Skisprung-Legende funkt SOS mit leeren Stühlen

Dresden. Hinter ihm liegt der siebente Sonntag in Folge ohne Arbeit. „Ich hatte noch nie so viele freie Wochenenden am Stück“, sagt Jens Weißflog. Die meisten Tage in dieser unfreiwilligen Zwangspause seien auch noch schön gewesen, also wettermäßig: blauer Himmel, grüne Wiesen, Sonne satt – beste Voraussetzungen für volle Gaststätten und Hotels. Doch nichts da: Gastronomen wie er müssen am 19. März aufgrund der Corona-Pandemie schließen und dürfen bisher nicht wieder öffnen.
Am 17. April machen Hoteliers auf dem Dresdner Altmarkt erstmals mit 1.000 leeren Stühlen auf ihre Notlage aufmerksam. Seitdem weisen sie immer wieder freitags bundesweit mit Nachdruck auf ihre prekäre Situation hin. Eine Woche später beteiligt Weißflog sich an der Aktion im Crottendorfer Räucherkerzenland, eine von 100 Initiativen in Deutschland: „Da haben 60 Betriebe 300 leere Stühle hingestellt.“ Er findet die Aktion „großartig, die Präsenz der Politik beachtlich“: Bundestagsabgeordneter, Landrat, tourismuspolitischer Sprecher – wichtige Entscheidungsträger.
"Wir können alle Auflagen erfüllen"

Die Skisprung-Legende ist auch am Tag der Arbeit im heimischen Oberwiesenthal dabei. Der Feiertag passt wie kein anderer zur Forderung seiner Branche: Sie will so schnell wie möglich wieder loslegen. 1.000 leere Stühle von 90 Firmen stehen als großes SOS an der Freilichtbühne. Sie sind unzufrieden mit den bisher beschlossenen Lockerungen, fordern eine klare Perspektive für die Branche, an der weitere hängen: Brauereien, Lieferanten, Reinigungsfirmen, Veranstalter, Wäschereien. Sie erwarten ein klares Ausstiegsszenario.
„Im Moment kommt es mir so vor wie Brot und Spiele“, meint Weißflog, der seit 1996 am Fuße des Fichtelberges sein Appartementhotel betreibt. „Es dürfen viele öffnen bis hin zu großen Möbelgeschäften, Freizeiteinrichtungen, Museen und so weiter – außer denen, die sich auch ohne Corona das ganze Jahr um Hygiene unter strengen Auflagen kümmern“, erklärt der 55-Jährige. „Wir können alle Auflagen erfüllen, auf Abstand achten, Hotel- und Restaurantgäste trennen.“
"Da fühle ich mich als Mittelständler benachteiligt"

Natürlich gebe es Hilfen, aber gestaffeltes Kurzarbeitergeld und ermäßigte Mehrwertsteuer seien ein Stückwerk, das nachgebessert werden müsse. „Die sieben Prozent sind zwar ein Anfang“, sagt der viermalige Vierschanzentourneegewinner. „Aber bei null Euro Umsatz bringen sie mir nichts.“ Weißflog kritisiert, dass der gesenkte Satz nur vom 1. Juli 2020 bis 30. Juni 2021 gelten soll. „Dann stehen wir nach einem Jahr wieder vor dem gleichen Problem.“ Schließlich gilt die niedrigere Steuer in 21 von 28 Ländern der Europäischen Union. Künftig müssten die sieben Prozent unabhängig von der Pandemie in allen EU-Staaten gelten, fordert er. Zudem pocht die Branche auf 90 Prozent Kurzarbeitergeld.
Weißflog hofft auch auf Soforthilfen für die mittelständischen Betriebe. „Ich habe 22 Angestellte“, sagt der Geschäftsführer. „Der Unterschied zwischen Unternehmen mit zehn und elf Beschäftigten erschließt sich mir nicht.“ Kleinere Betriebe mit bis zu fünf oder zehn Mitarbeitern bekommen einmalige Zuschüsse von bis zu 9.000 oder 15.000 Euro, größere bis 100 Arbeitsplätze und einem Jahresumsatz von mindestens einer Million Euro nicht. „Da fühle ich mich als Mittelständler benachteiligt.“
Dabei gelten Firmen wie seine als Wirtschaftsmotor. Sie bieten die meisten Arbeitsplätze und Lehrstellen. „Ich muss einen Kredit aufnehmen – zwar ohne Zinsen, aber dennoch schiebe ich eine Welle vor mir her, die wächst.“ Er könne ausgefallene Erträge nicht mit weiteren Schulden ausgleichen, argumentiert Weißflog.
Deshalb stoppt er den Plan, in diesem Jahr das Nebengebäude auszubauen. Dort sollten acht Doppelzimmer und zwei Suiten entstehen. „Das ist eine größere Investition, die ich nicht umsetzen kann, wenn ich keinen gesicherten Umsatz habe. Ich muss sie trotz vorliegender Bescheide und herausgerissener Wände verschieben.“
Frühlings-Haft statt frühlingshaft

Er vermisst die Gäste. Ostern sei frühlingshaft gewesen, aber dieses Mal eben auch Frühlings-Haft, meint Weißflog. Den Humor hat er nicht verloren. Das Geschenk, das es zu Ostern bei einer Übernachtung in seinem Hotel gegeben hätte, haben sie den Besuchern, die zu Hause bleiben mussten, per Post geschickt. Der süße Gruß sei sehr gut angekommen. „Sie haben sich bedankt und drücken uns die Daumen. Das ist eine sehr schöne Interaktion.“
Aber wie lange hält der Betrieb den Stillstand aus? Diese Sorge treibt den Olympiasieger genauso um wie seine Kollegen. „Hinter uns liegen gute Jahre“, sagt Weißflog. „Ein, zwei Monate überstehen wir.“ Im März habe er die vollen Lohnkosten – 50.000 Euro – bei der Hälfte der Einnahmen bezahlt. „Trotz der Kurzarbeit, die ein Verwaltungsakt gewesen ist, haben wir weiter fixe Kosten.“
Hotels und Restaurants hätten als Erste schließen müssen. „Wir gehören zu den Letzten, die wieder öffnen. Wann, steht in den Sternen. Es gibt kein Datum, auf das wir hinarbeiten und hoffen können.“ Er bleibt optimistisch, hält Mitte Mai für realistisch, setzt vage nach dem zweiten langen Wochenende ohne Einnahmen weiter auf die nächsten beiden mit Christi Himmelfahrt und Pfingsten.
Weißflog würde zunächst Ferienhäuser und -wohnungen wieder öffnen, um den Tourismus anzukurbeln. „Das sind Gäste, die kein Restaurant brauchen. Sie gehen in die Geschäfte, kaufen im Supermarkt ein oder erzgebirgische Volkskunst und erwecken Oberwiesenthal zum Leben.“ Als früherer Leistungssportler hofft er auf das Hoch nach dem Tief. Seit Sonntag gibt es schon mal ein positives Zeichen. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig schlägt vor, zumindest Außenbereiche unter strengen Auflagen ab dem 15. Mai zu öffnen.