Und er kann nichts dafür. Das sagt er sich immer wieder. Auch jetzt, zwei Jahre später, noch: „Das Ereignis war schon abgeschlossen“, sagt er sich. Das sagt sich leichter als: Sie war schon tot.

Und trotzdem geht ihm das Bild dieser jungen Frau nicht mehr aus dem Kopf. Und wie sie die Tote rausgeholt haben aus dem Wrack unterm Sattelschlepper. Er sieht das vor sich. Immer wieder. Olaf Steinborn ist seit 15 Jahren Berufsfeuerwehrmann. Es gehört zu seinem Job, dass er so etwas verkraftet. Leicht ist das nicht, sagt er. „Es gibt Unfälle, manchmal auch nur einzelne Bilder und Szenen, die vergisst man sein Leben lang nicht.“

Bei Stefan Hentschke sind es diese Schreie. Immer wieder hört er sie. „Wie der Mann um sein Leben geschrien hat, hab ich noch nie vorher gehört“, erzählt der Gemeindewehrleiter von Burkau. „Richtig bestialisch hat der geschrien. Die ganze Zeit.“ Die Kameraden von der freiwilligen Feuerwehr müssen ihn rausschneiden aus dem Wrack, das unter einem Lkw klemmt. Das ist sehr kompliziert. Und es dauert. Der Mann hat schwerste Verletzungen, ein schlimmer Anblick. Aber er überlebt.

Stefan Hentschke hat Fotos von dem Unfall und die Kopie des Einsatzberichts in einen dicken, roten Aktenordner eingeheftet. In der Mappe sammelt er die Einsätze, die ihm besonders nahegegangen sind. Das ist seine Art, die Ereignisse zu verarbeiten, sagt er. Auch jetzt gerade hilft ihm das, wenn er hier vor der Burkauer Feuerwache sitzt, die Mappe durchblättert und über die Einsätze redet.

Mindestens zweimal im Monat werden die Burkauer Feuerwehrleute zu schweren Unfällen an die Autobahn gerufen, auch die Uhyster, die Salzenforster, die Bautzener. Für jede freiwillige Feuerwehr im Kreis gibt es solche Einsätze, in denen es um Leben und Tod geht. Einsätze an der Autobahn machen für die Burkauer Feuerwehr mittlerweile rund 90 Prozent der gesamten Arbeit aus. 330 Verkehrsunfälle mit Toten und Schwerverletzten hat es auf den Straßen des Kreises Bautzen allein im vorigen Jahr gegeben, in diesem Jahr schon 60. 2013 sind dabei 24 Menschen ums Leben gekommen, in diesem Jahr bereits acht. Über 400 Menschen haben schwere Verletzungen erlitten. Bei den meisten dieser Unfälle gehören Feuerwehrleute zu den Ersten am Unfallort.

Nicht alle verkraften den Anblick, der sich ihnen da oft bietet. Stefan Hentschke erzählt zum Beispiel von dem eingeklemmten Lkw-Fahrer, dem beide Beine abgetrennt sind. Olaf Steinborn von der Bautzener Berufsfeuerwehr wird das Bild des Pkw-Fahrers nicht los, dem sich eine Strebe der Kopfstütze in den Hinterkopf gebohrt hat. „Wir fragen die Kameraden jedes Mal, wer sich das zutraut und wer nicht“, sagt Steinborn. „Es ist keine Schwäche, wenn jemand sagt, er möchte lieber die Unfallstelle absichern.“ Auch die jungen Kameraden in den freiwilligen Wehren werden möglichst schonend an solche Situationen herangeführt.

Noch zu oft werden die psychischen Folgen der schlimmen Einsätze unterschätzt, weiß Olaf Steinborn. Der 46-Jährige hat einen Kriseninterventions-Kurs belegt und ist seitdem auch Berater und Ansprechpartner für die Kollegen. Die Probleme kommen meistens erst später, sagt er. Solange die Kameraden beim Einsatz sind, müssen sie rotieren und funktionieren. Sie arbeiten konzentriert die Handgriffe ab, wie sie sie hundertmal trainiert haben. Jeder weiß genau, was zu tun ist. Keiner kommt da groß zum Nachdenken. Das Nachdenken setzt später ein. Manchmal schon auf der Rückfahrt im Einsatzwagen.

„Wir reden dann über das Geschehene und darüber, wie die Kollegen sich fühlen“, sagt Burkaus Wehrleiter Stefan Hentschke. Manchmal setzen sie sich nach dem Einsatz noch eine Weile im Depot zusammen und reden, ehe jeder wieder an seine Arbeit geht. In besonders schlimmen Fällen können die Feuerwehren auch einen Notfallseelsorger hinzuziehen. Ein Anruf bei der Rettungsleitstelle genügt.

„Das ist für uns eine sehr wichtige Hilfe“, weiß Brandmeister Olaf Steinborn. „Manchmal hat man einen Einsatz längst vergessen, und dann sind nach Jahren plötzlich die Bilder wieder da“, sagt er und erzählt von einem Kollegen, der seit einiger Zeit nicht mehr schlafen kann. Weil er jetzt plötzlich von den beiden Kindern träumt, die er bei einem Unfall vor mehr als 20 Jahren nicht mehr hat retten können. Dass jemand während der Rettung an der Unfallstelle stirbt, können Feuerwehrleute am schwersten verarbeiten. „Es ist wichtig, dass wir uns dann sagen: Wir haben keine Schuld an diesem Ereignis. Wir haben alles Menschenmögliche getan.“ Steinborn weiß auch aus eigenem Erleben, wie schwer das ist. Und trotzdem: Er kennt keinen Feuerwehrmann, der deswegen seinen Dienst quittiert hätte.Auf ein Wort