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Mit wem protestieren Sie, Herr Peuker?

Die Wortgefechte zwischen Corona-Protestlern und Protestler-Gegnern werden immer heftiger, der Riss immer tiefer. Großschönaus Bürgermeister sorgt sich.

Von Jana Ulbrich
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Großschönaus Bürgermeister Frank Peuker (SPD) macht sich Sorgen, wie vehement die Corona-Krise unser Leben und Zusammenleben beeinflusst.
Großschönaus Bürgermeister Frank Peuker (SPD) macht sich Sorgen, wie vehement die Corona-Krise unser Leben und Zusammenleben beeinflusst. © Matthias Weber

Herr Peuker, die Corona-Protestler haben Sie gefragt, ob auch Sie ihren offenen Brief unterzeichnen wollen, die Corona-Protestbrief-Gegner haben Sie ebenfalls gefragt. Auf beiden Seiten gehören enge Freunde und Weggefährten von Ihnen zu den Unterzeichnern. Warum protestieren Sie auf keiner Seite mit?

Weil die Art und Weise so nicht geht. Die jetzige Situation ist tatsächlich mit der von 1989 nicht mehr zu vergleichen. Damals haben wir gemeinsam nach oft langer Diskussion um einzelne Formulierungen gerungen. So eine Abstimmung hat es hier nicht gegeben. Deswegen habe ich meine Unterschrift auch nicht unter den Protest-Brief gesetzt. Ungeachtet dessen hat im Rahmen der freien Meinungsäußerung jeder das Recht, seine Sorgen zu äußern und Entscheidungen zu hinterfragen. Wo sind wir denn hingekommen, wenn das nicht mehr möglich ist?

Deswegen haben Sie auch den ebenfalls von 100 Menschen unterzeichneten Protestbrief nicht unterschrieben?

Es ist in meinem Augen absolut keine Form der Diskussionskultur mehr, wenn man nicht mehr in der Sache miteinander streitet, sondern Schreiben ins Netz stellt und über die „sozialen“ Medien oder die Presse kommuniziert. Da sind Missverständnisse und Fehlinterpretationen vorprogrammiert, und damit werden Gräben unnötiger  Weise aufgerissen. Ich fühle mich durch beide Schreiben persönlich nicht derart angesprochen, dass ich darauf reagieren müsste. Für mich sind freie Meinungsäußerungen wichtiger Bestandteil der Demokratie. Wie hier Menschen, die ihre Meinung sagen, angegriffen werden, das erschreckt mich sehr.

Macht es Ihnen Angst?

Ja, durchaus. Ich frage mich, was die „Corona-Krise“ - und wie wir damit umgehen - gerade mit uns macht. Mittlerweile gibt es Risse in der Gesellschaft, die die Menschen womöglich noch weiter und tiefer spalten als die Ereignisse im Zuge der „Flüchtlingskrise“ 2015. Es sind regelrecht zwei Lager entstanden, die sich gegenüberstehen. Der Ton droht rauer zu werden, alte Weggefährten gehen plötzlich auf Distanz. Da ich Menschen in beiden Lagern sehr gut und teilweise seit Jahrzehnten kenne und sehr schätze, treibt mich das sehr um. Es gibt auch eine Zeit nach „Corona“. Wie begegnen wir uns dann?

Sie sind doch selbst gegen eine Vorlage des Landkreises in Widerspruch gegangen, die den Gemeinden vorschreiben wollte, wie sie die Maßnahmen aus der Corona-Schutz-Verfügung umsetzen sollten. Ist das nicht auch Protest?

Es ist in einem Rechtsstaat ein normaler Vorgang, dass staatliches Handeln kontrolliert und gerichtlich überprüft werden kann. Ich habe es für nicht umsetzbar und zudem für sehr bedenklich gehalten, wie der Landkreis mit diesen Vollzugs-Hinweisen die geltende sächsische Allgemeinverfügung vor dem Osterwochenende noch unnötig verschärfen wollte. 

Sie haben auch an die Bundes- und Landtagsabgeordneten aus der Region geschrieben, an Ministerpräsident Michael Kretschmer, an den sächsischen Wirtschafts- und an die Gesundheitsministerin. Warum?

Weil ich der Überzeugung bin, dass die parlamentarische Ebene in diesen Prozess eingebunden werden sollte. Ich habe mir ehrlich gesagt niemals vorstellen können, welche Einschränkungen von Grundrechten allein durch das Handeln von Verwaltungen aufgrund eines Gesetzes jetzt möglich sind, solche wie zum Beispiel Versammlungsfreiheit, Religionsfreiheit, Gewerbefreiheit bis hin zum Verbot, dass Pflegebedürftige in den Heimen ihre Kinder und Enkel nicht mehr sehen dürfen. 

Aber diese Einschränkungen kommen doch alle nicht von ungefähr. Sie dienen dem Schutz von Leben.

Das ist richtig. Doch es ist die Frage, in welchem Ausmaß - und vor allem: durch wen legitimiert.

Es sind Regierungsbeschlüsse sowohl der Bundes- als auch der Landesregierung.

Ja, wir haben demokratische Regierungen. Aber wo bleiben hier die Parlamente, deren Aufgabe es ist, die Regierungsarbeit zu kontrollieren? 

Wie hätte dass denn in solchen Situationen sonst gehen sollen?

Ich denke, dass es für die Bevölkerung noch nachvollziehbarer wäre, wenn der Bundestag die Entscheidungen der Regierung bestätigt und im demokratischen Diskurs den Weg aus der Krise abgewogen hätte. Oft heißt es ja, Krisen seien die Stunde der Exekutive, das Parlament sei in solchen Situationen zu träge. Aber Ende März hat der Bundestag einen gigantischen Nachtragshaushalt erlassen. Drei Lesungen an einem Tag. Das zeugt doch von der Handlungsfähigkeit und Entscheidungsfreude der vom Volk gewählten Abgeordneten.

Die angeordneten Maßnahmen werden jetzt schrittweise gelockert. Wird sich dann, in der Zeit nach Corona, nicht alles wieder einrenken - und auch der Graben wieder zugeschüttet?

Ich hoffe es sehr, aber ich befürchte, dass tiefe Wunden zurückbleiben. Wir erleben jetzt eine sehr angstbeladene Stimmung - und wie man sich in dieser Angst gegenseitig so kompromisslos gegenübersteht: Die einen werden als Verschwörer, die anderen als die Obrigkeitshörigen diskreditiert. Mir macht das große Sorgen. Wir werden im Nachgang vor großen Herausforderungen und Problemen stehen. Da brauchen wir dringend einen Konsens in der Gesellschaft und keine dieser Gräben. Wir müssen andere Meinungen aushalten können und vor allem im Gespräch beieinander bleiben.

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