Warum die Schule eher starten sollte

Seit Wochen ist für die Schüler in Sachsen das Lernen vor allem zu Hause angesagt. Die Rückkehr zur Normalität geht der Freistaat nur in ganz kleinen Schritten. Bis 3. Mai läuft der eingeschränkte Schulbetrieb. Vielen Eltern geht das zu langsam. Kultusminister Christian Piwarz hat deshalb jetzt einen offenen Brief bekommen. Ronald Lindecke vom Kreiselternrat Görlitz erklärt im SZ-Interview, warum für ihn und seine Mitunterzeichner aus Bautzen und Dresden ein schnellerer Schulstart so wichtig wäre.
Herr Lindecke, geht der Freistaat Sachsen in der Corona-Krise den falschen Weg an den Schulen?
Wir verfolgen die Situation sehr aufmerksam. Es ist ein schwieriger Weg für alle im Moment. Ich selbst habe Kinder und bin deshalb unmittelbar davon betroffen. Es ist ja nicht der erste offene Brief, den wir an das Kultusministerium geschrieben haben. Am 29. März haben wir die Lage aus Sicht der Eltern dargestellt, am 2. April dann Anregungen gegeben, wie die Abschlüsse abgesichert werden können. Jetzt setzen wir uns dafür ein, das häusliche Lernen zurückzufahren und unter angepassten Hygieneregeln den Schulbetrieb wieder aufzunehmen.
Warum sind Sie nicht damit zufrieden, wie die Regierung die Rückkehr zur Normalität jetzt angeschoben hat?
Die Öffnung der Schulen erst nach dem 4. Mai ist aus der Sicht vieler Eltern und auch nach meinem persönlichen Dafürhalten zu spät. Im Moment erleben wir doch ein Außerkraftsetzen der Schulpflicht - aus zugegebenermaßen triftigen Gründen. Bis vor zwei Monaten war Homeschooling, also häuslicher Unterricht, verboten. Kein Pädagoge musste sich bis dato mit dieser Art des Unterrichtens auseinandersetzen. Jetzt soll diese Form des Lernens weiter ausgedehnt oder zumindest beibehalten werden, um in den Schulen der Ansteckungsgefahr mit dem Corona-Virus zu begegnen. Im Landkreis Görlitz haben in der offiziellen Statistik rund 250 von 250.000 Einwohnern eine Corona-Vergangenheit oder noch damit zu kämpfen. Hier gilt es, mit Augenmaß zu entscheiden. Aufstieg durch Bildung war in Sachsen immer das Versprechen für eine soziale Gerechtigkeit. Was aber bedeutet es, Schülern monatelang den Schulbesuch und Kindern den Kita-Besuch zu verweigern? Zur schwierigen Abwägung gehört es auch, offen über das Spektrum der sozialen Folgen zu sprechen. Das muss und sollte verantwortungsvoll geschehen.
Was regen die Kreiselternräte aus Görlitz, Bautzen und Dresden an?
Als kurzfristige Lösung könnten wir uns ab der Oberschule Konsultationszeiten an den Schulen vorstellen, zumindest in den Grundlagenfächern. Je nach Altersgruppe werden die Klassen dann geteilt. In der fünften Klasse würde das erste Drittel von 8 bis 10 Uhr in die Schule kommen, das zweite Drittel in den beiden Stunden danach und das dritte Drittel darauf folgend. Der Vorteil: Alle Schüler hätten direkten Kontakt zum Lehrer, der wiederum könnte feststellen, wo nachjustiert werden muss. Man könnte die richtigen Reize setzen und die Anleitung für den Rest des Tages mit nach Hause geben.
Also eine Kombination aus Schulunterricht und Homeschooling?
Ich würde es Beschulung mit erweitertem Hausaufgabenanteil nennen. Denn eins ist doch klar: Dass 20 oder 25 Mädchen und Jungen dicht nebeneinander in einer Klasse sitzen, könnte noch eine Weile dauern. Deshalb müssen wir das Beste aus der Situation machen. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass man das Positive aus dem Homeschooling in die Zeit nach der Krise mitnimmt. Wobei jetzt überdeutlich wieder zutage tritt: Ohne die anleitende und führende Präsenz von Lehrern geht es nicht. Die Digitalisierung mag hierbei noch so gut funktionieren und ergänzen, gut ausgebildete Pädagogen werden auch künftig unverzichtbar sein.
Und wie sehen für Sie mittelfristige Lösungsansätze aus?
Pädagogisch, denken wir, dass man sich im Rest des Schuljahres auf die Hauptfächer und Kernthemen konzentrieren sollte. Den Unterricht auch tatsächlich durchzuführen, gibt es eine ganze Menge von Möglichkeiten, die natürlich von Schule zu Schule unterschiedlich ausfallen werden. Hier gilt es, den Schulleitern und Pädagogen Raum für Ideen zu geben.
Bei Schülern ab der fünften Klasse mag das alles möglich sein. Aber in den Grundschulen?
Da haben Sie natürlich Recht. Bei den Kleinen würde das schwierig werden. Aber Grundschulen haben den Vorteil einer geringeren Größe im Vergleich zu Oberschule und Gymnasium. Ich erinnere noch einmal an die aktuelle Infektionsquote und die Tatsache, dass mit jedem ungenutzten Monat auch für diese sehr junge Generaton Lebenszeit verstreicht. Abwägen und Entscheiden sind sicherlich nicht leicht. Hier sollte die Staatsregierung alle Seiten mit einbeziehen. Eltern sollten das Recht eingeräumt bekommen, ihr Kind unter Umständen nicht in die Schule zu schicken, wenn sie Bedenken haben.
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