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Corona: Die Angst vor der Klinik

Schlaganfall-Patienten trauen sich wegen der Pandemie oft nicht ins Krankenhaus. Das kann fatale Folgen haben, sagt der Pirnaer Neurologe Dr. Martin Braun.

Von Thomas Möckel
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Dr. Martin Braun, Leitender Oberarzt Neurologie im Klinikum Pirna: Bei einem Schlaganfall zählt jede Minute.
Dr. Martin Braun, Leitender Oberarzt Neurologie im Klinikum Pirna: Bei einem Schlaganfall zählt jede Minute. © Klinikum Pirna

Ein Schlaganfall kommt meist unvermittelt. Er ist die Folge einer plötzlich auftretenden Durchblutungsstörung im Gehirn, die entweder durch eine Verstopfung eines Blutgefäßes durch ein Blutgerinnsel - der sogenannte Hirninfarkt - oder durch eine Blutung im Gehirn - die sogenannte Hirnblutung - verursacht wird. 

Die Folge: Das Gehirn wird schlagartig nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt, bereits nach wenigen Minuten sterben Nervenzellen unwiederbringlich ab. Um das Leben und die Selbstständigkeit der Patienten zu retten und langfristige Schäden möglichst zu vermeiden, müssen Betroffene schnellstmöglich medizinisch behandelt werden. 

Doch in dieser Hinsicht gibt es derzeit ein gravierendes Problem. Vermutlich aus Angst, sich mit dem Coronavirus anzustecken, zögern manche Patienten und Angehörige, den Notruf 112 zu wählen. "Leider beobachten wir derzeit mit großer Sorge, dass Betroffene die Warnzeichen aus Angst vor Covid-19 nicht ernst nehmen und zum Teil nur zögerlich ins Krankenhaus kommen", sagt Dr. Martin Braun, Leitender Oberarzt Neurologie im Pirnaer Klinikum auf dem Sonnenstein. 

Dieses Zögern kann allerdings lebensgefährliche Folgen haben. "Im Ernstfall zählt jede Minute. Der Sinnspruch 'Time is brain' (Zeit ist Hirn) trifft es auf den Punkt", sagt der Mediziner. Nach einem Schlaganfall gingen pro Minute zwei Millionen Nervenzellen zugrunde. Je früher ein Patient deshalb medizinisch versorgt werde, desto höher seien seine Chancen, den Schlaganfall ohne größere Beeinträchtigungen zu überstehen. 

Am 10. Mai ist der bundesweite Tag gegen den Schlaganfall. Aus diesem Anlass erklärt Dr. Martin Braun, warum Patienten keine Angst vor einer Corona-Ansteckung haben müssen sowie wie sich ein Schlaganfall erkennen und behandeln lässt. 

Besteht die Gefahr einer Corona-Ansteckung?

Nein, die Klinik schließt eine solche Gefahr aus. "Die Angst davor ist unbegründet", sagt Braun. Corona-Verdachtsfälle und -Infizierte würden räumlich streng getrennt von anderen Patienten untersucht und stationär behandelt. Die Notfallversorgung am Klinikum sei weiterhin rund um die Uhr gewährleistet. 

Ist übergroße Vorsicht gefährlich?

Wer die Anzeichen eines Schlaganfalls verdränge, sagt Braun, weil er sich aktuell vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus fürchtet, riskiere dauerhafte Beeinträchtigungen und im schlimmsten Fall sein Leben. "Das Zögern ist zudem unbegründet, da wir in unserem Klinikum strengste Vorkehrungen getroffen haben, um unsere Patienten und Mitarbeiter vor Covid-19 zu schützen", sagt der Neurologe.

Welche Warnsignale deuten auf einen Schlaganfall?

Zu den klassischen Symptomen zählen nach Aussage von Braun eine plötzliche einseitige Lähmung, die eine Körperhälfte oder nur einen Arm, ein Bein oder eine Hand betreffen kann. Aber auch ein einseitiges Taubheitsgefühl in Arm, Bein oder Gesicht, ein einseitig herabhängender Mundwinkel und eine unbewegliche Gesichtshälfte können auf einen Schlaganfall hindeuten. 

Wie lassen sich die Symptome erkennen?

Wenn eine Person bei einem anderen Menschen Schlaganfall-Anzeichen bemerkt, hilft der einfache, sogenannte FAST-Test, um auch als medizinischer Laie zu überprüfen, ob der Betroffene einen Schlaganfall erlitten hat. Die Abkürzung FAST steht für Face (Gesicht), Arm (Arme), Speech (Sprache) und Time (Zeit). Wenn nur eine der folgenden Reaktionen auffällig ist, müsse laut Braun sofort der Notruf 112 gewählt werden. 

  • Face: Bitten Sie den Betroffenen zu lächeln. Verzieht er das Gesicht einseitig, deutet das auf eine Gesichtslähmung hin. 
  • Arm: Bitten Sie den Betroffenen, die Arme nach vorn zu strecken und dabei die Handflächen nach oben zu drehen. Bei einer einseitigen Lähmung kann ein Arm diese Bewegung nicht oder nur verzögert ausführen. 
  • Speech: Bitten Sie den Betroffenen, einen einfachen Satz nachzusprechen. Gelingt dies nicht oder nur undeutlich, ist das als Warnsignal zu werten. 
  • Time: Es zählt jede Minute. Wählen Sie sofort den Notruf 112.

Wie kann ein Schlaganfall therapiert werden?

"Unser Klinikum ist auf die Behandlung des Schlaganfalls vorbereitet und bietet mit einem interdisziplinären Ärzteteam, bestehend aus erfahrenen Neurologen, Gefäßmedizinern und Kardiologen, beste Voraussetzungen", sagt Braun. 

Die Schlaganfalltherapie zielt darauf ab, möglichst schnell die Durchblutung im Gehirn wiederherzustellen, indem die verschlossene Arterie geöffnet wird. Dabei kann ein Gerinnsel auflösendes Medikament oder ein Kathetereingriff zum Einsatz kommen. Dabei wird ein dünner Katheter meist von der Leiste aus bis zu dem verschlossenen Gefäß gebracht. Mit verschiedenen Werkzeugen kann von dort aus das Gerinnsel aus dem Gefäß entfernt werden, sodass die Durchblutung des Gehirns unmittelbar wiederhergestellt werden kann. Dieser Eingriff wird meist in Narkose durchgeführt. 

"Wir arbeiten hier eng mit anderen spezialisierten Medizinern im Schlaganfallnetz Ostsachsen zusammen. Rund um die Uhr können wir per Videotelefonie schnellstmöglich gemeinsam Entscheidungen zur weiteren Behandlung treffen", sagt Braun. 

Welche Risikofaktoren bedingen einen Schlaganfall?

Grundsätzlich: Jeder kann zu jeder Zeit von einem Schlaganfall getroffen werden, aber es gibt verschiedene Faktoren, die einen Schlaganfall begünstigen können. Die gute Nachricht ist laut Martin Braun: man kann einige dieser Risikofaktoren positiv beeinflussen und so das eigene Schlaganfall-Risiko um bis zu 70 Prozent reduzieren. 

Rauchen, Alkohol, hoher Blutdruck, ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel sind Risikofaktoren, die einen Schlaganfall begünstigen. "Das sind alles Faktoren, die jeder selbst in der Hand hat beziehungsweise ordentlich einstellen lassen kann", sagt der Neurologe. 

Nicht zu beeinflussen ist hingegen ein wichtiger Schlaganfall-Risikofaktor: das Alter. Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, stark an. Mehr als 80 Prozent aller Betroffenen sind älter als 60 Jahre. Betroffene Frauen sind im Schnitt 75 Jahre alt, Männer mit etwa 68 Jahren deutlich jünger. 

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