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Wenn der Ehemann unerreichbar ist

Katharina Weylands Mann hat einen Schlaganfall überlebt und ist in Kreischa in Reha. Wegen Corona sind Besuche verboten. Eine Petition soll das ändern.

Von Tobias Wolf
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Katharina Weyland muss draußen bleiben, während ihr Mann Michael nach einem Schlaganfall in der Kreischaer Bavaria-Klinik einen neuen Weg ins Leben sucht.
Katharina Weyland muss draußen bleiben, während ihr Mann Michael nach einem Schlaganfall in der Kreischaer Bavaria-Klinik einen neuen Weg ins Leben sucht. © Jürgen Lösel

Der Weg hoch zur alten Obstplantage ist menschenleer. Schilder an der Holzbude auf dem Hang erinnern an den Apfelverkauf im Herbst. Von hier kann Katharina Weyland das ganze Gelände der Bavaria-Klinik sehen. Moderne Klinikgebäude, Wohnhäuser für Patienten, Wirtschaftsräume. Weyland könnte runter ins Tal gehen, da wo die Lockwitz durch den beschaulichen Ort Kreischa plätschert. Oder rauf zum Parkplatz, den sie streng genommen auch nicht betreten darf. Überall ist die 47-Jährige mit den grünen Augen und dem platinblonden Kurzschnitt gleich weit von ihrem Mann Michael entfernt, der in der Reha-Klinik II so unerreichbar scheint wie auf einem anderen Kontinent. 

Nur Telefonieren und Videogespräche sind erlaubt. Das Gelände ist abgeriegelt. Überall große Schilder: „STOP – Zutritt verboten“. Sicherheitsleute haben eine Art Straßensperre an der Zufahrt errichtet, checken jedes Auto.

Würde er im Sterben liegen, dürfte sie zu ihm

Seit sieben Wochen hat Weyland ihren Mann nicht gesehen, zuletzt ein paar Tage nach den ersten Ausgangsbeschränkungen im März. Da lag er noch in der Dresdner Uniklinik.

Würde er im Sterben liegen oder auf einer Palliativstation sein, dürfte Katharina Weyland als enge Angehörige zu ihm. Es gibt wenige Ausnahmen bei einem ansonsten umfassenden Besuchsverbot in Heimen und Kliniken.

Katharina Weyland hat eine Petition gestartet, in der sie fordert, die sächsische Corona-Schutz-Verordnung um Ausnahmen für Patienten zu ergänzen, die von lebensverändernden Schicksalsschlägen wie Schlaganfällen betroffen sind.

Michael scheint nach dem Schlaganfall auf dem Weg der Besserung zu sein, der 58-Jährige mache Fortschritte in der Reha, erzählt seine Frau. Nur muss er die ganz alleine machen. Nach der langen Odyssee ist es fast ein Wunder, dass er überhaupt noch lebt. Sie seien immer sehr eng miteinander gewesen, deshalb schmerze die erzwungene Trennung nun umso mehr.

Gespräche statt körperliche Nähe: Manchmal kann Katharina Weyland ihren Michael nur per Telefon erreichen. Das ist anstrengend, weil er nach dem Schlaganfall Konzentrationschwierigkeiten hat.
Gespräche statt körperliche Nähe: Manchmal kann Katharina Weyland ihren Michael nur per Telefon erreichen. Das ist anstrengend, weil er nach dem Schlaganfall Konzentrationschwierigkeiten hat. © Jürgen Lösel

„Seit gut zwei Wochen kommt von ihm immer, wie sehr er mich vermisst und wie hilflos und ausgeliefert er sich fühlt“, sagt Katharina Weyland. Sie versuche, ihn aufzubauen, nur sei es äußerst schwierig, per Video liebevollen Beistand und körperliche Nähe zu geben. „Er fragt jetzt, wann ich bei ihm einziehe. Das tut mir wahnsinnig weh, aber er weiß inzwischen, warum ich nicht komme.“

Telefonieren ist für Michael immer noch anstrengend, er kann sich kaum konzentrieren. Während Katharina Weyland spricht, streichelt sie den Silberreif am linken Ringfinger, will sie etwas betonen, dreht sie ihn drumherum. Ein kleines Kunstwerk in Wellenform. Der letzte Ring, den Michael ihr geschenkt hat, gefühlt ewig her, dabei war das vor nicht einmal einem Jahr am Rande eines Familientreffens in Deutschland.

Michael hat den Ring erkannt, als sie das erste Mal wieder per Video gechattet haben, auch die Glücksbringerkette mit dem roten Herz. „Es ist schön, dass du das trägst“, habe er matt gesagt. Katharina Weyland schluckt, als sie davon erzählt. Michael ist die Liebe ihres Lebens.

Ein Bild aus der Zeit vor dem Schlaganfall: Katharina und Michael Weyland sind beruflich bedingt oft getrennt und sich doch ganz nah.
Ein Bild aus der Zeit vor dem Schlaganfall: Katharina und Michael Weyland sind beruflich bedingt oft getrennt und sich doch ganz nah. ©  privat

Freitag, 31. Januar. Michael Weyland, Chef des Pyramid Continental in der südsudanesischen Hauptstadt Juba, zieht sich nach dem Mittag in sein Zimmer zurück, will mit seiner Frau telefonieren. Seit September ist er Chef des Fünf-Sterne-Hotels. Seit 20 Jahren leitet Michael Weyland Hotels, vor Juba war er auf Sri Lanka.

Weil der Südsudan als gefährlich gilt, ist Ehefrau Katharina nicht mit vor Ort wie sonst. Die Ernährungsberaterin kümmert sich ums gemeinsame Haus in einem italienischen Adria-Örtchen südlich von Rimini, das sie vor Jahren von ihren Eltern bekommen hat, die in Radebeul leben. Katharina Weyland arbeitet in dieser Zeit an ihrer Internetseite, auf der sie Ernährungstipps gibt, und als Italienisch-Übersetzerin.

Also reden die beiden an jenem Januartag wie immer per Videochat miteinander. Ende Februar will er nach Hause kommen für einen ärztlichen Routine-Check. Außerdem steht der 27. Hochzeitstag vor der Tür. Das letzte Mal haben sie sich im Dezember in Dubai getroffen. „Er hat noch gesagt, er fühle sich seit Langem mal wieder richtig gut, richtig fit“, erinnert sich Katharina Weyland. „Dann hat er mitten im Videochat den Schlaganfall bekommen.“

Durch halb Afrika per Ambulanzflug nach Dresden

Im ersten Moment glaubt Katharina Weyland an einen blöden Scherz, dann sei nur noch ein völlig verzerrtes „Alles okay Maus“ von ihm gekommen. „Da hab ich geschnallt, hier stimmt was nicht.“ Sie ruft in der Hotellobby an, aber die Rezeption nimmt sie anfangs nicht ernst. „Die haben vielleicht gedacht, was ist denn das für eine hysterische Alte.“ Nummern von einzelnen Angestellten hat sie nicht, also versucht sie es immer wieder an der Rezeption.

Sie ruft ihren Mann an. Der hebt ab, schafft es noch, den Videochat zu starten, in dem Katharina Weyland mit ansehen muss, wie er mit zuckendem Körper zusammenbricht. Angestellte versuchen zunächst, über den Balkon in das verschlossene Zimmer zu kommen, einer habe sich die Beine gebrochen, als er abstürzte.

40 Minuten nach dem Schlaganfall wird die Tür aufgestemmt, und Michael Weyland kommt in ein Krankenhaus. Ein Arzt teilt Katharina Weyland mit, dass es sich um einen Schlaganfall handele, ihr Mann müsse aber in ein Krankenhaus, das ihn besser versorgen kann.

Wenn Michael Weyland gut drauf ist, kann seine Frau Katharina ihn jeden Tag im Videochat sehen. Nähe ersetzt das nicht.
Wenn Michael Weyland gut drauf ist, kann seine Frau Katharina ihn jeden Tag im Videochat sehen. Nähe ersetzt das nicht. © privat

Per Ambulanzflug geht es ins kenianische Nairobi. Hier trifft Weylands Frau drei Tage nach dem Videochat ein, nachdem sie Haus und Hof verrammelt und die Hunde versorgt hat.

In Nairobi operieren die Ärzte Michael Weyland am Kopf, aber eine Nachsorge findet praktisch nicht statt. Katharina Weyland wacht jeden Tag neun Stunden am Bett. Außer dem Schlaganfall habe ihr Mann eine schwere Blutvergiftung, eine Pilzinfektion und Milzinfarkte erlitten. Die Nieren versagen, die Venen kollabieren, immer wieder Fieberschübe. „Alles durch den Schlaganfall und die lange Zeit, die er intubiert war.“

Katharina Weyland kämpft mit einem Anwalt, damit die Versicherung die Heimreise nach Deutschland bezahlt. Wieder geht es in ein Ambulanzflugzeug, zunächst in den Sudan, von dort nach Assuan in Ägypten und dann nach Heraklion auf Kreta.

Seelischer Halt ist wichtig für Genesung

24 Stunden nach dem Start in Nairobi landet Michael Weyland in Dresden. In der Uniklinik gelingt es den Ärzten endlich, die Auswirkungen des Schlaganfalls in den Griff zu bekommen. Nach zwei Wochen wird Michael von der normalen Intensivstation auf die neurologische Intensivstation verlegt, seine Frau darf ihn während dieser Zeit jeden Tag besuchen.

„Als dann das Besuchsverbot kam, bin ich heulend rausgerannt“, sagt sie. „Ich wusste ja nicht, wann ich ihn wiedersehen würde.“ Der Transport in die Reha-Einrichtung in Kreischa findet ohne sie statt. Katharina Weyland sitzt machtlos im Haus ihrer Eltern in Radebeul.

Seit Mitte April darf sie einmal die Woche bis zur Rezeption, um etwas für ihn abzugeben. „Da habe ich ihm mal was Nettes zu essen gebracht und eine Kuscheldecke“, sagt Katharina Weyland. Spargelsalat und Erdbeeren, mal einen Schokoriegel.

Die Fotos von Michael auf ihrem Handy sind für Katharina Weyland momentan ein oft genutzter Trost.
Die Fotos von Michael auf ihrem Handy sind für Katharina Weyland momentan ein oft genutzter Trost. © Jürgen Lösel

Kliniksprecherin Kathleen Balle weiß, wie nötig Besuche von Angehörigen sind. Seelischer Halt, Zuspruch, alles wichtig für die Genesung. Aber: „Für schwer kranke Patienten könnte eine Infektion mit dem Coronavirus lebensbedrohlich werden. Dieser Verantwortung müssen wir auch gerecht werden.“ Man werde abwarten, wie die Politik entscheide.

Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) sagt: „Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass dieses Besuchsverbot für Enttäuschung und für Härtefälle sorgt.“ Sie plädiere dafür, dass wie in Pflegeeinrichtungen auch in Reha-Kliniken Konzepte entwickelt werden, die eine Begegnung von Patienten und Angehörigen ermöglichen sollen. „Wenn sich eine Möglichkeit findet, Besuche zu ermöglichen und gleichzeitig die Sicherheit der Bewohner zu gewähren, wäre ich die Letzte, die sich dagegen sträubt.“

Michael sucht einen neuen Weg ins Leben

Für Katharina Weyland ist es unerträglich, dass sie nicht bei Michael sein kann, während er einen neuen Weg ins Leben sucht. Deshalb die Petition. Weyland nutzt die Zeit jetzt, in dem sie für ihre Eltern einkaufen geht, damit sie sich nicht mit dem Coronavirus infizieren. Das sei aber kein Dauerzustand.

Michael mache Fortschritte, die sie nicht begleiten kann. Er könne das linke Bein ein bisschen bewegen, nachdem er gelähmt war. „Aber keiner kann bisher eine Prognose geben, wie es weitergeht“, sagt Katharina Weyland. „Ich sehe es positiv, sehe seinen starken Charakter, seine Kämpfernatur.“

Vielleicht könne er ja irgendwann einen Teilzeitjob machen, vielleicht sogar so etwas wie der bisherige Job. Für all das, davon ist Katharina Weyland überzeugt, braucht er ihre Nähe, und wenn es für den Anfang erst einmal nur eine Begegnung im Park der Klinik ist.

Zusammen mit anderen Betroffenen des Besuchsverbots ist Katharina Weyland am Mittwochabend um 18.10 Uhr in der MDR-Sendung Brisant zu sehen.