Bundeswehr schickt Offiziere in Schulen

Nein, die Uniform gehöre nicht zur Lufthansa. „Ich bin bei der Marine“, sagt Andy Clemens. „Ich weiß, normalerweise tragen eure Lehrer keine Uniform.“ Der Kapitänleutnant steht am Freitagmorgen vor Schülern der zehnten Klasse des Johann-Gottfried-Herder-Gymnasiums Pirna – und ist für zwei Stunden ihr Lehrer für Gemeinschaftskunde. Sein Thema: Sicherheitspolitik, die Aufgaben der Bundeswehr und ihr internationales Engagement. „Die Bundeswehr hat die Möglichkeit zur politischen Meinungsbildung beizutragen und den Unterricht vielfältig zu gestalten.“
Damit das geht, hat Sachsens Kultusministerium eine neue Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr geschlossen. Erstmalig wurde eine solche Vereinbarung schon 2010 unterzeichnet. Mit der neuen Vereinbarung können Schulen Jugendoffiziere zu Fragen der Friedenssicherung, der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik sowie der internationalen Konfliktvermeidung in den Unterricht einladen. „Für mich ist solch ein Besuch ein wichtiger Bestandteil der politischen Bildung“, sagt Kultusminister Christian Piwarz (CDU). Die authentische Begegnung mit jungen Bundeswehrsoldaten ermögliche den Schülern, „sich kritisch mit sicherheitspolitischen Themen auseinanderzusetzen und sich aus direkten Informationen heraus eine eigene Meinung zu bilden“.
Seit mehreren Jahren arbeitet das Pirnaer Herder-Gymnasium mit der Bundeswehr zusammen, auf Initiative der Gemeinschaftskundelehrerinnen. Sie unterrichten die Grundlagen zu internationaler Sicherheit, Bündnispolitik und Globalisierung. Der Jugendoffizier der Bundeswehr bekommt eine Doppelstunde und erklärt, was das in der Realität bedeutet. „Er kann das viel besser als wir“, sagt eine Lehrerin.
Andy Clemens ist seit 16 Jahren Soldat und kann von vier Auslandseinsätzen berichten. Der gebürtige Dresdner war mehrmals vor der Küste Somalias im Einsatz, „um Piraten zu jagen“, sagt er. Der Golf von Aden sei eine der wichtigsten Handelsrouten zwischen Europa und Asien. Das mache Schiffe dort besonders attraktiv für Plünderungen. „Und wenn wir wollen, dass die Waren bei uns im Supermarkt liegen, müssen wir sie auch selbst verteidigen.“ Zuletzt war Clemens 2017 im Mittelmeer stationiert – um Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa aus Seenot zu retten und die Schlepper zu bekämpfen. „Der Einsatz ruht derzeit, weil die EU in der Flüchtlingsfrage zerstritten ist“, erklärt er den Zehntklässlern. Er hoffe aber, dass sich in den nächsten Wochen eine Einigung abzeichnet. Im Sommer – mit gutem Wetter und ohne Stürme – steigen die Chancen, das Mittelmeer zu überqueren. Deswegen würden sich wieder mehr Menschen auf die Reise nach Europa begeben und „das könnte in einer Katastrophe enden“.
Deutschlandweit gibt es etwa 70 Jugendoffiziere, sechs arbeiten bei der Bundeswehr in Sachsen. 2018 haben sie insgesamt etwa 600 Schulen besucht. „Wir suchen das Personal gezielt aus“, sagt Oberst Klaus Finck, der Kommandeur des Landeskommandos Sachsen. In der Regel seien es Männer und Frauen, die in Auslandseinsätzen der Bundeswehr Erfahrung vor Ort gesammelt haben. „Die Eindrücke, die sie dort sehen und erleben, auch im Gespräch mit der geschundenen Zivilbevölkerung, können sie authentisch vermitteln und die Empathie weitergeben.“
Ähnliche Abkommen wie in Sachsen gibt es in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und dem Saarland. Unumstritten sind die Jugendoffiziere aber nicht. Die Bundeswehr habe einen privilegierten Zugang zu den Schulen, sagt die Landtagsabgeordnete Petra Zais (Grüne). „Mit keiner anderen Organisation existiert eine vergleichbare Vereinbarung.“ Es gebe auch zu wenig Gegenstimmen aus der Friedensbewegung, da diese ehrenamtlich arbeiten. Die Lehrergewerkschaft GEW sieht hier den Beutelsbacher Konsens, der die Grundsätze der politischen Bildung festlegt, verletzt. Sachsens Linke fordert ein Ende der Kooperation. „Die Bundeswehr hat an Schulen nichts zu suchen“, sagt Rico Gebhardt.
Manche befürchten hinter dem Einsatz von Jugendoffizieren an Schulen eine Nachwuchswerbung für die Bundeswehr. „Das wird in der Vereinbarung explizit ausgeschlossen“, sagt Kultusminister Piwarz. Die Offiziere müssen sich auch streng an den Beutelsbacher Konsens in politischer Bildung halten, dürfen die Schüler also nicht überwältigen. Auch das Kontroversitätsgebot sieht Piwarz gewahrt. „Das ist nur ein Angebot. Ob die Schulen es annehmen, entscheiden die Lehrer und Schüler.“ Es gehe schließlich darum, eine Diskussion und Diskursfähigkeit zu ermöglichen. Den Schulen stehe es frei, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen oder Friedensinitiativen einzuladen.
Auch am Pirnaer Herder-Gymnasium gibt es kritische Stimmen aus der Lehrerschaft, sagt Schulleiterin Marion Paßmann. Für die Schüler sei der Austausch gewinnbringend. In der Vergangenheit verteidigte etwa ein Soldat im Unterricht die Sanktionspolitik der Bundesregierung. Das war den Schülern zu russland-kritisch. „Wir haben darüber ganz konstruktiv diskutiert“, sagt ein Schüler. Der Mehrwert: Auch mal eine andere Position und die Argumente zu hören. „Es ging nicht darum, dass am Ende alle der gleichen Meinung sind.“