Nachbarschaft in Coronazeiten: "Weil die Kinder so laut sind"

Es ist ein Kinder- und Jugendhaus, betont Anja Vogler. "Wir nennen es nicht Heim." Die Mitarbeiterin der Diakonie Libera zeigt das Gebäude am Karlshagener Weg in Klotzsche - und das schöne große Gartengelände dahinter. Hier genießen die 24 Kinder, die aus verschiedenen Gründen nicht bei ihren Familien leben, die Zeit in der Sonne. Vor allem jetzt, wenn alle Schulen geschlossen sind, der gewohnte Alltag und die Struktur sich verändert, ist das Spielen im Freien umso wichtiger, sagt Anja Vogler. Wenn es da nicht jenen Nachbarn gebe, der dafür offenbar kein Verständnis aufbringen kann.
Kinder-Lärm und Arbeitsstress prallen aufeinander
Johannes Martin ist stellvertretender Leiter des Kinderhauses und weiß, wie problematisch und belastend die Situation für die Kinder ist. Manche sind traumatisiert, haben nicht selten Gewalt in ihren Familien erlebt, zeigen sich verhaltensauffällig, wie Fachleute das nennen. Der Großteil der Kinder ist zwischen einem und acht Jahren alt, betreut werden sie bis zum Alter von 14 Jahren, wenn das nötig ist. Den Kleinen im Garten zu sagen, sie müssen leise sein beim Spielen, sei ein Ding der Unmöglichkeit, sagt Johannes Martin. Doch genau das verlangt der Nachbar, den Martin schon mehrmals am Telefon hatte. Der Mann wohnt offenbar in einem der Wohnhäuser direkt neben dem Freigelände des Kinderhauses.
"Er sagt, er müsse im Homeoffice arbeiten, könne das aber nicht, weil die Kinder so laut sind." Persönlich ist der Mann noch nie im Kinderhaus gewesen, er ruft an, ohne seinen Namen und seine Adresse zu nennen - oder schickt gleich die Polizei vorbei, so Martin. Wie am vergangenen Wochenende. "Die Beamten haben nichts weiter unternommen, denn wir sind eine Kindereinrichtung und halten uns ja auch an die Zeiten, wenn die Kinder rausgehen." Das sei täglich vormittags und nachmittags, jetzt, in der Corona-Krise, vielleicht auch etwas länger als sonst, aber niemals mittags in der Ruhezeit.
Direkt neben dem Kinderhaus befindet sich eine städtische Kita, in der normalerweise mehr als 160 Kinder betreut werden. Auch dort gibt es ein großes Außengelände. Für den Nachbarn dürfte es eigentlich nichts Neues sein, dass Kinder draußen spielen und dabei laut sind. Allerdings wird er das im Normalfall gar nicht mitbekommen, wenn er tagsüber auf der Arbeit ist. Nun ist der Mann im Homeoffice mit dem Kinderlärm konfrontiert.
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"Er ist immer sachlich", beschreibt Johannes Martin die Telefonate, die mitunter eine halbe Stunde dauern. "Aber er lässt sich nicht von mir überzeugen, dass unser pädagogisches Konzept nur so funktioniert und wir die Kinder nicht zum Stillsein zwingen." Mittlerweile würden die Telefonate viel Nerven und vor allem Zeit kosten. Zeit, die die Pädagogen und Betreuer lieber für die Kinder nutzen würden. Deshalb appelliert Johannes Martin an den wiederum genervten Nachbarn und hofft auf dessen Verständnis für die Kinder.
Ohne Zweifel: Kinder können laut sein, wenn sie toben. Rein rechtlich ist die Sache allerdings eindeutig: Grundsätzlich müssen Nachbarn den Lärm von spielenden Kindern ertragen. Auch, weil Kindertagesstätten in großen Wohngebieten benötigt werden.
Mittagessen aus dem "Anno Domini"
Trotz des Nachbarschaftsstreits sind Anja Vogler und Johannes Martin derzeit guter Dinge. Denn es gibt viele Hilfsangebote - von anderen Nachbarn und Ehrenamtlern. Es werden Mundschutze genäht, die die Diakonie auch in anderen Einrichtungen einsetzt, ein Lehrer der Laborschule hilft den Erst- bis Sechsklässlern bei ihren Schulaufgaben, und Mario Ziechner, der das Restaurant "Anno Domini" in Klotzsche betreibt, bringt zweimal in der Woche Mittagessen vorbei. Als Spende. "Gestern gab es außerdem Eis und Joghurt", erzählt Johannes Martin über Ziechner, der schon in den vergangenen Jahren das Kinderhaus immer wieder unterstützt hat. So kann Klotzscher Nachbarschaftshilfe auch aussehen.
Um alle Hilfsangebote von Ehrenamtlern zu bündeln und besser koordinieren zu können, bittet Anja Vogler all jene, die unterstützen wollen, eine E-Mail an [email protected] zu schicken. "Am besten vielleicht mit einer konkreten Idee. Wir überlegen derzeit, was wir noch für unsere Senioren, die ja nicht besucht werden dürfen, machen können."
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