Wie Schausteller ums Überleben kämpfen

Katrin Kaßner hat Teig für zwei Dutzend Quarkbällchen angerührt. Und jetzt steht die 45-Jährige hier in ihrem Süßwarenstand und hofft, dass jemand vorbeikommt, der Appetit auf Quarkbällchen hat. Oder auf die Früchtespieße in Erdbeerschokolade oder die gebrannten Mandeln oder wenigstens auf einen Kaffee.
Normalerweise würde Kaßners Süßwarenstand jetzt auf einem Frühlingsfest stehen - und die Quarkbällchen würden weggehen wie warme Semmeln. Zwei Dutzend in wenigen Minuten. Aber hier?
Hier auf dem Parkplatz an der Hauptstraße in Niederoderwitz kämpft die Schaustellerin um nicht mehr und nicht weniger als ums Überleben. Und links und rechts neben ihr kämpfen die Thiemes, wie die Kaßners Oderwitzer Schausteller in der fünften Generation. Die Corona-Krise hat ihnen ihr Geschäft genommen.
"In den vier Generationen vor uns ist das Gierschdurfer Schissn nicht ein einziges Mal ausgefallen", sagt Andreas Thieme, der neben Kaßners Süßwaren seinen Langos-Stand aufgebaut hat. Der 60-Jährige hofft auf ein bisschen Mittagsgeschäft. "Vielleicht können wir damit hier wenigstens die laufenden Kosten decken."
Thiemes Break Dance stand schon fix und fertig verpackt für den Dresdner Frühlingsmarkt. Das Fahrgeschäft ist Kult auf den Jahrmärkten und Volksfesten in der Region. Aber es ist auch teuer: 2.000 Euro der Tüv, 800 Euro die Sicherheitsprüfung, 1.000 Euro die Rechnung vom Maler, der es vor der Saison extra noch mal aufgefrischt hatte.
Andreas Thieme sitzt auf der Trittstufe vor dem Langos-Stand, die Ellebogen auf den Oberschenkeln. Eigentlich ist Langos das Metier seiner Frau, und er würde auf offenem Feuer ganze Lachs-Seiten garen. "Aber mit Flammlachs brauchst du hier gar nicht anzufangen", sagt er.
Doch das hier ist auf jeden Fall besser als gar nichts. "Wir sind dem Besitzer der Fläche sehr dankbar, dass wir hier stehen können", sagt Thieme. "So verdienen wir uns wenigstens den Überlebens-Unterhalt." Ein bisschen was übern Mittag, ein bisschen was abends. Viel aber ist es nicht. "Wenn man es genau nimmt, sagt er, "haben wir Schausteller ja gerade Berufsverbot."
Die Schaustellerverbände arbeiten zwar daran, dass auch Volksfeste bald wieder stattfinden können, sagt er, doch die größten seien ja schon abgesagt. Und überhaupt: Wie sollte er das denn machen mit dem großen Break-Dance-Fahrgeschäft? Nur jeden zweiten Wagen besetzen? Andreas Thieme schüttelt den Kopf: "Dann brauche ich das Ding gar nicht erst aufbauen."
Vis á vis vom Langos-Stand hat sein Bruder Dietmar den großen Imbisswagen aufgebaut: Pommes, Burger, Rostbratwurst. Das geht immer - auch ohne Rummelplatz-Flair. Die Schausteller haben sich abgesprochen: Jeder bietet was anderes an, damit alle etwas verdienen. "In der Not müssen wir doch zusammenhalten", sagt Dietmar Thieme. "Da sind wir keine Konkurrenten."
Softeis vor dem Baumarkt
Ein paar Kilometer weiter, auf dem Parkplatz vor dem Sonderposten-Baumarkt in Oberoderwitz, steht einer der drei Softeis-Wagen von Familie Heintze. Die anderen beiden stehen ungenutzt im Hof. "Wir sind dem Besitzer sehr dankbar, dass wir hier stehen dürfen", sagt Steffen Heintze, der Chef des Familienbetriebs, in dem auch noch seine Frau, sein Sohn und die Schwiegertochter mitarbeiten.
"Wir haben ja noch Glück im Unglück", sagt der 57-Jährige, der ebenfalls aus einer Oderwitzer Schaustellerfamilie stammt. Vor fünf Jahren hatte er sich entschieden, die Achterbahn zu verkaufen und sich nur noch auf die Eisherstellung zu konzentrieren. Mit dem Eisladen in Ebersbach-Oberland haben die Heintzes ein zweites Standbein.
Aber auch das reicht nicht für die ganze Familie. "Das Geschäft auf den Volksfesten fehlt", sagt er. "Wir sind froh, wenn wir mit dem Eiswagen vorm Baumarkt wenigstens alle laufenden Kosten stemmen können."
Gemeinden bieten kostenlos Flächen an
Katrin Kaßner verkauft nur ein paar Handvoll Quarkbällchen an diesem Tag. "Ich weiß gar nicht, ob sich das überhaupt lohnt", sagt sie. Aber es sei allemal besser, als zu Hause zu sitzen und auf den großen Truck mit dem Kinderkarussell zu starren. Das steht noch verstaut vom letzten Weihnachtsmarkt in Löbau.
Ob es sich wenigstens auf einem Kirmesfest im Herbst noch mal dreht? "Die Hoffnung stirbt ja zuletzt", sagt Katrin Kaßner. "Bis dahin müssen wir jetzt eben irgenwie um die Runden kommen". Und wie die anderen Schausteller hofft sie, dass die Durststrecke nicht bis zu den Weihnachtsmärkten dauert. An den Weihnachtsmärkten 2019 hatten sie alle die letzten richtigen Einnahmen.
Um den Schaustellern über die Durststrecke zu helfen, bieten die Stadt Ebersbach -Neugersdorf und andere Gemeinden ausgewählte Flächen an, auf die sie sich bis auf weiteres unentgeltlich mit ihren Verkaufsständen platzieren und Speisen und Getränken anbieten können.
Heintzes Softeis vor dem Baumarkt an der B96 in Oberoderwitz: Täglich 13 bis 18 Uhr.
Imbisswagen neben dem Gemeindeamt an der B96 in Niederoderwitz: Dienstag bis Freitag 12 bis 18, Sonnabend 12 bis 15 Uhr.