Dresdner Kultur: Absturz auf Provinz-Niveau?

Dresden. Die Kürzungspläne von Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) schockieren Dresdens Kulturlandschaft. Es werden Auswirkungen befürchtet, die viele Dresdner betreffen.
Tatsächlich drohen wegen der Corona-Krise erhebliche Einnahmeausfälle. Zusammen mit den Mehrkosten durch die Pandemie wird mit einem finanziellen Loch von 500 Millionen Euro bis zu einer Milliarde Euro gerechnet. Einen Teil davon übernehmen Land und Bund als Hilfen.
Trotzdem steht Dresden vor einem erheblichen Finanzproblem. OB Hilbert will den Haushalt für 2021/2022 dennoch ohne direkte Schulden gedeckt bekommen. Ein Punkt ist die Kürzung aller Sachausgaben um zwölf Prozent, mit einigen wenigen Ausnahmen wie Sozialhilfe, die Pflichtaufgaben sind und nicht reduziert werden können.
Scheune, Tonne, Societätstheater in Gefahr
Der erste laute Aufschrei kommt allerdings aus dem Bereich Kultur. "Das wird erhebliche Auswirkungen haben", fürchtet etwa Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Linke). Sie beziffert die fehlende Summe in ihrem Bereich auf rund sechs Millionen Euro. "Sparen bei der Kultur bedeutet unweigerlich, das Angebot zu reduzieren."
Sie beschreibt das Dilemma so: "Wenn wir freie Künstler mehr fördern wollen, wie es gewünscht und richtig ist, müssen wir Geld aus den städtischen Einrichtungen herausziehen." Das funktioniere nur, wenn beispielsweise die Operette weniger Neuinszenierungen auf die Bühne bringe. Das wiederum bedeutet allerdings auch weniger Premieren. "Dann funktioniert unser Abo-Modell nicht mehr, also haben wir dann weniger Einnahmen." Diese Rechnung könne für jede städtische Kultureinrichtung aufgemacht werden.
"Als Alternative könnten die Musikfestspiele zur Disposition gestellt werden", so Klepsch weiter. "Das würde bedeuten, ein etabliertes Festival zu zerstören, Internationalität zu zerstören und der Kulturstadt zu schaden." Auftritte von internationalen Stars wie Eric Clapton oder Sting würde es nicht mehr geben. Es wäre auch eine erhebliche Einschränkung für die Dresdner.
"Wenn die Kürzungen so bleiben wie geplant, müssen wir vom Rückbau der kommunalen Infrastruktur reden. Genauso trifft es die freien Träger wie das Societätstheater, die Scheune, den Jazzclub Tonne - sogar Schließungen müssen befürchtet werden", warnt die Kulturbürgermeisterin. "Dann fallen wir auf Provinz-Niveau." Mit Städten wie München, Berlin, Hamburg und Leipzig könne Dresden sich dann nicht mehr vergleichen. Die Eintrittspreise überall deutlich anzuheben, um die fehlenden Millionen auszugleichen, würde die Dresdner allerdings ebenfalls hart treffen.
Bibliotheken: Weniger Angebot in allen Bereichen
Der Chef der Städtischen Bibliotheken, Arend Flemming, beschreibt die Auswirkungen auf die Bibliotheken so: Einige Sachkosten wie der Unterhalt der Bibliotheken und Technik seien nicht reduzierbar. Andere wie Reinigungskosten, die Absicherung der Hygienevorgaben, Lesepaten und -lotsen, Bücherboten und Moderatoren stiegen hingegen und eingeworbene Zuschüsse brächen "coronabedingt" weg.
Für das Projekt "Open Library", also Bibliotheken an sieben Tagen pro Woche zu öffnen, stehen laut Flemming 2021/22 keine Mittel zur Verfügung. "Eine Weiterführung der Zeiten in der Südvorstadt ist genauso unmöglich wie die Aufnahme neuer Bibliotheken." 2020 war geplant, in Klotzsche länger zu öffnen, 2021 dann in Neustadt und Laubegast.
Auch neue Schulbibliotheken und Verbesserungen an der Ausstattung fallen demnach aus. "Einschneidend", nennt der Bibliotheken-Chef das. "Für die Bestandsaktualisierung und Veranstaltungsarbeit bei den bestehenden Schulbibliotheken stehen bis Ende 2021 keine Mittel und 2022 nur 2.000 statt 5.000 Euro für jede der 40 Schulbibliotheken zur Verfügung. 2022 kann keine neue Schulbibliothek eröffnet werden."
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Zudem müssen laut Flemming Veranstaltungen für Kinder erheblich reduziert und für den Bereich Integration in den Bibliotheken müssen die Mittel um mehr als 40 Prozent gekürzt werden.
Auch der Medien-Etat sei überdurchschnittlich betroffen. Das bedeutet, in diesem Jahr können aufgrund der Haushaltssperre gar keine neuen Bücher, Zeitschriften, Spiele, Filme und so weiter angeschafft werden. 2021 werden es deutlich weniger als bisher und 2022 gibt es erneut eine Kürzung für diesen Etat. Dabei seien Medien das zentrale Informations- und Bildungsinstrument der Städtischen Bibliotheken, erklärt Flemming. "In keiner anderen deutschen Großstadt ist die Nutzung, also Entleihungen pro Einwohner, so hoch ist wie in Dresden. Daher wird sich die Kürzung auf die Qualität der Bibliothek und unmittelbar auf die Bereiche Leseförderung, Unterstützung des schulischen Lernens und Erwachsenenbildung auswirken."
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Dieses Szenario sorgt bei der Kulturpolitikerin und Grünen-Fraktionschefin Christiane Filius-Jehne für Entsetzen. "Wir zerschlagen uns so unsere eigenen Strukturen." Kultur sei der "Motor" für Wirtschaft und Tourismus. "Die Aussagen des Oberbürgermeisters lassen Kürzungen in Größenordnungen befürchten." Zwar könnten die Kulturinstitutionen durchaus einen Beitrag zum Sparen leisten, aber nicht in diesem Umfang. "Sonst schießen wir uns selbst ins Knie."
Selbstverständlich müsse auch in der Kultur geschaut werden, ob Ausgaben aufschiebbar seien, meint SPD-Fraktionschefin Dana Frohwieser. "Aber dort kann nicht pauschal gekürzt werden. Der Bereich ist nicht für große Kürzungen geeignet, es wäre aber auch falsch, ihn von vornherein herauszunehmen."
Ähnlich sieht es auch die CDU. "Bei der Kultur müssen wir ganz genau hinscheuen", sagt Stadtrat Mario Schmidt. "Dort kann man nicht pauschal agieren."
Gar keine Kürzungen in der Kultur fordert dagegen Die Linke. "Kultur ist ein Lebensmittel, das gerade in schweren Zeiten, wie der Corona-Krise, Menschen Halt und Kraft gibt", so Kulturpolitikerin Anne Holowenko. Sie fordere OB Hilbert auf, seine Pläne zu überdenken, denn er spiele freischaffende gegen festangestellte Künstler aus.
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