Corona bremst Friedhofsrettung aus

Eigentlich wollten sie gerade so richtig arbeiten. Unkraut beseitigen, Bäume beschneiden, Büsche stutzen, Mauern sanieren, Grabsteine aufrichten.
Doch die Corona-Pandemie macht den Mitstreitern der Initiative zur Erhaltung schlesischer Kulturgüter einen Strich durch die Rechnung. Die vorwiegend aus Deutschland stammenden Engagierten können wegen der Grenzschließung nicht hinein ins Land. Sie haben keinen Zugang zu den ehemaligen evangelischen Friedhöfen, die in Westpolen seit Jahrzehnten verfallen, zuwachsen, verschwinden. Außerdem herrschte teilweise eine Ausgangssperre. Nur notwendige Wege waren erlaubt, auch wenn es jetzt leichte Lockerungen gibt. Wie es 2020 nun weitergeht? Jörg Giessler von der Initiative kann das nicht sagen. Der März sei eine wichtige Zeit für Pflegemaßnahmen, ehe die Bäume ausschlagen, Gras, Brennnesseln und anderes Kraut hochwachsen. Aber der März ist vorbei. Der Frühling grünt und blüht und die Grenzen sind immer noch dicht.
Zugewucherte Wege, umgekippte und eingesunkene Grabsteine, die Gräber vor lauter Wildwuchs längst nicht mehr zu erkennen – an diesem Bild vieler deutscher evangelischer Friedhöfe in Polen wird sich darum aktuell wohl nicht viel ändern lassen. Auch in Niederschlesien nicht. Auch hier nämlich stoßen diejenigen, die sich für die deutsche Vergangenheit der Region interessieren auf solche verlassenen Orte. Ob in Szklarsa Porêba (Schreiberhau), Milicz (Militsch) bei Breslau, in Bogatynia (Reichenau) bei Zittau oder in Żeliszów (Giersdorf), etwa 60 Autominuten von Görlitz entfernt – überall sind oder waren diese Orte des Totengedenkens weitgehend zerstört. So wie vielfach die dazugehörenden Kirchen oder Kapellen. Manchen Stätten hat einfach der Zahn der Zeit zugesetzt. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und nach Vertreibung der zumeist evangelischen Deutschen wurden sie nicht mehr gebraucht.
Die neu angesiedelten Polen waren und sind katholisch. Sie nutzten, wo vorhanden, katholische Gotteshäuser und Begräbnisplätze oder legten neue an. Immer wieder kam es aber auch zu Vandalismus, wie Jörg Giessler weiß. In Żeliszów nahe Boleslawiec (Bunzlau) wurde die Friedhofsmauer als Steinbruch genutzt. „Sie wurde zum großen Teil zerstört. Auch Grufthäuser sind bedauernswerterweise geöffnet worden“, sagt der Mann, dessen Onkel aus Schlesien stammte und der deswegen einen Bezug zum Thema hat.

Jörg Giessler lebt in Görlitz und Breslau. Mit Gleichgesinnten hat er vor zwei Jahren eine Art Interessengemeinschaft ins Leben gerufen. Sie nennt sich „Schlesierfreunde“ oder eben auch „Initiative zur Erhaltung schlesischer Kulturgüter. „Anfangs waren wir fünf bis sieben, jetzt sind es 20 bis 25 Leute, die mitmachen“, sagt Giessler. Es handele sich um Engagierte zumeist aus Deutschland, jüngere und ältere. Gemeinsam kümmern sie sich um solche Friedhöfe, richten sie Schritt für Schritt wieder her. „Wir möchten den Toten die Ehre und den Respekt zurückgeben und die Identität“, erklärt Jörg Giessler. Teilweise entstehen dann offene Friedhöfe mit einer Art Parkkonzept, zugänglich für alle, die sich erinnern wollen, die gedenken, sich interessieren oder einen Ort der Stille suchen.
Kirche wird schon saniert
In Szczodre (Sibyllenort) waren die Schlesierfreunde schon aktiv, einige auch in Milicz. Nun läuft das aktuelle Projekt in Żeliszów. Die Görlitzerin Margrit Kempgen von der Stiftung Evangelisches Schlesien hatte die Gruppe für die Rettungsarbeiten gewonnen. In Żeliszów sei der Friedhof etwas größer als ein Fußballfeld, sei aber zu 80 Prozent verschwunden gewesen. Die Grabsteine umgestürzt, alles zugewachsen. Einen ersten Arbeitseinsatz gab es dort schon im vergangenen Herbst. Die dazugehörende kunstgeschichtlich bedeutende Kirche aus dem späten 18. Jahrhundert wird seit einigen Jahren restauriert. Eine polnische Stiftung hat sie samt Friedhof in Besitz. Ein Kultur- und Begegnungszentrum wird irgendwann ins Gebäude einziehen. Die Kirche soll den Menschen also offenstehen, wie der Friedhof.
Die Wiederherstellung des Begräbnisplatzes machen die Schlesierfreunde ehrenamtlich. Kosten für Geräte wie Motorsägen und Motorsensen oder anderes Material werden über Spenden abgedeckt. Sie bemühen sich auch, die Geschichte des Friedhofes zu erforschen. Parallel zu Żeliszów wollen sich die Engagierten dem Friedhof in Szklarska Porêba und in Bogatynia widmen. Nicht immer ist das einfach. Es gebe hohe Denkmalschutzauflagen. „Sogar wenn wir einen umgekippten Grabstein aufstellen, müssen wir das genehmigen lassen“, so Giessler. Um die Zukunft des restaurierten Friedhofes ist ihm nicht bange. Mutwillige Zerstörung gehöre der Vergangenheit an. Die Bürgermeisterin des Ortes befürworte das Projekt. Schulklassen aus Żeliszów könnten bei der Pflege helfen.Dass ein deutsch-polnisches Miteinander bei diesem Thema möglich ist, hat auch Henning Wätjen erlebt. Der Norddeutsche hat vor einigen Jahren die Begräbnisstätte in Sobota (Zobten) bei Lwówek Ślaski (Löwenberg) in eine Art Gedenkort umgestaltet. Er hatte auf dem devastierten Friedhof nach Grabsteinen gesucht, die noch in Ordnung waren. Neun davon ließ er – eingefasst in die Grundmauern des einstigen Kirchturms – wieder aufstellen. Entwickelt wurde dies alles Schritt für Schritt – mit den Einheimischen.