Sitz statt Sessel: Autokino-Premiere in Görlitz

Im Kino würde jetzt das Saallicht wieder angehen. Die Berufskiller Vincent Vega und Jules Winnfield haben sich ihre Pistolen synchron ein letztes Mal in den Hosenbund gesteckt. Der Abspann läuft.
Auf dem großen Parkplatz der Car-Pro-Akademie im Görlitzer Norden, geht kein Saallicht wieder an, sondern die Scheinwerfer von zig Autos. Im Korso geht es am Birkenstock-Gelände vorbei, zurück nach Hause. Auf den ersten Metern klingt noch kurz das Abspann-Stück "Surf Rider" aus dem Autoradio. Nicht nur "Pulp Fiction", ein Klassiker der Filmgeschichte, ist vorbei. Sondern auch die Premiere des neuen Autokinos in Görlitz.
Begrüßung mit gelben Westen und pinken Luftballons
Die war am Donnerstagabend. Die Kinos sind nach wie vor geschlossen. Um in dieser außergewöhnlichen Zeit sozialer Distanz trotzdem schöne Erlebnisse möglich zu machen, haben sie vor einigen Wochen angefangen, ein Autokino Görlitz zu planen, erzählte Toni Heide kürzlich der SZ. Er ist der Geschäftsführer der Gastrobande, die beispielsweise auch zwei Clubs in Löbau und Weigersdorf, das City-Center und den Faceclub betreiben sowie verschiedene Festivals veranstalten.
Autositz statt Kinosessel - Abstandsregeln lassen sich so von vornherein leichter einhalten. Dennoch hätten sie sich einen Kopf gemacht, wie sich Ansteckungsrisiken minimieren, Schutzmaßnahmen umsetzen lassen, erzählte Heide. Das merkt man.
Knappe drei Stunden früher, kurz vor 19 Uhr. Fährt man über die B6 zur Car-Pro-Akademie sieht man bereits die große LED-Leinwand auf dem Platz, auf dem sonst Fahrsicherheitstraining stattfindet. Begrüßt wird man von einem Sicherheitsmann mit Warnweste, Mundschutz und Scanner, der das Ticket kontrolliert. Das kann man, um Kontakte zu vermeiden, ausschließlich online kaufen. Für Popcorn ist gesorgt. Der nächste Posten hat statt Scanner den Griff eines Leiterwagens in der Hand, an dem pinke Luftballons hängen und der gefüllt ist mit Snackboxen. Auch die sind vorher zu bestellen.
Stellplatz statt Sitzplatz: Wie man den findet
Weiter zum nächsten Posten. Andreas Otte, Geschäftsführer der GRS-Sicherheit Görlitz, erklärt die wichtigsten Regeln, darunter: Das Auto darf man nur verlassen, wenn man auf Toilette muss. Falls man Hilfe braucht: Warnblinker an. Für Raucher: Nur ein Fenster darf geöffnet werden, nämlich das der Beifahrerseite. "Und viel Spaß natürlich." Otte weist zum nächsten Posten.
Auf dem Platz sind zwei Linien aus Reifen aufgebaut. "In der Mitte durchfahren, bis zu der jungen Frau dort." Sie steht am Ende der Reifenfahrspur, winkt, macht die Näherkommen-Bewegung. Ein bisschen fühlt man sich wie auf einem Flugplatz.
Während man die Reifenspur passiert, sprechen sich die Sicherheitsleute offenbar über Walki-Talki ab, welches der richtige Platz für das jeweilige Auto ist: Die großen Fahrzeuge stehen, leicht schräg, eher an den Seiten, kleine Fahrzeuge mittig und weiter vorn. Am Ende der Reifenbahn weist die junge Frau wieder auf eine andere - der letzte Posten. Sie steht auf dem ausgewählten Stellplatz, achtet darauf, dass zwischen den Autos ausreichend Platz ist. Bisschen weiter links einparken, sagen ihre Gesten.
Autokino kennt mancher noch von früher
Motor aus, Radio an. Auf der Leinwand steht in Großformat, welche Frequenz einzustellen ist, um nicht Stummfilm zu schauen. Wie Autokino funktioniert, weiß Silke Proske noch. Sie kommt aus Niesky. Und früher habe es in Weißkeißel ein Autokino gegeben, das sie Ende der 80er, Anfang der 90er manchmal besuchte. Nun in der Coronakrise, feiert Autokino ein kleines Comeback. Nicht nur in Görlitz, "das in Dresden hatte ja schon etwas früher eröffnet."
Auch die Ankündigung, dass für Görlitz eines in Planung ist, hatte in den sozialen Netzwerken für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Auch bei Silke Proske. "Wir haben das bei Facebook beobachtet." Und sich dann spontan für den Premieren-Film entschieden. Nicht nur, um mal wieder rauszukommen, sondern auch des Films wegen: Statt Tanz in den Mai, gibt es am Donnerstagabend Twist mit Mia Wallace (Uma Thurman) und Vincent Vega (John Travolta) - eine Szene aus "Pulp Fiction", die Kultstatus erlangte. "Ich finde es gut, dass solche Klassiker mit ausgewählt wurden." Die man jetzt noch mal neu im Autokino entdecken kann.
Im Auto stört keinen das Popcorn-Geraschel
Neben vergleichsweise neuen Streifen wie den beiden Kinderfilmen "Monster AG" und "Eiskönigin 2" stehen noch mehr Klassiker auf dem Görlitzer Programm wie "Go Trabi, go" und "Dirty Dancing". Am Donnerstagabend reichte eine Leinwand, insgesamt sind drei aufgebaut. Dass die vermutlich noch zum Einsatz kommen, lässt die schwindende Ticketzahl im Onlineverkauf vermuten.
Nicht nur Görlitzer Kennzeichen sind auf dem Platz zu sehen, auch Nieskyer, Bautzener, Hoyerswerdaer und Zittauer. Ein Mann in der Hinterreihe wischt die Frontscheibe. Links im Auto kippt eine junge Frau den Sitz, Kissen im Nacken. Kinovergnügen mit Sicherheitspersonal und den strengen Regeln - es ist eine seltsame Kombination. Andererseits: Im Auto dreht sich kein Vordermann mit genervtem Blick um, wenn man quatscht. Keinen interessiert Geraschel mit der Popcorn-Tüte.
Die Titelmelodie setzt ein. Vincent Vega und Jules Winnfield sitzen auch im Auto. Auf dem Weg zum nächsten Auftrag, unterhalten sich über Haschischbars in Amsterdam, dann über die Unterschiede zwischen Europa und den USA bei der Benennung von Burgern. Im Auto in der Hinterreihe geht die Chipstüte auf, links gibt's Popcorn.