Von Anne Hasselbach
Links auf der Bühne besticht ein erhöhter, dekorativer Parkettfußboden, darauf thronend edle Designermöbel. Rechts entdeckt man nur abgenutzte Dielen mit einer ebenso schlichten Sitzgruppe. Bretter, die Welten bedeuten. Schon hier offenbart sich die Kluft der Gesellschaftsschichten in Schillers Frühwerk „Luise Millerin“. Am Anfang des Geschehens steht die Liebe zwischen Luise, der Tochter des bürgerlichen Stadtmusikanten Miller und Ferdinand, dem Sohn des Präsidenten. Euphorische Gefühle und Berührungen auf der Mitte des Bühnenbodens, da wo die Schichten aufeinander treffen, geben dem Zuschauer eine Vorstellung über die enge Bindung zwischen Luise und Ferdinand, die bald ernüchtert erkennen, dass ihre Väter dies nicht lange dulden werden. Ferdinand erfährt, dass sein Vater ihn mit der Mätresse des Herzogs Lady Milford verheiraten will, um dessen Einfluss am Hof zu erweitern. Entsetzen in der zweiten Reihe macht sich breit, als sich der Präsident auf fiese Art verbal und handgreiflich, schauspielerisch sehr eindrucksvoll, über den Sohn hermacht. Für das Drama sind nun alle Weichen gestellt. „Spaltung unter den Gliedern stiften“ schlägt der doppelzüngige Geheimsekretär Wurm dem Herzog vor. Luise wird gezwungen, einen lügnerischen Brief zu schreiben, welcher ihre Liebe zu Ferdinand in Frage stellt. Lady Milford bringt es auf den Punkt: „Seeligkeit zerstören ist auch Seeligkeit“. Zuletzt beginnt auch Luises Vater seine Macht bedingungslos an seine Tochter auszuspielen: „Meine Tränen oder dein Tod“. Das Drama endet mit dem Tod von Ferdinand und Luise. Was bleibt, sind zwei gebrochene Väter, die im ausgehenden Bühnenlicht ein Sinnbild für die Absolutheit von falschen Gefühlen gegenüber den eigenen Kindern darstellen. Regisseur Torsten Bischof und dessen exzellente Schauspieler füttern auf gefühlsbetonte und wortgewaltige Art und Weise die 44. Lessingtage und das Schillerjahr 2005 mit aktuellen Stoff zu Themen wie Korruption und Absolutheit auf zwischenmenschlicher und politischer Ebene.
Handlung in Gegenwart geholt
Auffallend dabei ist, dass bei weitestgehender Beibehaltung des Inhaltes kleine Beigaben dem Werk eine Frische verleihen, die helfen, die Handlung in die Gegenwart zu transportieren. Die Schauspieler erscheinen in moderner, farbenfroher Kleidung. Der Beatle-Hit „Let it be“ sowie ein umgangssprachliches „nö“ brechen das bürgerliche Drama stilistisch „unaufdringlich“ auf. Der Kontrast „Macht und Seele“ hat es dem Regisseur angetan. Der Herrschersohn ist nicht in der Lage dem Konflikt nichts anderes entgegensetzen als zu töten. Luise als sozial schwächeres Glied erweist sich als starker Charakter bei der Bewältigung der Dilemmas. Die Chancen Liebender auf ein glückliches Miteinander sind hier und heute groß, wobei dies nicht überall auf der Welt eine Selbstverständlichkeit ist. Wie oft fühlt sich der „kleine Mann auf der Straße“ im Stich gelassen? Bei aller Demokratie und Gleichberechtigung triften die Volksschichten zunehmend auseinander. Fasziniert von der Aktualität Schillers inszenierte Bischof ein aufregendes und spannendes Theaterstück, dessen Aktualität besticht und zeitbezogene Interpretationen zulässt. Das Kamenzer Publikum dankte es mit großem Applaus.