"Das ist humanitärer Wahnsinn"

Schulen, Kindergärten, Läden, Spielplätze: Alles geschlossen. Nur Physiotherapie-Praxen arbeiten noch. Etwa die Hälfte der Patienten hat schon abgesagt. Doch die andere Hälfte ist immer noch zu viel, sagt Thomas Heinz. Der Dresdner betreibt neben der Zentrale und einer Praxis in Dresden auch eine auf dem Pirnaer Sonnenstein. In Bischofswerda wollte er am 1. April eine Praxis öffnen.
Aktuell dürfen Physiotherapie-Praxen geöffnet bleiben. Das klingt gut. Hat aber einen großen Haken. "So lange wir nicht von Amts wegen geschlossen werden, haben wir keinen Anspruch auf Unterstützung." Das sei ein Aspekt, der zweite: "Wir brauchen, so wie andere, annehmbare Hilfe." Die sei kleinen Betrieben bis zu fünf Mitarbeitern zugesichert. "Ich aber habe 50 in drei Praxen." Für die, deren Familien und die täglich immer noch 150 Patienten hat er Verantwortung. Eine, die er vor Jahren freiwillig übernommen hat und die ihn jetzt schier erdrückt. Jeder Patient, jeder Mitarbeiter ist eine Gefahr - und in Gefahr.
Doppelte Probleme
"Was jetzt hier mit uns geschieht, ist komplett fahrlässig", sagt er. Es handelt sich um keine kleine Randgruppe, sondern um schätzungsweise täglich immer noch rund 20.000 Patienten in Dresdner Physiotherapiepraxen. Die Absagen sind vernünftig, hauen den Physiotherapeuten aber wirtschaftlich die Beine weg, sagt Heinz. Ohne eine verordnete Schließung muss er Konkurs anmelden, und ohne finanzielle Hilfe geht es nicht weiter. Wenn er von selbst schließt, meldet er in drei Wochen Konkurs an. "Wir stecken in einem Teufelskreis, alles, was wir machen, kann nur falsch sein."
Seit über einer Woche telefoniert er mit den Ämtern. Macht auf den notwendigen Hygieneschutz und die wirtschaftliche Situation aufmerksam. Schutz für die Patienten, die Mitarbeiter, die keine zwei Meter Abstand zu anderen Menschen einhalten können. Frühestens Ende nächster Woche bekommt er 100 Masken, die er sich über drei Ecken besorgt hat. Die werden nicht vorn und nicht hinten reichen. Handschuhe, Brillen, eigentlich komplette Anzüge würden gebraucht. Vom Dresdner Gesundheitsamt fühlt sich Heinz vergessen, es habe ihn sogar aufgefordert, weiterzumachen. Der Pirnaer Landrat hingegen mache einen perfekten Job.
Doppelte Sorgen
Und die Mitarbeiter? Die machen weiter, weil auch sie sich um ihre Zukunft sorgen und sie sich vergessen fühlen. Sie arbeiten, weil sie das Geld brauchen. Auch wenn diese Sorge in Zeiten ganz anderer Sorgen klein erscheint, für die vielen Familien ist sie genau so existenziell wie alles, was jetzt um uns passiert. "Es ist humanitärer Wahnsinn", sagt Heinz.