Oberlausitzer Weltenbummler hängt fest

Vor einigen Tagen erreichte Bernd Stange eine unverhoffte Anfrage. Ein Fernsehsender aus dem Irak nahm mit einer Bitte Kontakt auf. Vielleicht könne er ein kleines Video aufnehmen und den Menschen in dem Land im Mittleren Osten raten, angesichts der Coronavirus-Pandemie zu Hause zu bleiben. „Dass man sich nach so vielen Jahren an mich erinnert, da war ich erst mal überrascht, aber natürlich auch erfreut“, berichtet Stange.
Also kramte er die alte Jacke hervor, die Stange noch aus der Zeit als Nationaltrainer des Irak von 2002 bis 2004 besaß. Sein Engagement war anfangs umstritten, weil es noch unter dem Regime von Diktator Saddam Hussein begonnen hatte. Doch nach dem Umsturz bekam er für die gleiche Arbeit, nämlich die mit seinen Fußballern, wie Stange immer betonte, unter anderem den Ehrenpreis des Fifa-Präsidenten. Mit seiner Mannschaft gelang ihm die Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele 2004 in Athen, bei denen er sie aber aufgrund der angespannten Sicherheitslage nicht mehr betreuen konnte. Sein Team belegte den vierten Platz.
Nun, fast 16 Jahre später, schlüpfte der 72-Jährige noch mal in seine Trainingsjacke von damals, schnappte sich sein Smartphone und drehte in seinem Jenaer Garten das gewünschte Video. So half er einmal mehr den Menschen in dem zerrütteten Land – und auch ein wenig sich selbst.
Denn der Weltenbummler sitzt zu Hause fest. Da ist jede Abwechslung natürlich willkommen. Eigentlich sollte er in diesen Tagen in Aserbaidschan weilen und dort Vorträge in der Trainerausbildung halten. Doch wie alles andere liegt auch diese Reise erst mal auf Eis. „Ich halte mich strikt an die Vorgaben der Experten“, betont Stange. Krisen sind für ihn nichts Neues.
Es gibt Bilder, die er nicht mehr aus dem Kopf bekommt
Der ehemalige Coach der DDR-Nationalmannschaft hat viel Leid gesehen und erlebt – nicht nur im Irak, auch in Syrien, wo er zuletzt Auswahltrainer war. „Es gibt Bilder, die bekomme ich nicht mehr aus dem Kopf“, sagt er. „Wenn ich bei der Essensausgabe geholfen habe und unzählige Kinder ihre leeren Schüsseln hochreckten, um nur ein wenig mehr trockenen Reis zu bekommen, dann sind die Opfer, die wir gerade erbringen, vergleichsweise klein.“
Stange hofft, dass die Corona-Krise die Welt zu einem solidarischeren Ort macht. „Es liegt mir total fern, diese Krise herunterzuspielen. Sie schafft genug Leid“, meint er. „Doch jetzt, wo es uns erwischt hat, tritt alles andere in den Hintergrund. Es gibt nur noch Corona. Ich hoffe, dass die Welt Corona als Weckruf sieht.“ Als Weckruf dafür, sich nach überstandener Pandemie weiterhin dem Leid anderer zu widmen. „Hunger, Wassermangel oder Malaria – ich wünsche mir, dass wir danach mit gleicher Intensität diese Probleme angehen und Todesraten senken“, betont der in Gnaschwitz bei Bautzen geborene Stange. Allein ihm fehle aus Erfahrung der Glaube. „Aber ich lasse mich gern überraschen.“
Er gibt nach der Krise wieder sein Wissen in aller Welt weiter. In Singapur, Weißrussland, Oman, Ukraine und Zypern war er Trainer. „Jetzt halte ich Vorträge, bin in Weißrussland oder Aserbaidschan unterwegs“, berichtet der Oberlausitzer. Zuletzt gab es eine Anfrage von einem Klub aus Zypern, ob er noch einmal Trainer sein wolle. Doch diese Zeit ist vorbei, seit ihn der syrische Verband mitten im Asien-Cup Anfang 2019, kurz vor dem Spiel gegen Australien, entlassen hat. „Das war sehr hart für mich. Von heute auf morgen war Schluss, und man trägt sich immer mit dem Gedanken, dass es das doch nicht gewesen sein könne“, erklärt Stange, der darüber bereits vor beinahe einem Jahr in einem exklusiven SZ-Interview sprach.
Doch das war es. Neben seinen internationalen Vorträgen tourt der Oberlausitzer außerdem mit einem Talkshow-Format durch die Region. „Mit meinem alten Freund Jürgen Croy plaudere ich ein wenig über die vergangenen Zeiten. Das wird gut angenommen und bereitet mir viel Freude“, sagt Stange – ebenso viel Freude wie unverhoffte Anfragen aus dem Irak. (dpa)