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Corona: Lebenshilfe im Krisenmodus

Die Pandemie stellt den Wohlfahrtsträger vor enorme Herausforderungen. Dennoch muss der Betrieb weiterlaufen - wenn auch eingeschränkt.

Von Thomas Möckel
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Lebenshilfe-Geschäftsführer Burkart Preuß (l.), Vereinschef Ralf Thiele: Die Mitarbeiter leisten derzeit Unglaubliches.
Lebenshilfe-Geschäftsführer Burkart Preuß (l.), Vereinschef Ralf Thiele: Die Mitarbeiter leisten derzeit Unglaubliches. © Norbert Millauer

Welche Wucher-Auswüchse die Corona-Pandemie zuweilen mit sich bringt, erlebte Burkart Preuß erst kürzlich. Preuß, Geschäftsführer der Lebenshilfe Pirna-Sebnitz-Freital, war auf der Suche nach Atemschutzmasken. Ein solches Paket, das er üblicherweise ordert, kostet reichlich 100 Euro, ist aber derzeit schwer zu bekommen.

Dann tauchte doch ein Angebot auf, doch der Anbieter verlangte für die identische Ware nun 2.500 Euro. Preuß verzichtete.

Stattdessen besann sich die Lebenshilfe auf Eigenhilfe. So nähen nun die Bewohner der Außenwohngruppe in Sebnitz, in der Suchtkranke betreut werden, Schutzmasken.Ein Großteil davon geht an die Dresdner Uniklinik, ein Teil bleibt für den Eigenbedarf.

Auch wenn man sich in diesem Fall zu helfen wusste, zeigt dieses Beispiel: Die Corona-Pandemie stellt auch Wohlfahrtsträger wie die Lebenshilfe vor gewaltige Herausforderungen. Doch trotz aller Probleme und der teils widrigen Umstände muss der Betrieb größtenteils weiterlaufen, wenn auch in vielen Bereichen eingeschränkt. "Ich bin guter Dinge, dass uns das gelingt", sagt Preuß.

Vieles läuft auf Sparflamme

Als freier Träger betreibt die Lebenshilfe im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 25 Einrichtungen, darunter Wohnstätten, Pflegeheime, Werkstätten, integrative Kindertagesstätten. Zum Spektrum gehören auch ambulante Dienste wie heilpädagogische Ferienbetreuung, Integrationshilfe für Schüler, Hilfe im Haushalt sowie ambulante mobile Dienste mit Ergo- und Physiotherapeuten sowie Logopäden. 

Zurzeit können aber nicht alle Bereich wie gewohnt arbeiten. Die Pflegeheime und auch das Kinder- und Jugendhaus im Kurort Rathen sind zwar weiter uneingeschränkt in Betrieb. Aber die Hohwald-Werkstätten sind größtenteils geschlossen, in den Kitas wird nur eine Notbetreuung angeboten, Integrationshilfen sind derzeit passé, Freizeitangebote sind abgesagt, Therapie-Angebote werden nur aufrechterhalten, sofern sie ärztlich verordnet sind.

Finanzielle Verluste lassen sich kompensieren

Auf diese Weise fallen momentan etliche Leistungen weg - und damit auch dringend benötigte Einnahmen. "Wir steuern an der einen oder anderen Stelle schon auf einen finanziellen Engpass zu", sagt Preuß. Eine Refinanzierung sei nicht in allen Bereichen gesichert. In finanzieller Schieflage sieht der Geschäftsführer den Verein allerdings noch lange nicht. Die Lebenshilfe müsse zwar Verluste hinnehmen, könne diese aber noch kompensieren, zumindest derzeit. 

Gleichwohl drängt Lebenshilfe-Vereinschef Ralf Thiele darauf, dass die Wohlfahrtsträger künftig für solche Situationen besser gerüstet werden. "Gerade jetzt brauchen wir finanzielle Sicherheit", sagt Thiele. Für die Zukunft regt er an, die caritativ tätigen Vereine finanziell so auszustatten, dass sie sich ein Polster, eine Rücklage anlegen können, von der sie in außergewöhnlichen Situationen zehren können.

Personal wechselt in andere Bereiche

Trotz der finanziellen Engpässe ist es der Lebenshilfe bislang gelungen, das Personal weitgehend in Vollzeit zu halten. Möglich wird das vor allem dadurch, dass Mitarbeiter, die gerade nicht ihre übliche Tätigkeit ausüben können, vorübergehend in andere Bereiche wechseln. 

So helfen beispielsweise die Beschäftigten der Schulintegrations-Hilfe in den Wohnstätten aus, weil dort mehr Personal gebraucht wird, um die Bewohner täglich 24 Stunden zu betreuen. "Das Schöne ist: unsere Leute fragen nicht, warum, sondern sie machen es einfach", sagt Preuß. Er sei sehr stolz auf seine Belegschaft. Jeder zeige viel Eigeninitiative, viel Verständnis und eine große Einsatzbereitschaft. "Was die Mitarbeiter der Wohlfahrtsträger derzeit generell leisten, ist einfach unglaublich", sagt Preuß.

Schutzkleidung geht zur Neige

Dabei gibt es aber auch so manches Problem zu bewältigen. So betreut die Lebenshilfe in ihren Pflegeheimen auch Patienten mit multiresistenten Keimen. Deren Zimmer darf das Pflegepersonal nur in voller Schutzmontur betreten. Doch die Schutzausrüstung für diese Intensivpflege geht zur Neige, die Bestände reichen nicht mehr lange. "Wenn kein Nachschub kommt, können wir die schweren Fälle nicht mehr versorgen", sagt Thiele. 

Er hofft nun, dass die Lebenshilfe berücksichtigt wird, wenn die vom Bund georderte Schutzkleidung verteilt wird. Zwar wurde dem Verein zwischendurch schon mal Schutzkleidung angeboten, aber für den 20-fachen Preis als üblich war sie unerschwinglich.

Werkstätten produzieren weiter

Und es klemmt auch an anderer Stelle. Die Hohwald-Werkstätten sind größtenteils geschlossen, die dort beschäftigten und betreuten Menschen dürfen sie derzeit grundsätzlich nicht betreten. Dabei sind die Werkstätten laut Thiele ein wichtiger Partner der heimischen Industrie, über 200 Arbeitsplätze gibt es in den Werkstätten, produziert werden Teile für große Firmen wie Gerodur, Bosch oder die Fahrzeugelektrik Pirna. Dieses Geschäft ruht nun weitgehend.

Doch es gibt eine Ausnahme: Jene, bei denen aufgrund der Art und der Schwere der Behinderung nicht von einer erhöhten Ansteckungsgefahr auszugehen ist, dürfen weiter in den Werkstätten arbeiten. 80 Beschäftigte sind derzeit da, um den wirtschaftlichen Betrieb aufrechtzuerhalten. 

Symbolischer Laden für die Tagesstruktur

Darüber hinaus versuchen die Mitarbeiter an anderer Stelle, den Betreuten das derzeit eingeschränkte Leben zu erleichtern. In der Wohnstätte "Sonnenhof" in Lohmen leben überwiegend geistig behinderte Menschen. Sie dürfen momentan keinen Besuch empfangen, auch Ausflüge sind tabu. Dabei ist ein strukturierter Tag immens wichtig, zu dieser Struktur gehören für viele unter anderem der tägliche Weg zum Supermarkt oder zur Apotheke.

Das Personal hat nun im Sonnenhof einen kleinen Laden eingerichtet, in dem die Bewohner symbolisch einkaufen gehen können. "Das hilft ungemein, diese Struktur aufrechtzuerhalten", sagt Preuß.

Mehr Anerkennung für die Pflegeberufe

Trotz aller Einschränkungen sieht Thiele in der Krise auch eine Chance. "Ich hoffe, dass die Politik nun endlich einmal anerkennt, wie wichtig Pflege- und Betreuungsberufe sind", sagt er. Zudem fordert er, dass sich diese Anerkennung auch in finanzieller Weise widerspiegelt und die Beschäftigten künftig mit einem ihrer Leistung entsprechendem Gehalt bedacht werden. 

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