
Sächsische Familien leiden in der Corona-Krise

Der anhaltende Shutdown zur Eindämmung des Coronavirus stößt bei Familien im Freistaat Sachsen immer weniger auf Verständnis. Laut einer gemeinsamen Umfrage von Sächsischer Zeitung, Leipziger Volkszeitung und Freier Presse, im Rahmen des Familienkompass 2020, hat die Zustimmung zu den Kontaktbeschränkungen der Behörden im Verlauf der letzten fünf Wochen deutlich abgenommen.
So hielten Ende März rund 11 Prozent der insgesamt rund 2.700 Befragten die Isolationsmaßnahmen für übertrieben, in dieser Woche waren es schon knapp 20 Prozent. Auf uneingeschränkte Unterstützung kann die sächsische Regierung mittlerweile nur noch bei jeder fünften Familie zählen, zu Beginn der Ausgangssperre gab es die noch von jeder zweiten.
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Auch die Angst vor einer Corona-Erkrankung im eigenen Umfeld ist von rund 50 Prozent auf ein Viertel gesunken. Da die Neuinfektionen zurückgehen, vermuten Experten, dass die Zustimmung zu Maßnahmen weiter sinken wird, je länger diese andauern.
Die Soziologin Nina Weimann-Sandig von der Evangelischen Hochschule Dresden warnt davor, es werde für Eltern zunehmend schwerer, berufliche, schulische und private Verpflichtungen aller Familienmitglieder unter einen Hut zu bringen. Sie ist sich sicher, dass die Corona-Zeit langfristige negative Auswirkungen auf das Familienleben haben wird. "Meine Hypothese ist, dass sich viele Familien mittlerweile am Rande eines Burn-Out befinden. Das verursacht auf Dauer schwerwiegende gesundheitliche Probleme", sagt sie.
Geschlossene Schulen sorgen für Überforderung
Einer der Gründe für die anhaltende Überforderung: Während durch die Lockerungen die Betriebe schrittweise wieder öffnen, bleiben Schulen und Kitas vorerst weitgehend zu. Folglich steigt die Belastung für den Elternteil an, der weiterhin von zu Hause aus arbeitet.
So ist der Anteil der Umfrageteilnehmer, die wieder wie gewohnt zur Arbeit gehen, seit Ende März um über zehn Prozent angestiegen, komplette Arbeitsausfälle sanken um 20 Prozent. Gleichzeitig gab ein Drittel der Eltern schulpflichtiger Kinder an, das geforderte Unterrichtspensum kaum noch bewältigen zu können. Zu Beginn der Befragung lag dieser Wert bei rund 25 Prozent.
Ein gefährlicher Trend. Denn Kinder aus sächsischen Familien, in denen die Eltern ein eher niedriges Bildungsniveau haben, leiden besonders stark. So sind rund zwei Drittel der Eltern ohne Schulabschluss und die Hälfte mit Hauptschulabschluss mit dem Homeschooling voll oder eher überfordert, unter den Teilnehmern mit Hochschulabschluss nur etwa ein Drittel.
Sozial Benachteiligte geraten ins Abseits
"Durch die Krise rücken soziale Probleme mehr in den Vordergrund", sagt Weimann-Sandig. Alleinerziehende und Familien mit Migrationshintergrund seien besonders betroffen. Wer eh schon über wenig Geld verfügt, kaum Zeit hat und vielleicht die Sprache nicht gut spricht, gerate durch Corona ins Abseits. Dieser Teufelskreis zeige sich etwa am Beispiel des Online-Lernens.
"Wenn Geld fehlt, um notwendige Technik, darunter Tablets und Laptops, für den digitalen Unterricht zu kaufen, werden Kinder stark benachteiligt und isoliert", erklärt die Sozialwissenschaftlerin. Die Umfrage zeigt, dass die Gefahr einer Spaltung der sächsischen Gesellschaft durch Corona gestiegen ist. Auch wenn die Befragten ihre eigene wirtschaftliche Lage mittlerweile etwas besser einschätzen als zu Beginn der Maßnahmen, sind signifikante Unterschiede sichtbar.
So schätzten über den Umfrage-Zeitraum hinweg 67,4 Prozent der Teilnehmer mit Abitur ihre finanzielle Situation trotz Corona als mindestens gut ein, die Gruppe derjenigen mit Hauptschulabschluss teilt diese Meinung nur zu 30 Prozent. Entscheidend ist hier auch das Alter. Zwei Drittel der Befragten im Alter von 40 bis 69 Jahren gaben an, ökonomisch gut aufgestellt zu sein, bei den 18- bis 29-jährigen waren es nur rund 37 Prozent.
Mehr Unterstützung vom Staat gefordert
Junge Familien mit niedrigem Bildungsstand fühlen sich in der Corona-Krise von der sächsischen Politik am meisten im Stich gelassen, so eines der Umfrage-Ergebnisse. Soziologin Weimann-Sandig bemängelt, dass soziale Träger über lange Zeit unterfinanziert worden sein. Die sächsische Familien- und Sozialministerin Petra Köpping (SPD) weist den Vorwurf mangelnder Unterstützung für benachteiligte Familien zurück.
"Für Familien und Kinder im Freistaat Sachsen steht auch während der Corona-Pandemie ein breites Angebot an Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen zur Verfügung.", verteidigt sich Köpping. Einrichtungen der offenen Jugendarbeit seien aber derzeit noch geschlossen, um die Virus-Ausbreitung zu vermindern. "Sicherlich ist es notwendig, die Öffnung von sozialen Einrichtungen aus dem Bereich der offenen Jugendhilfe für Kinder aus belasteten Familien in die nächsten Lockerungsschritte analog zur perspektivischen Öffnung von Kitas und Schulen einzubeziehen."
Köpping lehnt Ausweitung der Notbetreuung ab
Es gebe durchaus Sorgen, was eine mögliche Spaltung der Familien in Arm und Reich angeht, so Köpping weiter. Denn durch Corona gerate der Arbeitsmarkt unter Druck. Sie schätze diesen aber als relativ robust ein und sehe, dass Familien von "Stützungsmaßnahmen wie dem Kurzarbeitergeld" profitierten. Maßnahmen zur Entlastung wie eine Öffnung der Notbetreuung in Kitas für Vollzeitarbeitende lehnt Köpping aber ab. "Die Notbetreuung für Kinder muss zunächst Eltern vorbehalten sein, die in systemrelevanten Branchen tätig sind, um die Gruppen möglichst klein zu halten." In der Familienkompass-Umfrage hatten nur 14 % der Befragten angegeben, Betreuung und Arbeit gut vereinbaren zu können.
Sie verstehe aber, dass in vielen sächsischen Familien die Sorge um die Zukunft "erdrückend" sei. Deshalb würden die staatlichen Hilfen wie Kindergeldanpassung und Entschädigungsanspruch bei Arbeitsausfall "fortlaufend angepasst". "Familien zu unterstützen, die kommende Zeit unbeschadet zu überstehen, hat für mich große Priorität", sagt Köpping.
Familienkompass 2020
- Was ist der Familienkompass? Der Familienkompass ist eine sachsenweite Umfrage von Sächsische.de, LVZ und Freie Presse, wissenschaftlich begleitet von der Evangelischen Hochschule Dresden.
- Worum geht es? Wir wollen wissen: Wie kinder- und familienfreundlich sind die einzelnen Gemeinden und Städte im Freistaat? Dafür brauchen wir Ihre Hilfe. Alle Ergebnisse werden wissenschaftlich ausgewertet und nach der Befragungsphase intensiv für unsere Leser aufbereitet.
- Wann? Die Befragung findet vom 28. Februar bis zum Beginn der Sommerferien statt.
- Wie kann ich mitmachen? Den Fragebogen finden Sie hier
- Was passiert mit meinen Daten? Die Daten der Befragung werden streng vertraulich behandelt und ohne Personenzuordnung wissenschaftlich ausgewertet. Und als Dankeschön für die Zeit wartet ein tolles Gewinnspiel.