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Wie eine Busfahrerin zur Corona-Heldin wurde

Auch in Corona-Zeiten steuert Heike Stanski ihren Bus ruhig durch Dresden – und findet zum Teil erschreckend, was sie dabei erlebt.

Von Tobias Wolf
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Heike Stanski fährt Bus für die Dresdner Verkehrsbetriebe DVB auch in Corona-Krisenzeiten, über manche Fahrgäste kann sie sich nur wundern.
Heike Stanski fährt Bus für die Dresdner Verkehrsbetriebe DVB auch in Corona-Krisenzeiten, über manche Fahrgäste kann sie sich nur wundern. © Tobias Wolf

Klick, klick, klick. Monoton klackert das Blinker-Relais. Anbremsen, ein bisschen ausholen, dann rollt der gelbe Gelenkbus um die Ecke. Es ist kurz nach 16 Uhr. Ruhig steuert Heike Stanski den 19 Meter langen und gut 20 Tonnen schweren Dreiachser durch den Dresdner Osten. Durch breite und enge Straßen, vorbei an kleinen Villen und Mietshäusern aus den 1930er-Jahren. Vielleicht ein Dutzend Menschen ist an Bord der Linie 61 in Richtung Fernsehturm.

Klick, klick, klick. Das Relais kündigt die Haltestelle an. Ein Zischen aus der Hydraulikanlage. Die Türen gehen auf. Neuerdings alle automatisch, damit niemand einen Knopf berühren muss. Nebeneffekt. Es strömt mehr Frischluft in den Bus, als wenn nur eine Tür aufgeht. An der Fahrertür ein Aufkleber mit Ausrufezeichen: „Diese Tür wird aktuell nicht bedient“. Innen hängt eine rot-weiße Sperrkette hinter der ersten Sitzreihe, daran ein Schild „Ticketverkauf eingestellt!“ und die Bitte, „Abstand zu halten“.

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Heike Stanski ist froh darüber, dass die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB) ihre Fahrerinnen und Fahrer nun abschirmen und Busse und Bahnen in der Nacht nicht nur reinigen, sondern auch desinfizieren lässt. Seit 37 Jahren ist sie auf der Straße, erst mit der Bahn, später mit den großen Gelenkbussen. „Mich erschreckt eigentlich nichts so schnell, aber jetzt fährt die Angst bei jedem von uns mit.“ Die Angst vor dem Coronavirus, einem unsichtbaren Feind.

Wer in diesem Job arbeitet, kommt mit vielen in Kontakt und trägt in der Corona-Krise deutlich höhere Risiken als andere Berufsgruppen. Selbst jetzt fahren in einer Schicht noch Hunderte in Heike Stanskis Bus mit. In normalen Zeiten liebe sie den Kontakt zu Fahrgästen. „Ich würde ja nicht Bus und Bahn fahren, wenn ich nichts mit Menschen zu tun haben wöllte“, sagt die 55-Jährige mit den aschblonden Haaren und dem mütterlichen Lächeln. „Man kennt viele von seinen Stammstrecken, da fehlt jetzt schon ein bisschen der persönliche Gruß.“

Dramatischer Rückgang der Fahrgastzahlen

An der Haltestelle Zwinglistraße warten 20 Fahrgäste. Senioren, Jugendliche, eine Mutter mit Kinderwagen. Stanski guckt auf das stoßzeituntypische Häufchen. „Normalerweise hat man hier zu der Zeit Schwierigkeiten, überhaupt einen Stehplatz zu finden“, sagt Stanski und tritt auf die Bremse. Für 170 Passagiere ist der Wagen ausgelegt.

Fährt Stanski im Berufsverkehr an der Universität vorbei, habe sie sogar Mühe, die Türen überhaupt zu schließen, weil sich Dutzende in die ohnehin vollen Busse reinquetschen wollen. „Heute sind dort gerade mal zwei Leute zugestiegen, acht saßen schon drin.“ Schüler und Studenten müssen zu Hause bleiben, viele arbeiteten im Homeoffice. Von einem dramatischen Rückgang der Fahrgastzahlen sprechen die DVB.

Zwei junge Männer steigen aus. Eine Frau mit Filzmütze, etwa Mitte siebzig drückt einem älteren Mann mit kurz geschorenem weißen Haar sekundenlang die Hände, dann eilt sie auch nach draußen. Mit einem Piepen gehen die Türen zu, der Wagen ruckt an. Der Mann guckt ihr nach, sie dreht sich um und winkt – bis der Bus aus dem Blick entschwindet. Wer weiß, wann sie sich wiedersehen.

Einsteigen direkt beim Fahrer ist in diesen Zeiten nicht erlaubt.
Einsteigen direkt beim Fahrer ist in diesen Zeiten nicht erlaubt. © Tobias Wolf

Der Stadtteil Striesen mit seinen opulenten Bürgerhäusern zieht an den Seitenscheiben vorbei. Fast surreal muten Sonnenschein, der fast wolkenlose Himmel und die baumgesäumten Straßen an. Heike Stanski sagt, eine Situation wie jetzt, hat sie noch nie erlebt. „Das bislang Erschreckendste war für mich die Flut 2002 – und wie leichtsinnig die Leute damit umgegangen sind.“ Eltern, angezogen mit Anglerhosen aus Gummi, seien mit ihren Kindern zum Gucken ins Wasser gestiegen. 

Am Blauen Wunder, Dresdens wohl berühmtester Brücke, hätten sich die Schaulustigen damals gedrängelt. „Irgendwo muss der Mensch doch einen Selbsterhaltungstrieb haben“, sagt Stanski. In ihrem Bus sieht es nicht immer danach aus, wie ihr der Blick in den Rückspiegel immer wieder verrät.

Zwei Teenager sitzen sich ein paar Meter entfernt gegenüber. Die Jungs, beide vielleicht 14 Jahre alt, tippen auf ihren Smartphones herum. Dann stecken sie die Köpfe zusammen, tuscheln, zeigen sich gegenseitig Fotos. Keine Handbreit passt mehr zwischen ihre Gesichter.

Sie erschrecke jedes Mal darüber, wenn fremde Menschen sich trotz Warnung vor zu großer Nähe zu nahe kommen, ganze Gruppen von Jugendlichen einsteigen und zusammensitzen, daneben vielleicht noch ein Grüppchen Senioren. „Es geht nicht um Panikmache, aber manche scheinen es einfach nicht zu begreifen.“

Regeln noch nicht verinnerlicht

Auch sie hat Kinder und einen Enkel. Und auch sie hat Menschen aus der gefährdetsten Risikogruppe in der Familie, Mutter und Schwiegermutter, beide über 70. In Stanskis Bus treffen sich vor allem Risikogruppen und junge Leute.

Wieder steigen paar Senioren ein, eine der Frauen steuert zielgerichtet auf die Sitzbank mit den Teenagern zu, will sich danebensetzen. Ein anderer Passagier spricht sie an: „Sie sollten Abstand halten.“ Die Frau murrt, geht schließlich zu einer der hinteren Reihen. 

Eine andere, um die 60, grau melierte kurze Haare, blaue Samtjacke, steht zwei Meter von der Tür entfernt, wippt mit den Beinen und klammert sich an ihre Einkaufstasche. Sie guckt sich um. Immer wieder. Kommt jemand zu nahe? Zwei Haltestellen später steigt sie energischen Schrittes aus. Eine Frau mit Rucksack und Wanderstöcken steigt ein.

Nicht alle hätten sich schon an die neuen Regeln gewöhnt, auch nicht alle Fahrer. „Da wird geschimpft, wenn wir doch mal vergessen, an einer Haltestelle zu stoppen“, sagt Heike Stanski. „Sonst machen wir das ja nur, wenn einer den Haltewunschknopf drückt oder Leute an der Haltestelle stehen.“ Auch am Schillerplatz, einem der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte im Dresdner Osten, ist deutlich weniger los als sonst. Zwei alte Damen sitzen mit Einkaufstaschen auf einer Bank, hinter ihnen steht auf Plakaten einer Apotheke, dass Masken, Mundschutz und Desinfektionsmittel ausverkauft sind.

Vorne beim Fahrer einsteigen? Derzeit nicht möglich.
Vorne beim Fahrer einsteigen? Derzeit nicht möglich. © Tobias Wolf

Der Bus rollt auf das Blaue Wunder zu, vorbei am nahezu ausgestorbenen Wochenmarkt. Ein Mann mit Dreitagebart und zurückgegeltem Haar, telefoniert laut vernehmlich auf seinem Sitz. Gesprächsfetzen deuten darauf hin, dass er Immobilienmakler ist. „Es geht jetzt nicht um die Wohnungen, die vermietet werden.“ Später sagt er: „Was, du bist in Quarantäne, vier Tage noch?“ Während er spricht, schreibt er ein paar Zeilen in ein Notizbuch, dann wischt er sich mit dem Stift in der Hand die Nase ab. Wie viele Griffe und Oberflächen wird er bis zum Aussteigen noch anfassen?

Den Elbhang hinauf geht es Richtung Osten, in die eher ländlichen Stadtteile. Von denen, die noch im Bus sind, halten die meisten Abstand. Ein älterer Mann entdeckt eine Bekannte, will sie heranwinken. Sie schüttelt den Kopf, winkt aus drei Metern Abstand. Er ruft: „Na dann einen schönen Gruß zuhause.“ Die Frau nickt und steigt an der nächsten Haltestelle aus.

Zwei Senioren freuen sich beim Anblick des Fernsehturms, der beim Näherkommen immer größer zu werden scheint. Noch vor dem einstigen Besuchermagneten sind alle Fahrgäste ausgestiegen. Heike Stanski lässt den Bus in die Wendeschleife unterhalb des Turms rollen. In diesen Zeiten ein einsamer Ort. Nur ein Möbellaster parkt noch auf der Fläche. Stanski hat zehn Minuten Pause mit einem Blick, für den Touristen sonst extra her kommen. Sie atmet durch. Die rot-gelb-grau gemusterte Krawatte, die eine Klammer in Form eines Gelenkbusses an die weiße Bluse pinnt, flattert im Wind.

Verhaltensregeln? Nicht für uns!

Auf dem Rückweg ins Zentrum fragt sich Stanski ein ums andere Mal, warum es immer noch so viele Menschen gibt, denen die Anordnungen der Behörden egal sind. Ist es Arroganz, ist es Ignoranz?

Fünf Jugendliche setzen sich in eine Vierer-Sitzgruppe. Als einer früher aussteigt, umarmen sich alle. Keinen Meter entfernt unterhält sich ein Seniorenpärchen angeregt mit Bekannten. Eine vielleicht 16-Jährige und zwei Mittdreißigerinnen, den Namen eines Gartenbaubetriebs auf ihren Latzhosen, achten auf Abstand zu anderen. Ein Seniorenpärchen, der Kleidung nach eher betuchtes Elbhang-Bürgertum, teilt sich auf. Während der Mann in der Nähe des Eingangs bleibt, setzt sich seine Frau direkt neben die Arbeiterinnen.

Die meisten würden sich aber an das Abstandsgebot von mindestens eineinhalb Metern halten, sagt Heike Stanski. Die Busfahrerin, die ein Team aus 50 Fahrern leitet, verströmt Ruhe, Erfahrung und Sicherheit. Die ersten vier Stunden ihrer Schicht hat sie im Betriebshof verbracht, Teil zwei des Arbeitstages auf dem Fahrersitz.

Wie für ihre Kollegen gilt auch für Stanski: Erst recht in Corona-Zeiten. „Wir fahren jetzt vor allem für Krankenschwestern und andere, die jetzt ganz dringend gebraucht werden und uns auf dem Arbeitsweg nutzen“, sagt Stanski. „Andere, die kein Auto haben, müssen zum Arzt kommen oder einkaufen gehen.“ Für all das werde der Betrieb aufrechterhalten.

Und solange die gelben Busse und Bahnen durch Dresden rollen, gibt das auch der sonst ziemlich menschenleeren Stadt noch ein bisschen sichtbare öffentliche Normalität.