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Kann bei Dynamo alles anders werden?

Ex-Capo Stefan Lehmann hat seine Vision von Dynamo Dresden im Jahr 2053 formuliert. Sportpolitiker sind da skeptisch.

Von Tino Meyer & Juliane Richter
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Stefan „Lehmi“ Lehmann hat sich als Capo von Dynamo Dresden 2017 zurückgezogen. In seinem ersten Buch grübelt er über einen Dynamo-Campus nach, am besten im Ostragehege.
Stefan „Lehmi“ Lehmann hat sich als Capo von Dynamo Dresden 2017 zurückgezogen. In seinem ersten Buch grübelt er über einen Dynamo-Campus nach, am besten im Ostragehege. © Robert Michael

Dynamo Dresden müsse sich breiter aufstellen, größer denken, meint Ex-Capo Stefan Lehmann. Seit anderthalb Jahren ist er zwar weg vom Capo-Turm im K-Block, aber noch immer ganz dicht dran am Verein.

In seinem jüngst erschienenen Buch über seine Zeit als Massenmotivator hat er seine Vision von Dynamo als Mehrspartenverein im Jahr 2053 formuliert. Mit Hockeyspielern, Skatabteilung, Basketball, Schwimmen, Handball, Leichtathletik und und und. Selbst Wassersport mit eigenem Zugang zur Elbe schwebt ihm vor. Denn das neue Trainingszentrum im Ostragehege könnte zum „Dynamo-Campus“ ausgebaut werden, wie er sagt.

Lehmi erhofft sich dadurch nicht nur mehr Mitglieder, sondern auch eine größere Unterstützung durch den Stadtrat. „Wir stellen das auf breitere Füße, dann hast du auch die Politiker nicht mehr gegen dich“, hat der 34-Jährige Lehmann bei der Buchpräsentation im Juni erzählt.

Die Reaktionen auf seine Äußerungen sind gemischt. Sportbürgermeister Peter Lames (SPD) äußert sich zunächst knapp. „Strategische Vereinspolitik obliegt den jeweiligen Vereinen. Im Ostragehege haben wir gut funktionierende Mehrspartenvereine, zum Beispiel den DSC.“ Später ergänzt er, dass an sich jeder Mehrspartenverein eine Bereicherung darstellt. Aber den Weg dorthin müsse Dynamo selber wählen.

Dynamo ständig bevorteilt?

Einer, der Lehmi seit Jahrzehnten kennt, ist Thomas Blümel, Geschäftsführer der Bürgerfraktion und einst selbst Dynamo-Aufsichtsratschef. Er erteilt der Idee eine klare Absage: „Meine Vision ist eine andere. Ein in sich gefestigter Verein, der sein Kerngeschäft souverän beherrscht und der bescheiden aber zielstrebig einen Schritt nach dem anderen macht. Dadurch erlangt man automatisch Respekt, nicht durch die Expansion in fremde Gefilde.“

Blümel hatte für den neuen Stadtrat nicht mehr kandidiert. Ihm droht deshalb auch nicht Gefahr, sich mit einer solchen Aussage die Finger zu verbrennen. Denn grundsätzlich gilt: Dynamo wird schnell zum Politikum. Die Vielzahl der Fans – als potenzielle Wähler – können ein großes Gewicht haben. Viele Sportvereine, die allesamt um städtische Gelder ringen, sehen deshalb Dynamo regelmäßig bevorteilt. Seit Jahren wird der Verein mit finanziellen Zuschüssen in Millionenhöhe bedacht, zuletzt mit vier Millionen Euro für das neue Trainingszentrum.

Die sportpolitische Sprecherin der CDU, Anke Wagner, sagt: „Kein anderer Verein hat in den vergangenen 30 Jahren durch den Stadtrat so intensiv profitiert wie Dynamo.“ Sie findet es deshalb eine unfaire Unterstellung, dass der Verein durch die Politik zu kurz komme. „Grundsätzlich finde ich es aber gut, wenn Leute Visionen entwickeln und damit den Sport in der Stadt weiterdenken.“ Wenn Dynamo aber wirklich zum Mehrspartenverein werden wolle, wünscht sie sich, Kooperationen mit anderen Vereinen, die diese Sparten bereits bedienen.

Das Trainingszentrum nimmt Gestalt an. 
Das Trainingszentrum nimmt Gestalt an.  © Screenshot: SZ

SPD-Stadträtin Kristin Sturm findet Lehmis Vision interessant, weil sich der Dresdner Sport mit seinen mehr als „360 vollgestopften Vereinen“ weiterentwickeln müsse. Doch auch sie spricht die Konkurrenz zu den anderen Vereinen an. Und, wie schwer die Idee vermutlich umsetzbar ist. Denn Dynamo hat sich seinen Platz im Ostragehege noch gesichert. Leere Flächen gibt es aber nicht mehr, wie Ralf Weber von der zuständigen städtischen DGI bestätigt. Ex-Dynamoaufsichtsratschef Thomas Bohn hat einen Großteil der Flächen samt sanierungsbedürftiger Gebäude gekauft. Womöglich könnte der Verein ihn für die Idee gewinnen – Bohn reagiert jedoch seit Monaten nicht auf Presseanfragen.

Hinzu kommen die rechtlichen Grenzen. Grünen-Stadtrat Torsten Schulze verweist auf das Landschaftsschutzgebiet. „Das ist ein Erholungsgebiet mitten in der Stadt und zudem das einzige innerstädtische Gebiet, auf dem noch Ausgleichsmaßnahmen und Entsiegelungen umgesetzt werden können.“ Die mit der Lehmann-Vision verbundene Kritik am Stadtrat kann er nicht verstehen. „Die Art wie Dynamo öffentlich Unterstützung einfordert, geht oft über das übliche Maß hinaus.“

Linken-Stadtrat Tilo Kießling sieht auch genug Unterstützung für den Verein. Über die weitere Zukunft müssten die Mitglieder entscheiden. Aber: „Das Ostragehege gehört allen Sportlern“, sagt Kießling.

Was sagt der Verein zu Lehmis Idee?

Sportchef Ralf Minge begrüßt das Gedankenspiel und bekräftigt, dass man als Verein auch Visionen haben muss. Bis 2053 reichen diese jedoch nicht. „In einem Verein ist eine Vision auf maximal fünf Jahre angelegt, und selbst das ist im Sport schwer zu planen. Das haben wir selbst am eigenen Beispiel gesehen.“

Im Mai 2014 ist Dynamo mit dem Abstieg aus der 2. Bundesliga am Nullpunkt angekommen, lag, wie es Minge damals sagte, auf der Intensivstation. Fünf Jahre später gilt die SGD nun fast schon als etablierter Zweitligist und ist schuldenfrei. „Es wird auch in Zukunft darum gehen, dass wir bei allen berechtigten Träumen und Visionen als Verein weiter gesund wachsen und uns dabei nicht selbst überholen.“ Lehmanns Vision konkret bewerten, möchte er dabei nicht. Dass ihn der Ex-Capo als Vereinspräsidenten sieht, der 2053 zufrieden über den riesigen Dynamo-Campus schlendert, quittiert Minge mit einem milden Lächeln. Er wäre dann 93 Jahre alt.