"Es geht aber nicht nur um die Fußball-Millionäre"

Dresden/Aue. Das Gespräch wird zweimal unterbrochen. „Entschuldigung, aber Herr Kretschmer ruft an“, erklärt Helge Leonhardt. Wenige Minuten später muss der Präsident des Fußball-Zweitligisten Erzgebirge Aue wieder ans Handy. „Der Herr Seifert, sorry, das ist wirklich wichtig.“ Erst der Ministerpräsident, dann der Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga (DFL) – Leonhardts Meinung ist in diesen Tagen, in denen über die Fortsetzung der 1. und 2. Bundesliga mit Geisterspielen heftig diskutiert wird, gefragt.
Seit 2014 ist der 61-Jährige Aue-Präsident, zusammen mit seinem Bruder leitet er die Unternehmen der Leonhardt Group. Im SZ-Interview spricht er über den Profifußball in Corona-Zeiten.
Herr Leonhardt, wie alle 36 Erst- und Zweitligisten haben auch Sie und Aue für eine Fortsetzung der Saison gestimmt. Warum?
Ich bin vom Konzept der DFL überzeugt. Das kann gut gehen, auch wenn es natürlich eine Gratwanderung ist. Die Gesundheit steht im Vordergrund, auf der anderen Seite müssen wir so schnell wie möglich ins wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zurückkehren. Profifußball ist Wirtschaft und gesellschaftliches Leben. Deshalb sehe ich auch nicht, dass der Profifußball jetzt eine Sonderrolle einnimmt.
Trotzdem gibt es nicht wenige Stimmen, die genau das behaupten und kritisieren.
In der Krise spielen oftmals Emotionen eine wichtigere Rolle als Fakten, weil die Menschen große Sorgen haben. Ein Beispiel: Es wurde behauptet, dass die 20.000 Proben für die Spieler an anderer Stelle nötiger gebraucht werden. Dabei machen sie gerade einmal 0,4 Prozent des gesamten Testvolumens in Deutschland aus. Und Christian Seifert hat klar gesagt, dass die Saison sofort abgebrochen wird, wenn sich die Lage ändern sollte. Jeder Industriezweig, also auch der Profifußball, hat das Recht, eigene Konzepte vorzulegen, und dann muss die Politik entscheiden.
Die Ultras haben sich deutschlandweit gegen Geisterspiele ausgesprochen.
Die Ultras vom FC Erzgebirge haben sich da nicht beteiligt, wir arbeiten eng zusammen wie unter Kumpels. Sie unterstützen den Verein vorbildlich und wissen genau, dass man nur so den Kollateralschaden, den das Coronavirus im Fußball hinterlässt, minimieren kann. Ohne Geisterspiele kann die Bundesliga von der Bildfläche verschwinden, das muss man so deutlich sagen. Deshalb sollte man es versuchen, es ist ein Test. Und wenn es nicht gut geht, brechen wir es eben ab. Wir werden wahrscheinlich bis zum Jahresende nicht mit Zuschauern spielen können, aber wir werden versuchen, diese Branche am Leben zu halten.

Für manche ist es die Branche der Fußball-Millionäre.
Das ist die Rhetorik, die Kritiker gerne verwenden, um gehört zu werden. Es geht aber nicht nur um die Fußball-Millionäre, sondern auch um tausende Kinder und Jugendliche in den Profivereinen. Das wird oft vergessen. Der FC Erzgebirge hat 16 Abteilungen vom Schwimmen bis zum Behindertensport. Wir sind damit im Grunde die größte Schule und die größte Kita in der gesamten Region, weil wir hier im Verein die meisten Jungen und Mädchen ausbilden und betreuen. Und noch eins: Sowohl Aue als auch Dynamo Dresden sind große Arbeitgeber in ihren Städten, Wirtschaftsunternehmen mit zig tausenden Mitgliedern, Fans und Angestellten – und damit große Steuerzahler.
Wieviele Arbeitsplätze hängen direkt am FC Erzgebirge?
Unmittelbar mehr als 100, zusammen mit der gesamten Infrastruktur noch viel, viel mehr. Wir haben, wie schon gesagt, nicht nur die Fußballer.
Durch die Geisterspiele fließt die letzte TV-Rate, doch die Einnahmen durch die Zuschauer fehlen trotzdem. Wie viel Geld verliert Aue da?
Wenn wir bis zum Jahresende vor leeren Rängen spielen müssten, wovon man ausgehen sollte, wären das Millionen. Da geht es ja nicht nur um die Eintrittskarten, sondern auch um die Vip-Pakete, die Werbung – das fällt alles weg.
Wird Aue mit den Geisterspielen über die Runden kommen?
Wir kämpfen. Und weil wir kämpfen, werden wir es auch schaffen. Da muss jetzt jeder seinen Betrag leisten, das sage ich jedem Angestellten genauso wie dem Cheftrainer, den Spielern und den Abteilungen. Das ist nun mal so in Krisen, sonst kommt man nicht durch.
Und was passiert mit dem FC Erzgebirge, wenn die Saison doch nicht zu Ende gespielt wird?
(Überlegt lange) Auch dann geht es weiter – mit den Prämissen, die ich gerade genannt habe.
Sie haben als einer der Ersten aus dem Bereich Profifußball von Kurzarbeit gesprochen, notfalls auch für die Spieler. War Ihnen als Unternehmer sofort klar, welche wirtschaftlichen Folgen die Pandemie für den Verein haben könnte?
Ich habe ein Gespür dafür entwickelt – auch aus den Erfahrungen der letzten Krisen, als in den USA nach dem 11. September die Aktienkurse einstürzten, ein Jahr später die Jahrhundertflut in Sachsen wütete und 2008 die Weltfinanzkrise losbrach. Die war für unsere Unternehmensgruppe scheußlich. Ich bin halt kein Fußballfunktionär, sondern ein Wirtschaftsmann, der mit seinem Bruder weltweit unterwegs ist und damit – im Vergleich zu anderen – viele Einblicke hat. Als ich hörte, dass der Virus in Österreich, Italien und Spanien angekommen ist, wusste ich: Das wird ein Drama. Und das ist auch noch nicht ausgestanden.
Konnte der Verein dabei vom Unternehmer Leonhardt profitieren?
Ja. In solch einer Situation braucht man Manager, die sich nicht abducken, sondern die Entscheidungen treffen, einen Plan und ein gutes Team um sich haben und knallhart täglich führen. Ich kann und darf nicht im Homeoffice rumsitzen. Ich muss an meinen Arbeitern in den Fabriken vorbeigehen und auch an den Fußballern. Die müssen wissen: Der Chef ist da. Das schafft Vertrauen und Zusammenhalt.
Auch für die Spieler sind leere Stadien eine ungewohnte Situation. Fällt es in solch einer tristen Atmosphäre nicht schwer, sich auf die sportliche Brisanz zu konzentrieren?
Die Angst im Kopf könnte zum entscheidenden Faktor werden. Damit meine ich nicht nur die Angst vorm Abstieg, sondern vor allem die um den Arbeitsplatz. Schließlich wissen wir nicht, wieviele Vereine das durchhalten werden.
Haben die Klubs, die Ende Juni aus der zweiten Liga absteigen müssen, überhaupt eine Chance zu überleben?
Das ist dann der Super-Gau. Deshalb müssen wir auch den Vereinen in der dritten und vierten Liga helfen. Die sind die wirklich am härtesten Bestraften in der aktuellen Situation.
Was, wenn Aue absteigen sollte?
Darüber möchte ich nicht nachdenken.
Was wird sich nach dem Ende der Krise ändern?
In der neuen Saison, wann immer die dann beginnen wird, müssen wir die Budgets anpassen und wenn nötig auch bei den Spielerverträgen, der Stärke des Profikaders, des Trainer- und Funktionsteams, bei der Geschäftsstelle und den generellen Fixkosten korrigieren. Die Ausgaben müssen den Einnahmen angepasst werden. Das ist dann eine komplette Restrukturierung.
Das heißt, die einzige Konsequenz für den Profifußball wäre weniger Geld?
Man muss da unterscheiden. Die Erstligisten generieren große Summen aus den TV-Verträgen, außerdem sind oftmals Konzerne an den Spielbetriebsgesellschaften beteiligt. Da fließt immer Geld. Eine Delle wird es bei den Gehältern und den Transfers geben. In diesem Punkt wünsche ich mir generell und dringend Regeln, die Fifa, Uefa und national die DFL aufstellen sollten – auch, um den Fußball in ein besseres Licht zur rücken. Aber: Wenn die Normalität zurückkehrt, kehrt auch das Finanzielle ganz schnell in die Regionen vor der Pandemie zurück. Ich hoffe zwar, dass es anders kommt, glaube aber nicht daran. Das ist nun mal das Gesetz des Kapitals.
Und in der zweiten Liga?
Da ist es anders, weil es da bei den meisten Klubs nicht um diese horrenden Transfersummen und Gehälter geht. Trotzdem sollte man auch hier über neue Transferregeln nachdenken. Durch die Pandemie haben wir jetzt die Chance, auf ein vernünftiges Level zu kommen.
Das Gespräch führte Daniel Klein.
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