B96-"Karawane der Vernunft" macht Ärger

Seit Wochen protestieren jeden Sonntag Menschen entlang der B96 gegen die Corona-Maßnahmen. Unter anderem wegen der dort offen zur Schau gestellten Reichsflaggen hatte sich am 14. Juni Gegenprotest formiert. An jenem Sonntag hatte unter anderem der Linke-Abgeordnete Mirko Schultze die "Karawane der Vernunft" angemeldet. Der Konvoi aus rund 30 Fahrzeugen - und unter anderem Teilnehmern der Antifa - fuhr von Zittau nach Bautzen - eskortiert von der Polizei. Es kam zu wechselseitigen Aggressionen zwischen "Karawane"-Teilnehmern und B96-Protestlern. Deshalb erhebt Schultze nun in einer "Kleinen Anfrage" an die Staatsregierung Vorwürfe gegen die Polizei.
Die Fahrzeuge in dem von der Versammlungsbehörde genehmigten Konvoi fuhren überwiegend mit abgedeckten Kennzeichen. Dies sei mit der Versammlungsbehörde und der Polizei abgestimmt gewesen, informierte Schultze damals auf SZ-Anfrage. Sowohl aus den Fahrzeugen, als auch vom Straßenrand wurden "Stinkefinger" gereckt oder Beleidigungen ausgerufen - ohne dass die Polizeieskorte offensichtlich eingeschritten wäre.
Organisator unzufrieden mit Polizei-Eskorte
Nach Auskunft des Sächsischen Innenministeriums waren acht Beamte der Polizeidirektion Görlitz im Einsatz. Deren Aufgaben seien etwa die Begleitung des Konvois, die Überwachung der Umsetzung erlassener Beschränkungen sowie die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gewesen.
Während des Verlaufs gelangten offensichtlich auch unbeteiligte Fahrzeuge zwischen den Konvoi. Mirko Schultze bemängelt dies und will wissen "welche Lageeinschätzung der Entscheidung zu Grunde" lag, das zuzulassen.
Darauf antwortet Innenminister Roland Wöller (CDU): "Die Entscheidungen zur Art und Weise der Absicherung des Konvois durch die Polizei orientierten sich an den Beschränkungen der Versammlungsbehörde, wonach der Aufzug als geschlossener Verband (...) genehmigt wurde sowie an der polizeilichen Lageeinschätzung der verkehrspolizeilichen Einsatzkräfte." Berücksichtigt worden seien neben den Interessen der Versammlungsteilnehmer auch die anderer Verkehrsteilnehmer und die Verkehrssituation.
Konvoi-Leitung widersetzt sich Aufforderung
Daran, dass die Polizei während der Fahrt des Konvois das weitere Fahren mit verdeckten Nummernschildern unterbinden wollte, erregt sich der Unmut von Schultze. Die Polizei hatte den Konvoi kurzzeitig auf einen Parkplatz in Eibau geleitet, um die Nummernschilder wieder freizulegen. "Welche Entscheidungsgrundlage lag der Änderung der polizeilichen Zusage, die Fahrzeuge im Aufzug mit abgedeckten Kennzeichen fahren zu lassen, zugrunde und wie wurde die Gefahrenlage durch den erzwungenen Stopp des Aufzuges eingeschätzt?", will Mirko Schultze nun in seiner Anfrage wissen.
Innenminister Wöller antwortet: "Eine rechtliche Prüfung (...) führte am Versammlungstag zur Entscheidung des Polizeiführers, die Fahrzeuge des Aufzuges nicht mit abgedeckten Kennzeichen fahren zu lassen." Da sich die Versammlungsleiter allerdings geweigert hätten, die Kennzeichen freizulegen, sei der Ablauf des Aufzuges verzögert worden. Wegen der damit verbundenen Beeinträchtigung des Verkehrsflusses und der Gefährdungslage entlang der B96 in der Ortslage Ebersbach-Neugersdorf hätten die Beamten den Konvoi mit teilweise verdeckten Kennzeichen weiterfahren lassen.
Vorwurf der "Verzögerungstaktik"
Mirko Schultze wirft der Polizei nun eine "offensichtliche Verzögerungstaktik" vor. Mit dem Anhalten des Konvois habe die Polizei verhindern wollen, dass der Aufzug "an den sogenannten Hotspots" vorbeifährt - also dort, wo sich stets besonders viele B96-Protestler versammeln, etwa in Ebersbach Neugersdorf.
Innenminister Roland Wöller dementiert das. "Die Polizei verfolgte keine Verzögerungstaktik." Die Konvoi-Teilnehmer selbst hätten das Tempo gedrosselt. Im Übrigen hätten sie auch selbst die Verzögerung verursacht, indem sie sich geweigert hätten, die Kennzeichen freizulegen.
Die Kritik von Rechts
Derweil versucht die AfD weiter, Theater und Kultur zu ihrer politischen Spielwiese zu machen. Bei der "Karawane der Vernunft" war auch ein Fahrzeug des Gerhart-Hauptmann-Theaters (GHT) vertreten. Die Kreis-AfD wirft GHT-Geschäftsführer Caspar Sawade nun "persönliches Fehlverhalten" vor. Er habe genehmigt, dass ein Fahrzeug des Theaters teilnimmt. "Besagtes Fahrzeug war als solches des GHT offen erkennbar und fuhr im Konvoi mit. Zusammen mit gezeigten Antifa-Symbolen", schreiben die beiden AfD-Fraktionsvorsitzenden im Kreistag, Hajo Exner und Jens Glasewald in einem Antrag auf Dienstaufsichtsbeschwerde.
Zeichen für Vernunft, Kreativität und Demokratie
Für Caspar Sawade sind es beruflich die letzten Tage in der Oberlausitz, bevor er als Intendant nach Lübeck wechselt. "Ich nehme es als Ehre, wenn die AfD mir Fehlverhalten vorwirft", sagt er. Er bestätigt, die GHT-Beteiligung genehmigt zu haben. "An unserem Fahrzeug waren aber keine Antifa-Symbole zu sehen." Mit der Teilnahme habe er gemeinsam mit anderen ein Zeichen setzen wollen für Vernunft, Kreativität und Demokratie. Er halte nicht alle Teilnehmer der Proteste an der B96 für rechtsradikal, "allerdings sind dort deutlich demokratiefeindliche Symbole zu sehen. Dieser Protest ist eindeutig von Rechten unterwandert".

Dass nun auch die „Karawane der Vernunft“ in der Kritik steht, hat er gehört, „aber das konnte ich vorher nicht wissen.“ Die Organisatoren seien dieselben wie beim Ostritzer Friedensfest, an dem sich das GHT mehrfach beteiligte – ohne Ärger.
Die AfD hält ihm nun vor, das GHT habe als Einrichtung in öffentlicher Trägerschaft gegen das staatliche Neutralitätsgebot verstoßen. "Es bedeutet Neutralität gegenüber allen politischen Bestrebungen innerhalb der Bundesrepublik soweit diese nicht ausdrücklich durch rechtskräftiges Urteil des Bundesverfassungsgerichts verboten sind", so Exner und Glasewald. Sie fordern, Sawade müsse "dringend zur Ordnung gerufen werden. Zukünftiges Fehlverhalten seitens des GHT muss wirksam unterbunden werden."
Was es mit dem Neutralitätsgebot auf sich hat
Das Neutralitätsgebot bezieht sich eigentlich auf Beamte im Staatsdienst, erklärt Jörg Ganzenmüller, Leiter der Stiftung Ettersberg in Weimar und Professor für Europäischen Diktaturenvergleich an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Neutral bedeutet dabei allerdings nicht, dass man sich öffentlich gar nicht politisch äußern dürfte“, so Ganzenmüller, „sondern es geht um Überparteilichkeit“.
In Thüringen haben sich 2019 Vertreter aus Kultur und Bildung gegen ein Neutralitätsgebot, das die AfD für Schulen forderte, gewehrt: Mit der "Weimarer Erklärung", hinter der unter anderem das Nationaltheater Weimar, Bauhaus-Universität, Klassik Stiftung Weimar, die Gedenkstätte Buchenwald und die Stiftung Ettersberg stehen.
Gerade für Bildung und Kultur sei es Aufgabe, Werten der Demokratie nicht "neutral" gegenüberzustehen, sondern sie zu vertreten und zu verteidigen, sagt Jörg Ganzenmüller. "Darf ich mich dagegen öffentlich gar nicht politisch äußern, sind wir schnell beim Werterelativismus." Heißt, wer nicht politisch Stellung beziehen darf, kann auch nicht für demokratische Werte wie Menschenrechte, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit einstehen. Ein Grund, warum die AfD sich so gerne auf ein Neutralitätsgebot bezieht, "weil sie damit Werte infrage stellen und relativieren will".
Sawade: Kunst ist nicht unpolitisch
Zu der Frage, ob Kunst und Kultur neutral sein müssen, sagt Caspar Sawade eindeutig Nein. "Die AfD versucht mit solchen Aktionen Künstler und Kulturschaffende einzuschüchtern", so Sawade. Eine unpolitische Kunst habe es niemals gegeben, "nur leider zu oft in der Geschichte eine Staatskunst". Die Bühne sei gerade ein Ort des Verhandelns.
Den umstrittenen Kabarettisten Uwe Steimle etwa hat er auftreten lassen, "obwohl ich seine Meinung privat nicht teile. Aber er bewegt sich noch im demokratischen Spektrum." Bei den Corona-Protesten sehe er aber deutlich antidemokratische Strömungen. "Dann muss ein Theater Haltung zeigen. Die Freiheit der Kunst und der Meinungsäußerung ist eines unserer höchsten Güter und muss öffentlich hart verteidigt werden."
Ob der Landrat, wie die AfD mitteilt, die Theater-Geschäftsführung in der letzten GHT-Aufsichtsratssitzung gebeten hat, einen „Verhaltenskodex“ zu erstellen, konnte das Landratamt noch nicht mitteilen. Normalerweise ist der Landrat bei der Aufsichtsratssitzung nicht dabei.
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