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Kommt mit Corona das Depressions-Loch?

Angst vor Jobverlust und Firmenpleite, hohe psychische Belastungen zu Hause. Einige schlagen jetzt Alarm - andere wagen noch keine Diagnose.

Von Anja Beutler
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Wie viele Menschen bleiben beim Kampf gegen Corona psychisch auf der Strecke?
Wie viele Menschen bleiben beim Kampf gegen Corona psychisch auf der Strecke? © dpa-Zentralbild (Archivbild)

Kritiker der Corona-Maßnahmen warnen vehement davor: Mit oder nach dem Corona-Shutdown könnte eine Depressions- und Suizidwelle ungeahnten Ausmaßes auf uns zurollen. Möglicherweise - so die Befürchtung - bringen sich am Ende gar mehr Menschen wegen der Folgen des Shutdowns um als an der Corona-Infektion tatsächlich sterben. Auch die Zittauer Kritiker-Gruppe gegen die Corona-Maßnahmen formulierte deshalb in ihrem Aufruf vom 9. April: "Hört lieber auf klagende Nervenärzte, die jetzt schon die katastrophalen Auswirkungen der Maßnahmen in der Sprechstunde erfahren." Peter Dierich, Mitstreiter der Gruppierung, erklärte außerdem, man habe generell Sorge, "dass sich die Selbstmordzahl durch die fehlerhafte Politik noch wesentlich weiter erhöht."

Fest steht bislang vor allem: "Die genaue Situation kann derzeit schwer abgeschätzt werden", sagt Steffi Weise, Psychiatriekoordinatorin des Landkreises. Warum, liegt auf der Hand: Zum einen werden die Auswirkungen auf die Wirtschaft erst jetzt langsam sicht- und greifbar. Zum anderen können Ärzte zwar bereits erkrankte und in Behandlung befindliche Personen im Blick behalten - bislang gesunde Menschen, die durch die aktuelle Lage eine Depression entwickeln oder Suizidgedanken haben, sind niemandem vorab bekannt. Und statistische Daten - etwa zu einer in den vergangenen Wochen möglicherweise gestiegenen Suizdrate - gibt es nicht, bestätigen sowohl Statistisches Landes- als auch Bundesamt. Die neusten Bundesdaten werden im Mai veröffentlicht - und das sind die Daten des Jahres 2018.

Corona-Sorgen sind vielfältig

Was erkennbar sein könnte, sind Warnsignale oder Anzeichen, wie stark die Krise auf Betroffene wirkt. Aus dem Fachkrankenhaus Großschweidnitz heißt es generell: "Eine erhöhte Suizidgefahr können wir derzeit nicht feststellen." Doch die Mediziner nehmen bei den Patienten beim Thema Corona sehr wohl Verunsicherung wahr und die werden nach Angaben von Kliniksprecherin Andrea Witschel auch zur Sprache gebracht. Dabei seien die Inhalte sehr unterschiedlich: "Sie beziehen sich auf eine mögliche eigene Infektion, auf Verluste, welche sie in der aktuellen Epidemie und den damit verbundenen notwendigen Maßnahmen erleiden, wie Arbeitsplatzverlust, Verlust sozialer Kontakte und Weiteres. Auch finanzielle Sorgen werden verbalisiert", erklärt Frau Witschel.

Das sind die Themen, die - je länger die Corona-Maßnahmen dauern - gesunde Menschen ebenso stark beschäftigen: Doppelbelastung mit Kinderbetreuung und Beruf im Homeoffice, Existenzängste und Verdienstverluste. "Menschen ohne bekannte Vorerkrankungen sind zwar widerstands- und tragfähiger, doch auch sie müssen in Zeiten wie diesen flexibler werden und Ruhe bewahren", betont Steffi Weise vom Landkreis. Wer in Not gerate - gerade auch in seelische Not - sollte sich ohne Scham Unterstützung suchen, wirbt sie. Der Kreis habe entsprechende Hilfsangebote in petto.

Psychiatriekoordinatorin Steffi Weise weiß um die psychischen Gefahren, die in Krisensituationen stecken - auch jetzt in der Corona-Krise. Sie rät, rechtzeitig Hilfe zu suchen.
Psychiatriekoordinatorin Steffi Weise weiß um die psychischen Gefahren, die in Krisensituationen stecken - auch jetzt in der Corona-Krise. Sie rät, rechtzeitig Hilfe zu suchen. © Landratsamt

Hilfsangebote jeglicher Art brauchen auch all jene, die nicht so stabil gebaut sind - und bereits Erkrankungen durchlebt haben - wie Uwe Baumgart. Seit 2003 ist er Mitglied in einer Depressions-Selbsthilfegruppe im Landkreis. Pauschale Angst gebe es unter seinen Mitstreitern nicht, sagt er. Allerdings seien alle in seiner Gruppe im Ruhestand. Das sähe bei Menschen im Berufsleben sicher anders aus. "Aber es sind im Grunde eigentlich immer sehr individuelle Dinge, die Angst auslösen", sagt er. Allein, dass es jetzt schwieriger sei als sonst, einen Arzttermin zu bekommen, dass man lange Zeit nicht einfach so rausgehen konnte, sei für manche Betroffenen eine große Herausforderung: "Solche Menschen sind nicht so flexibel", betont er. Hinzu komme, dass durch die Corona-Einschränkungen die feste Tagesstruktur fehle, die sonst Alltag und Halt gewesen ist. Wer aber in einer guten Partnerschaft lebe oder generell nicht alleine ist, könne auch mit der jetzigen Situation klarkommen.

Kreis sieht keinen Engpass

Prinzipiell, so betont Uwe Baumgart, gebe es ja nach wie vor Behandlungsmöglichkeiten - wenngleich auch anders als bislang. Das bestätigt auch das Fachkrankenhaus Großschweidnitz, das nach wie vor eingeschränkt arbeitet und nur Notfälle und Patienten mit dringlichen Anliegen aufnimmt, zugleich aber Betten für Covid-19-Erkrankte freihält. Die Psychiatrische Institutsambulanz hat sich inzwischen auf neue Kommunikationswege eingerichtet: "Kontakte erfolgen derzeit auf Grundlage einer Videosprechstunde oder telefonisch. Nur Notfällen wird gestattet, persönlich in der Ambulanz zu erscheinen", skizziert Klinik-Sprecherin Witschel. Für Anfragen von Bürgern ist zudem ein "Sorgentelefon" geschaltet, das psychologische Mitarbeiter betreuen.

So haben sich die Corona-Fälle entwickelt.
So haben sich die Corona-Fälle entwickelt. © Gernot Grunwald

Gebündelt, koordiniert und ergänzt wird diese Hilfe für Menschen in psychischen Notlagen beim Landkreis. Psychiatriekoordinatorin Steffi Weise sieht bei der Behandlung  psychisch Erkrankter derzeit keine generellen Engpässe - auch nicht bei den Psychotherapien und niedergelassenen Fachärzten in der Region. Dass aber auch in den Praxen manches anders laufe, beispielsweise eher per Videosprechstunde oder telefonisch Kontakt gehalten werde, bestätigt sie. Hinweise, dass die Suizidzahlen aktuell steigen, hat sie nicht. Anfragen - durch Betroffene und Angehörige - gebe es zwar, aber "keine signifikante Erhöhung der Hilfeanfragen, welche mit Zahlen zu untermauern wären", sagt sie.

Schlüsse auf die Auswirkungen der Krise wollen auch niedergelassene Praxen - wie die von Dr. Martens, der in Löbau eine Niederlassung seines MVZs betreibt, derzeit noch nicht wagen. Die aktuelle Unsicherheit sei aber auch bei seinen Patienten - Kindern und Jugendlichen - ein Thema. Generell, so sehen es die Praktiker, werden wohl die kommenden Wochen und Monate entscheiden, wie stark der psychische Nachhall dieser Krise auf die Menschen im Kreis sein wird. Dass sich schon jetzt eine Katastrophe abzeichne, sei momentan nicht zu belegen.

Hilfen für Menschen mit psychischen Erkrankungen und Notlagen:

  • Der sozialpsychiatrische Dienst ist erster Ansprechpartner und hat Angebote wie zum Beispiel Umgang mit Situation, Empfehlung Tagesstruktur erarbeitet: 03581 6632713.
  • Telefonseelsorge Oberlausitz: 0800 11101411 oder 0800 1110222
  • Online-Angebote für Betroffene und Angehörige bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe oder der Deutschen Depressionsliga.

Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.

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