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Corona-Helden: Die Retter der Wirtschaft

Bei Dresdner Steuerberatern laufen gerade die Telefone heiß. Im Akkord klären sie Unternehmer auf, stellen Anträge, sind Seelentröster - und selbst in Sorge.

Von Nadja Laske
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Täglich beraten sich die Steuerberater Steffen Schmidt (l.) und Hans-Joachim Kraatz über Unternehmen in existenzieller Not.
Täglich beraten sich die Steuerberater Steffen Schmidt (l.) und Hans-Joachim Kraatz über Unternehmen in existenzieller Not. © Sven Ellger/SZ-Bildstelle

Dresden. Rot auf Weiß ist die allgegenwärtige Aufforderung gedruckt. Sie hängt an der Tür zur Steuerberatungskanzlei KMK  an der Bergstraße: Bitte hier warten! 

Solange diese Verhaltensregel nur Mandanten und Besucher betrifft, mag die Welt zumindest innerhalb dieser historischen Villa noch in Ordnung sein. In Ordnung bedeutet: Die Steuerexperten dürfen in den Büros ihre Aufgaben erledigen. Denn ihre Arbeit ist jetzt nachgefragt wie nie zuvor. Weder die Finanzkrise noch die Flutkatastrophen haben sie je so stark gefordert wie das wirtschaftliche Fiasko, das sich durch die Corona-Pandemie anbahnt. 

Einer, dessen Telefon dieser Tage unaufhörlich klingelt, ist Steffen Schmidt. Der Ansturm begann nicht erst, als die Dresdner Restaurants nur noch bis 18 Uhr öffnen durften. Schon zuvor waren die Gastronomen verzweifelt, weil immer mehr Plätze in ihren Lokalen leer blieben. Die Gäste verzichteten aufs Ausgehen, aus Sorge, sich in Menschenmengen dem Virus auszusetzen. Doch spätestens, seit Restaurants, Kantinen, Imbisse dicht machen mussten, Friseure, Kosmetik- und Fitnessstudios ihre Kunden auf unbestimmte Zeit nicht empfangen können, Theater nicht spielen und Konzerte nicht stattfinden, nimmt die Sorge um die Existenz apokalyptische Ausmaße an.

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"Es gibt fast keine Branche, die nicht betroffen ist", sagt Steffen Schmidt. Der Geschäftsführer der Dresdner KMK-Steuerberatungsgesellschaft kann in jede Himmelsrichtung zeigen, in der Gastronomen, die zu seiner Mandantschaft gehören, mit dem Ruin ringen. "Sie rufen an und sagen, sie brauchen jetzt Geld, nicht erst in drei, vier Wochen." 

Verzweifelte Menschen anzuhören, zu beruhigen, ihnen Perspektiven aufzuzeigen und zu erklären, welche Wirtschaftshilfen für sie infrage kommen, das nimmt den Großteil seines Tagwerks ein. Keins dieser existenziellen Telefonate ist in einigen Minuten erledigt. Schmidt und sein Partner Hans-Joachim Kraatz haben vier, fünf Mitarbeiter nur dafür eingesetzt, Fragen der Betroffenen aufzulisten und Informationen dazu zu beschaffen.

Kleinere Unternehmen haben bessere Chancen

Unbefriedigend steht es im Augenblick um alle Unternehmer, die mehr als eine Million Umsatz im Jahr haben. Wohlgemerkt: Umsatz. "Aber wie schnell kommt ein Friseur mit mehreren Filialen oder ein Gastronom auf eine Million", sagt Schmidt. Davon gehen Löhne, Mieten, Raten, Wareneinsätze ab. "Das ist ein großes Dilemma", bestätigt auch Hans-Joachim Kraatz. Der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater leitet ebenfalls die KMK und ist Fachberater für Restrukturierung und Unternehmensplanung des Deutschen Steuerberater Verbandes e.V.

Für kleinere Unternehmen sehen die beiden Experten Kraatz und Schmidt deutlich bessere Chancen. Für sie hat die Bundesregierung Wirtschaftshilfen auf den Weg gebracht, die hoffen lassen. "Das Programm ist aus unserer Sicht wirklich gut und anzuerkennen", sind sie sich einig. Bis zu 50.000 Euro Darlehen zu null Prozent Zinsen, rückzahlbar ab drei Jahren nach Inanspruchnahme und über einen Zeitraum von insgesamt zehn Jahren, ist die eine Maßnahme. Außerdem erhalten Firmen Zuschüsse, die sie nicht zurückgeben müssen, und für die sie Ersparnisse nicht zuvor aufbrauchen müssen. Einmalig 9.000 Euro sind Unternehmen mit bis zu fünf Mitarbeitern versprochen, 15.000 Euro Unternehmen mit bis zu zehn Angestellten. Mit diesen Ausschüttungen gibt es jedoch Probleme.

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"Das alles sind gute Angebote, sie müssen nur halt auch beim Unternehmer ankommen", sagt Kraatz. Am Montag meldete die Sächsische Aufbaubank auf ihrer Homepage, dass das Förderportal kurzfristig nicht erreichbar sei. Angedeutet hatte sich das schon Tage zuvor. "Die Technik ist überlastet, oft ist es gar nicht möglich, Onlineanträge auszufüllen", weiß auch Steffen Schmidt.

Dessen Hauptaufgabe ist es derzeit, Unternehmern dabei zu helfen, Kurzarbeitergeld zu beantragen. "Die meisten Mandanten sind mit solchen Dingen überfordert. Es ist auch wirklich nicht leicht, diese Anmeldungen zu erledigen", sagt er. Mit dem Ansturm auf diese Notlösung, Lohnkosten vorübergehend nicht tragen zu müssen, sind etliche zusätzliche Mitarbeiter rund um die Uhr beschäftigt. Die haben auch eigene Ängste. "Wir trösten und ermutigen nicht nur unsere Mandanten, sondern auch unsere Mitarbeiter", sagt Hans-Joachim Kraatz. Seiner 80-köpfigen Mannschaft hat er volle Gehaltszahlung zugesichert - solange die Krise auch dauert. "Egal, woher wir das Geld am Ende nehmen."

Diese Frage ist nicht weit hergeholt. Denn Steuerberatungskanzleien geht es nur so lange gut, wie es ihren Kunden gut geht. "Unser Ziel ist es, allen unseren Mandanten durch diese Krise zu helfen", sagt Hans-Joachim Kraatz. Doch auch auf sein eigenes Unternehmen muss er achten: "Wir stellen ganz normal Rechnungen, denn wir können unsere Leistungen ja nicht verschenken." 

"Wir gehören nicht zu den systemrelevanten Berufen"

Mit Einbußen in eigener Sache rechnet er ohnehin. "Allein die Arbeit im Homeoffice wird uns eine Wertschöpfungsminderung in Höhe von 20 bis 30 Prozent bescheren", sagt der Steuerfachmann. Das betreffe vor allem Unternehmen, die wie seins rund 70 Prozent Frauen im Team haben. "Mütter mit kleinen Kindern können zu Hause nicht genau so viel Arbeit schaffen, wie im Büro." Schließlich leisten sie derzeit auch noch die Betreuung und Beschulung. Schmidt weiß das nur zu gut. Auch er hat ein kleines Kind daheim.

Eine weitere Sorge treibt Steffen Schmidt und Hans-Joachim Kraatz um: "Wir gehören nicht zu den sogenannten systemrelevanten Berufen." Das bedeute im Ernstfall einer Ausgangssperre, dass Steuerberater nicht mehr das Haus verlassen, nicht ins Büro gehen, keine Unterlagen von Kunden entgegennehmen können. "Für uns und für die betroffenen Unternehmen wäre das eine Katastrophe", sagt Kraatz. Zwar laufe der Antrag auf Einstufung als relevant fürs System. Doch was, wenn sich die Dinge überschlagen, wie schon so oft in jüngster Zeit?

"Wir müssen arbeitsfähig bleiben!" Eindringlich sprechen Schmidt und Kraatz von "der außerordentlichen Notsituation", in der sich die Wirtschaft befinde. Dafür braucht es Experten, die den komplexen Grenzgang der Unternehmer begleiten. "Auf die finanziellen Fragen, die Corona aufwirft, gibt es keine einfachen Antworten."

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