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Corona-Helden am Kochtopf

Warum in einer Herrnhuter Großküche manches halbiert und anderes doppelt ist, Touren-Fahrer abwaschen und mit dem Essen auch mal Klopapier ins Haus kommt.

Von Anja Beutler
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Herrnhuts Küchenleiter Hansjörg Kassner und seine Mitarbeiter Martin Israel, Sebastian Neuke und Katja Wünsche (von rechts) kochen in der Corona-Krise anders als sonst.
Herrnhuts Küchenleiter Hansjörg Kassner und seine Mitarbeiter Martin Israel, Sebastian Neuke und Katja Wünsche (von rechts) kochen in der Corona-Krise anders als sonst. © Matthias Weber/photoweber.de

Das Team an Topf und Pfanne ist nur noch halb so groß wie sonst - die Arbeit nicht wirklich. Hansjörg Kassner hat in Herrnhuts Zentralküche wegen Corona umstrukturiert und jetzt aus einer Küchenmannschaft zwei Teams zusammengestellt, die sich abwechseln. "Wir sind jetzt jeweils zu dritt in einer Schicht", erklärt er. Das diensthabende Team muss am Stück sieben Tage lang ran, von 5.30 Uhr bis mindestens gegen 15 Uhr. Auch zu Ostern. Es sind harte Zeiten für die Mitarbeiter der Zentralküche der Herrnhuter Diakonie. Aber ihre Kochkünste werden mehr denn je gebraucht.

Normalerweise kochen die Herrnhuter täglich zwischen 600 und 750 Essen. Sie haben Laufkundschaft, die im Speisesaal am Zinzendorfplatz einkehrt. Sie beliefern außerdem Kitas, die Diakonie-Tagespflege und viele Esser zu Hause. Jetzt ist alles anders: 300 Essen sind es jetzt im Schnitt pro Tag. Mehr als sonst - um die 140 statt 100 Essen - werden nach Hause geliefert, beispielsweise weil Senioren nicht mehr selbst einkaufen und kochen können. Auch die Auswahl ist von den üblichen zwei Essen auf eines geschrumpft. "Mehr schaffen wir einfach nicht", sagt Küchenchef Hansjörg Kassner. Ausfallen dürfe in den Teams jedenfalls niemand.

Aushilfskräfte kreativ ersetzen

Normalerweise unterstützen in der Herrnhuter Zentralküche Mitarbeiter mit Handicap das Kochteam. Beispielsweise beim Abwasch. Doch das ist derzeit nicht möglich, aus den Wohnbereichen der Diakonie darf niemand helfen kommen, alle müssen "zu Hause" bleiben. Damit sich die Abwaschberge bewältigen lassen, hat Kassner kreativ umgestellt: Das Porzellangeschirr, in dem der Umwelt zuliebe das Essen an Kunden ausgefahren wird, tauschte er vorübergehend wieder gegen Alu-Assietten. Die Fahrer, die das Essen liefern, müssen jetzt beim Abwasch helfen: "Wir teilen uns mit der Tagespflege fünf Fahrer, da aber derzeit das Holen und Bringen der Senioren wegfällt, fahren drei bei uns das Essen aus, die anderen zwei helfen beim Spülen", schildert Kassner, der vor zwei Jahren als Küchenchef in Herrnhut angefangen hat und zuvor unter anderem in seiner mittelhessischen Heimat auch in Hotels in der Küche zu Hause war.

Der schwierigste Spagat ist die Menü-Auswahl: Das Essen muss den Bewohnern der Diakonie-Wohngruppen schmecken, die alle versorgt werden müssen, weil die geschützten Werkstätten geschlossen sind, ebenso den Senioren und den Kindergartenkindern in der Notbetreuung. Das gelinge nicht immer restlos. "Aber unsere Kunden haben sehr viel Verständnis", betont Kassner. Dafür schickt der Küchenchef auf Bestellung mit dem Mittagessen auch schon mal eine Packung Toilettenpapier oder eine frische Milch mit zu älteren Stammkunden, die selbst Schwierigkeiten mit den Einkäufen haben. "Man hilft, wo man kann", sagt Kassner.

Herrnhuter bieten Lieferdienste weiter an

Zu den wunderlichen Dingen dieser Tage gehört auch, dass Hansjörg Kassner beim Einkauf überraschende Schnäppchen machen kann: "Ich habe letztens Kalbfleisch günstig bekommen, was ich mir sonst im Alltagsgeschäft nicht leisten kann", sagt er. Da Restaurants und Hotels derzeit eben keine großen Mengen abnehmen, sinken bei einigen Waren die Preise und die Herrnhuter können etwas Besonderes auf die Speisekarte setzen.

Neue Kunden nimmt Kassner nach wie vor gern an. "Wir liefern in ganz Herrnhut und etwa zehn Kilometer darüber hinaus, auf Nachfrage mitunter auch weiter", umreißt er den Radius. 4,50 Euro kostet ein Essen, nur am Sonntag ist es ein Euro mehr. Und auch wenn der 58-Jährige in seiner langen Koch-Karriere eine solche Situation noch nie erlebt hat, kochen er und sein Team dennoch mit Lust und Liebe, betont er.

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