Corona: Carolus kämpft ums Leben eines Patienten

Es sind dramatische Stunden auf der Intensivstation des Görlitzer St.-Carolus-Krankenhauses. Chefarzt Dr. Uwe Treue hoffte auf einen normalen Sonntagsdienst, doch nun kämpft er mit seinem Team um das Leben eines Patienten.
Innerhalb weniger Stunden hat sich die Atemnot bei dem 70-jährigen Mann so erhöht, dass der Sauerstoffgehalt im Blut viel zu niedrig ist. Seit seiner Einlieferung vor drei Tagen wurde der Patient zwar mit Sauerstoff versorgt, aber noch nicht beatmet. Den richtigen Zeitpunkt dafür zu finden, ist eine der schwierigsten Abwägungen für die Mediziner. Die Berichte in Fachjournalen und Zeitungen sind Legionen, in denen vor einem zu frühen Einsatz gewarnt wird und eine höhere Sterblichkeit bei der Beatmung festgestellt wurde.
Doch Uwe Treue bleibt keine andere Wahl. Er greift zum letzten Mittel, der Patient wird ins Koma gelegt, ein Schlauch in die Luftröhre eingeführt und an die Beatmungsgeräte angeschlossen. Es ist in der sechsten Corona-Woche der erste derartig schwere Fall im Carolus.
Die Hausärztin hatte den 70-Jährigen aus dem Landkreis Görlitz in die Klinik eingewiesen. Sie war beunruhigt, wie schnell es dem Mann schlechter ging. Nachdem er positiv auf das Coronavirus getestet worden war, litt er zwar unter Fieber. Seine Frau beklagte, dass er von Tag zu Tag schwächer würde. Aber es ging irgendwie zu Hause. Zumal der Mann vor Corona als fit galt, selbst keine Beschwerden empfand. Doch an jenem Donnerstag nach Ostern ging die Hausärztin kein Risiko mehr ein: Einweisung in die Klinik.
91 Patienten - ein Todesfall
So kam der Mann ins Görlitzer Carolus-Krankenhaus, das in der Corona-Pandemie extra eine Isolierstation eingerichtet hat und vom Landkreis zur ersten Anlaufstelle erklärt worden ist. Bislang berichtet Standortleiterin Daniela Kleeberg wurden hier 91 Patienten behandelt, 14 kamen bereits mit dem positiven Befund einer Corona-Infektion. Von den 77 Verdachtsfällen konnten 70 schnell wieder entlassen werden, weil sich der Verdacht nicht bestätigte. Zwei der sieben verbliebenen Patienten litten an einer "normalen" Grippe-Erkrankung, die anderen fünf Patienten wurden positiv auf das Coronavirus getestet. Das Carolus verzeichnete bislang einen Todesfall.
Fünf Pfleger fürs Wenden des Patienten nötig
Doch bislang waren es vergleichsweise leichte Krankheitsverläufe, die auf der Isolierstation behandelt werden konnten. Seit vergangenem Donnerstag ist das nun aber anders. In regelmäßigen Abständen von zwölf oder 16 Stunden muss der Patient gedreht werden: Vom Rücken- in die Bauchlage, um die Funktion der Lunge anzuregen und damit eine bessere Sauerstoffversorgung zu erreichen. Es sind Szenen, wie man sie aus den Kliniken in Bergamo oder New York, aus Madrid oder Strasbourg kennt.
Fünf Pfleger und Ärzte müssen dann anfassen, um den Patienten zu drehen, und dabei aufpassen, dass die Beatmungsschläuche nicht rausrutschen, dass er nicht auf Schläuchen liegt, dass er sich nicht an Hoden oder Nase wundliegt, dass keine Druckstellen entstehen. "Das ist enorm aufwendig", schildert Uwe Treue, und anstrengend sowieso. Die Pfleger, Krankenschwestern und Ärzte müssen in kompletter Schutzausrüstung und unter Maske arbeiten. 50 Euro gibt die Bundesregierung pro Fall für diese Ausrüstung. "Die verbrauchen wir derzeit an einem Tag bei diesem Patienten", sagt Treue.

Das Carolus profitiert nun auch davon, dass es zwei sündhaft teure Pflegebetten aus den USA für Lungenkranke erhalten hat. Die Betten sind Teil des bundesweiten Programms, Intensivkapazitäten auszubauen. Das sind kleine Wunderwerke der Technik mit einem luftbetriebenen Therapieauflagesystem. Sie können vibrieren, neigen sich bis zu 45 Grad nach rechts oder links.
Immer mehr Erkenntnis über Covid-19
Nicht nur die Pflege des Patienten ist aufwendig. Auch die Behandlung stellt die Ärzte vor Herausforderungen. Es mehren sich die Berichte, dass Covid-19 eben nicht nur eine Lungenkrankheit ist. Schon gar nicht eine "normale" Grippe, wie von Corona-Kritikern immer wieder behauptet. Im Leitmagazin der Branche, dem amerikanischen "Science"-Magazin, erschien dieser Tage ein Bericht, der sehr ausführlich auf die vielen Varianten einging. So kann der Virus auch Hirn, Herz und Nieren angreifen.
Mediziner beobachten weltweit eine Verengung der Blutgefäße bis hin zu blauen Flecken, Herzrhythmusstörungen, Blutklumpen, Anfälle wie bei einem Hirntrauma, Blut und Proteine im Urin, Durchfall. "Das ist eine große Sorge, dass neben der Lunge auch weitere Organe betroffen sind", sagt auch Chefarzt Dr. Jörg Lubrich, der als Lungenspezialist die Isolierstation leitet. Deswegen kontrollieren die Ärzte im Carolus sehr genau die Blutwerte, sehen sehr eindeutige Muster auf Bildern der Lunge, versuchen den Patienten auf der Intensivstation mit Sauerstoff und Infusionen zu stabilisieren. Es gibt ja noch keine spezifischen Medikamente gegen Covid-19.
Im Krankenhaus Weißwasser haben sie eine solche Situation auch in den vergangenen Wochen erlebt. Der Landkreis vermeldet am 23. März erstmals, dass eine Person auf der Intensivstation behandelt wird. Just an dem 16. April, als das Carolus den Mann aufnahm, konnte der Patient in Weißwasser wieder auf eine Normalstation verlegt werden, erinnert sich Susanne Lehmann vom Corona-Stab des Kreises. Zufälle gibt es manchmal im Leben. Die beiden sind bislang die einzigen, die intensivmedizinisch im Landkreis behandelt werden mussten.
Leichter Optimismus nach Behandlungserfolgen
Auch die Chefärzte Uwe Treue und Jörg Lubrich richten sich auch auf eine mehrwöchige Behandlungszeit ihres Patienten ein. Das ist durchaus problematisch, weil die künstliche Beatmung die Lunge einem großen unnatürlichen Druck aussetzt. "Deswegen können wir auch beim besten Willen nicht sagen, ob es zu Langzeitschäden an der Lunge kommt", sagt Lubrich. Doch die Ärzte versuchen, das unbedingt zu verhindern. Nach vier Tagen sind sie vorsichtig optimistisch. Wenn nicht noch etwas geschieht, könnte der 70-Jährige das Schlimmste überstanden haben.