Dynamos Trainer: "Vielleicht sind wir kein Notfall"

Dresden. Es sind die kleinen Episoden, in denen einem klar wird, wie ungewöhnlich diese Corona-Zeit ist. Wenn ein Trainer seinem Spieler vom Balkon winkt, während der zu Hause seine Übungen macht. So konnte Markus Kauczinski den Schweden Linus Wahlqvist beobachten. Seit Mittwoch ist Dynamos Chefcoach wieder in Dresden, die meiste Zeit der häuslichen Quarantäne durfte er bei seiner Frau in Karlsruhe verbringen. Am Freitag um Mitternacht endet die durch das Gesundheitsamt wegen der Corona-Fälle im Team verhängte Ausgangssperre, am Samstag um zehn Uhr geht es wieder auf den Platz im Rudolf-Harbig-Stadion.
Vor dem erneuten Versuch, die Saison in der zweiten Liga zu Ende zu spielen, stellen sich viele Fragen. Markus Kauczinski hat sie in einem virtuellen Pressegespräch beantwortet - und sächsiche.de fasst die Kernaussagen zusammen.
Herr Kauczinski, wie bewerten Sie die insgesamt vier positiven Corona-Tests in der Mannschaft, plus einen im Umfeld?
Den ersten Test, als es einen einzelnen Spieler betraf, haben wir ganz normal hingenommen. Von den beiden nächsten Fällen, die uns in die Quarantäne gebracht haben, waren wir geschockt. Wir mussten uns den Vorwurf gefallen lassen, dass wir daraus Kapital schlagen wollen. Letzten Endes hat sich aber bewahrheitet, dass es eine gute Entscheidung war. Wir hatten zuvor zwei Trainingseinheiten mit Körperkontakt absolviert, sodass die Gefahr groß war, dass weitere Spieler infiziert sind, wir uns lustig anstecken und es nach außen tragen. Deswegen überrascht mich der positive Fall im jüngsten Test nicht.
Wie kommentieren Sie den Vorwurf, Dynamo würde den Abbruch der Saison billigend in Kauf nehmen, um so dem Abstieg in die 3. Liga zu entgehen?
So doof kann man ja gar nicht sein. Wie sollte das aussehen? Wir infizieren keinen Spieler absichtlich, haben keinen Einfluss auf das Gesundheitsamt. Letztlich hat sich gezeigt, dass dessen Sorge berechtigt war. Noch mal: Für uns war das ein Riesenschock. Von daher ist es völlig Banane, so etwas überhaupt zu glauben oder zu denken. Aber heutzutage ist es so, dass jeder seinen Senf dazugibt und meint, sich äußern zu müssen, ohne zu wissen, wie die Sachlage ist.

Haben Sie Angst, sich selbst zu infizieren?
Prinzipiell habe ich so etwas nie, ich bin ein positiv denkender Mensch. Selbst wenn es passieren sollte, habe ich das Gefühl, ich überlebe es. Aber natürlich mache ich mir mittlerweile mehr Gedanken, vor allem um meine Familie, meine Lieben, und bin vorsichtiger, als ich es vor ein paar Wochen war. Man muss verstehen, glaube ich, dass man dieses Virus nicht komplett beherrschen kann. Man kann lediglich die Wahrscheinlichkeit minimieren, sich anzustecken.
Glauben Sie, dass die Spieler und Betreuer durch das Hygienekonzept der DFL in einem Punktspielalltag ausreichend geschützt werden können?
Wir haben gemerkt, dass man sich nicht komplett schützen kann, sondern mit einem Restrisiko leben muss wie in allen anderen Branchen auch. Wir versuchen, das Konzept bestmöglich umzusetzen, aber zu glauben, dass man Infektionen ausschließen kann, ist ein Irrglaube. Das haben wir gemerkt. Die Frau geht arbeiten, die Kinder in die Kita - natürlich gibt es da Übertragungswege.
Haben Spieler deshalb Bedenken, wieder ins Mannschaftstraining einzusteigen?
Sie gehen nach Hause zu ihren Familien, sie sind Väter oder werden bald Vater. Natürlich gibt es die Sorge, dass sie mit jemandem trainieren, der zwar keine Symptome zeigt, das Virus aber in sich trägt und weitergeben kann. Das ist doch völlig normal, erst recht, wenn es so greifbar ist wie bei uns. Diese zwei neuen Fälle nach dem ersten Mannschaftstraining haben uns den Boden unter den Füßen weggezogen. Doch das müssen wir hinter uns lassen. Wir haben vom Verein aus psychologische Hilfe angeboten, aber wenn wir jemandem die Bedenken nicht nehmen können, weil diese Gefahr real ist, werden wir eine Lösung finden. Ich glaube aber, dass die Jungs an Bord sind. Sie lieben den Fußball und sind froh, wieder rauszukommen.
Welcher Wettbewerbsnachteil wiegt schwerer: Der psychische, weil die Konkurrenten gepunktet haben, oder der physische durch den Trainingsrückstand?
Erst einmal der körperliche. Ich glaube, dass wir psychisch eine Motivation aus dieser Situation ziehen können. Da steckt unheimlich viel drin. Man hat Wut im Bauch, fühlt sich ungerecht behandelt und zu Unrecht verurteilt. Und ich spüre bei den Spielern, dass sie aufstehen und sich wehren wollen. Aber das allein wird nicht reichen. Wir müssen sehen, so schnell wie möglich fit zu werden. Die körperliche Verfassung kriegt man nicht auf Knopfdruck hin. Das ist ein Prozess, den kann ich nicht verkürzen. Wenn ich eine Woche bräuchte, um in Top-Form zu kommen, würde ich keine Vorbereitung mehr machen. Das ist im Moment die schwerere Hypothek.

Was haben Sie gedacht, als der neue Terminplan veröffentlicht wurde: für Dynamo mit neun Spielen in 29 Tagen?
Das wird ein schöner Ritt, richtig heftig. Wir haben ja auch drei Auswärtsspiele in sechs Tagen, das ist meine Lieblingswoche. Aber ich habe mich über mich selbst geärgert und mich gefragt, welche Erwartungen ich eigentlich hatte. Es gab nur zwei Möglichkeiten: die Saison verlängern oder unsere Nachholspiele reinquetschen. Es gibt die Regel, dass 48 Stunden zwischen den Spielen liegen müssen, die ist erfüllt. Deshalb müssen wir das annehmen, in England wird auch im Drei-Tage-Rhythmus gespielt.
Fehlt Dynamo im deutschen Profi-Fußball die Lobby, um zum Beispiel eine Verlängerung der Saison zu erreichen?
Das kann ich nicht beurteilen. Natürlich habe ich mir eine Verlängerung der Saison gewünscht, um die Spiele zu entzerren. Es gibt dafür einen Notfallplan, aber vielleicht sind wir kein Notfall. Ich versuche, das nicht persönlich zu nehmen, denn sonst drehst du durch zu Hause in dieser Hilf- und Machtlosigkeit. Ich bin kein Verschwörungstheoretiker und will es auch nicht werden. Wir müssen uns davon frei machen, obwohl es nicht immer leicht fällt.
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Während Dynamo zu Hause saß, haben die Konkurrenten im Abstiegskampf mit ihren Siegen den Druck erhöht. Wie haben Sie das erlebt?
Für den Moment fühlt sich das schlecht an, gerade der letzte Treffer von Wehen Wiesbaden, duchaus kurios (Stuttgart hat gegen das 1:2 Protest eingelegt/d. Red). Ich fühlte mich erinnert an unser Darmstadt-Spiel, als uns ein reguläres Tor aberkannt worden ist. Es war doch klar, dass sich die anderen auch wehren und für den Klassenerhalt kämpfen. Wir müssen Punkte aufholen und uns frei machen von dem, was der Gegner macht. Wir hatten schon mal sieben Punkte Rückstand, jetzt sind es vier, man muss sowieso 37, 38, vielleicht 40 Punkte holen.
Kann es am Ende dieser Saison ein faires Ergebnis geben?
Im Moment fühlt es sich für uns nicht so an. Aber wir könnten auch im Aufstiegskampf das Zünglein an der Waage sein. Wir spielen nach einer Woche Vorbereitung, die eher für die Tour de France taugen würde, gegen Stuttgart, die anderen Kandidaten haben wir ein bisschen später. Für uns gilt es jedoch, nicht in eine Opferrolle zu fallen. Ich spüre die Motivation bei den Jungs, dagegen anzugehen. Es geht anscheinend um höheres Gut, viele Vereine sind in finanzieller Schieflage. Es war wichtig, die Fernsehgelder zu generieren, das Produkt Fußball am Laufen zu halten, damit sich andere Vereine retten können. Dass wir dafür möglicherweise den Preis bezahlen, muss man wohl so hinnehmen. Es wird auch andere treffen.
Also geht es nicht um Gerechtigkeit, um Fairness?
Ich habe vor vier, fünf Wochen in Interviews noch gesagt, entscheidend sei für mich, dass es sportlich fair zugeht und man mit gleichen Mitteln kämpft. Es ist aber ein Stück höhere Gewalt im Spiel. In der gesamten Gesellschaft hat das Virus das Leben verändert, wir müssen unsere Verhaltensweisen anpassen - auch im Fußball. Vielleicht werden wir vorerst damit leben müssen, dass nicht jeder in jedem Moment gleich behandelt werden kann. Wen soll ich dafür zur Verantwortung ziehen, dass wir zwei Wochen in Quarantäne kommen und uns das Virus besonders hart trifft? Dafür kann keiner was. Wir haben eine gute Mannschaft und schon bewiesen, dass wir Stehaufmännchen sind und mit Widrigkeiten umgehen können. Wenn noch etwas kommt: Einfach drauf, wir können das ab!
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