Besuch mit der Drehleiter im Altenheim

Radeberg. Wer seine Liebsten sehen will, setzt alles in Bewegung. Das zeigte sich nun am städtischen Alten- und Pflegeheim in Radeberg. Seit etwa sieben Wochen herrscht hier wegen der Corona-Pandemie striktes Besuchsverbot. Bewohner und Angehörige können sich nicht sehen, geschweige in die Arme schließen. Gespräche sind nur über das Telefon möglich.
Hinzu kommt die Sorge, dass Großmutter oder Großvater an Covid-19 erkranken könnten. Schließlich waren rund 40 Bewohner und Mitarbeiter im Heim positiv auf das Virus getestet worden.
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Alles zusammen gab den Ausschlag für eine ungewöhnliche Aktion. Am Mittwochvormittag fuhr zunächst die Drehleiter der Freiwilligen Feuerwehr Radeberg vor. Kein Blaulicht, keine Sirenen. Auch die bei Brandeinsätzen gewohnte Eile fehlte. Neben den beiden Feuerwehrleuten dann plötzlich ein Mann in Zivil.
Er kletterte in den Rettungskorb, wurde angeschnallt und fuhr dann mit einem Feuerwehrmann an seiner Seite nach oben. Vor einem Fenster im sechsten Stock machte die Leiter Halt. Dort war jetzt ein älterer Herr zu sehen. Dann folgte ein langes Gespräch, da oben in etwa 18 Metern Höhe. Nach zehn, fünfzehn Minuten verabschiedeten sich beide voneinander.
"Das ist meinem Großvater sehr nahe gegangen. Das habe ich an seinen Augen gesehen", sagt Dirk Freitag-Stechl. Er hat seinem Verwandten soeben den ungewöhnlichen Besuch abgestattet. "Wir haben uns das letzte Mal Ende Februar gesehen. Er steht mir besonders nahe. Ihm und meiner Großmutter habe ich glückliche Tage meiner Kindheit zu verdanken. Ich war sehr viel bei ihnen. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Chance hatte, ihn zu sehen", sagt der Radeberger. Seit zwei Jahren wohnt sein Großvater in dem Heim.

Die Idee zu dieser Aktion ist in Gesprächen der Stadtverwaltung mit Radeberger Unternehmern entstanden. "Wir haben nach Möglichkeiten gesucht, wie sich Bewohner und Angehörige nach dem langen Besuchsverbot einmal von Angesicht zu Angesicht sehen können. Dabei gab es den Vorschlag, mit der Drehleiter bis vor das Fenster zu fahren. Dr. Freitag-Stechl war als Inhaber der Cup Laboratorien an den Gesprächen beteiligt. Jetzt haben wir die Idee zum ersten Mal umgesetzt", sagt Radebergs Oberbürgermeister Gerhard Lemm (SPD).
Zuvor hatten Stadt, Feuerwehr und Pflegeheim geklärt, ob die Voraussetzungen gegeben sind. Kommt die Drehleiter überhaupt zum Fenster des Bewohners? Ist der Bewohner gesundheitlich in der Lage für das Gespräch am Fenster? Außerdem ist es nicht jedermanns Sache, in einer luftigen Rettungskanzel bis auf 18 Meter gefahren zu werden, der Besucher muss also schwindelfrei sein.
"Wir haben das nicht als Selbstzweck gemacht. Es ist gewissermaßen der Testlauf für andere Angehörige, die lange Zeit auf den Besuch hier im Pflegeheim verzichten mussten", sagt der OB. Wer also nahe Verwandte im städtischen Alten- und Pflegeheim hat und sich selbst als höhentauglich einschätzt, kann sich melden. Das Heim nimmt die Anfragen entgegen. "Wir müssen dann schauen, ob das Zimmerfenster mit der Drehleiter erreichbar und der Bewohner auch bei ausreichender Gesundheit ist. Dann müssen wir einen Termin finden", sagt Heimleiterin Carolin Proske.
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Vor allem muss aber die Drehleiter zur Verfügung stehen. "Einsätze der Feuerwehr gehen natürlich vor", sagt Frank Höhme, Leiter der Radeberger Feuerwehr. Bei diesem ersten Termin haben er und sein Kollege ihre Freizeit geopfert. "Wir haben heute frei. Bei einer solchen Aktion machen wir aber gerne mit", sagt er.
Wer beim nächsten Drehleiter-Besuch am Pflegeheim mitmacht, muss noch geklärt werden. "Wir müssen jetzt erst einmal sehen, wie viele Anfragen kommen. Eventuell können in der nächsten Zeit die Beschränkungen für Bewohner ohne Corona-Infektionen etwas gelockert werden und Treffen vielleicht im Freien stattfinden. Das entscheidet aber das Gesundheitsamt in Bautzen."
Und wer trägt die Kosten für die außergewöhnliche Aktion? Nach Angaben des Oberbürgermeisters halten diese sich in Grenzen. "Die Drehleiter ist ja vorhanden und das Feuerwehrgerätehaus nur einige hundert Meter vom Pflegeheim entfernt. Uns war es wichtig, eine Möglichkeit zu schaffen, wie sich Bewohner und Angehörige nach der langen Zeit einmal von Angesicht zu Angesicht sehen können. Videotelefonate sind dafür kein wirklicher Ersatz."
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