Radfahrer legen Dresdner Innenstadt lahm

Franzi Albertz führt eine Strichliste. Jedes Mal, wenn sie mit dem Fahrrad einen Unfall hat, kommt ein schwarzer Balken auf dem Rahmen ihres Rads dazu. Inzwischen sind es acht, zeigt sie am Dienstagabend auf dem Albertplatz, umgeben von schätzungsweise 200 weiteren Radfahrern, die im Konvoi aufbrechen, um den Autoverkehr auf der Albertstraße, der Carolabrücke und dem Pirnaischen Platz lahmzulegen. Die Demo-Teilnehmer fordern mehr Sicherheit und Berücksichtigung von Radfahrern im Straßenverkehr. Im Speziellen geht es ihnen um einen Radweg, über den Dresden seit knapp einem Jahr streitet. Fast genauso lange walzen mehr oder weniger organisierte Fahrradkonvois über die Albertstraße, um zu provozieren und zu protestieren. Ist das erlaubt? Das sind die wichtigsten Antworten:
Was wollen die Radfahrer auf der Albertstraße mit der Aktion erreichen?
„Wir sind kein pöbelnder Pulk, sondern Radfahrende, die als solche gleichberechtigt ernst genommen werden wollen“, hieß es von der Initiative „Verkehrswende Dresden“, die am Dienstag zum Konvoi aufgerufen hatte. Der alte Stadtrat hatte nach langem Hin und Her einen Radweg an der Albertstraße abgelehnt. Im neuen Stadtrat gibt es nun einen zweiten Versuch, beidseits der Fahrbahn Radwege zu schaffen. Das Thema steht an diesem Mittwoch auf der Tagesordnung. Doch das ist nicht der einzige Kritikpunkt: „Viele Radwege enden mitten auf Hauptstraßen. Ich habe das Gefühl, dass sich die Politik für Radfahrer in Dresden gerade negativ entwickelt“, meint Franzi Albertz. Für Bus und Bahn habe sie kein Geld. Und Fahrradfahren halte sie fit.
Radkonvois hat man in Dresden schon oft gesehen. Was steckt dahinter?
Fahrradkonvois sind in Dresden tatsächlich nicht neu. Diese Form des Protests heißt auch Critical Mass, was übersetzt so viel heißt wie kritische Masse. Dahinter stehen in der Regel keine Vereine oder Organisationen, sondern Menschen, die sich zum Beispiel bessere Bedingungen für Radfahrer wünschen und sich deshalb zu Hunderten zu gemeinsamen Radtouren treffen – und so den Straßenverkehr lahmlegen können. Die Bewegung entstand bereits 1922 in San Francisco. Weltweit treffen sich seitdem scheinbar zufällig und unorganisiert Radfahrer, um mit Fahrten durch Innenstädte für ihre Rechte zu werben. Je größer die Menge, desto größer die Beachtung – deshalb der Name Critical Mass. In Dresden gibt es seit 2007 regelmäßige Radtouren.
Ist es überhaupt erlaubt, in so großen Gruppen auf der Straße zu fahren?
Die Teilnehmer einer Critical Mass berufen sich auf die Straßenverkehrsordnung, Paragraf 27, Absatz 1. Demnach dürfen mehr als 15 Radfahrer einen Verband bilden. Für geschlossene Verbände gelten die für den gesamten Fahrverkehr einheitlich bestehenden Verkehrsregeln. Und sie brauchen einen Anführer. Dieser bestimmt die Kennzeichnung und trägt die Verantwortung für die Einhaltung der Vorschriften. Daneben sind die einzelnen Mitglieder des Verbandes für ihre persönliche Fahrweise verantwortlich.

Wie oft gibt es Critical Mass-Touren in Dresden?
Die eindrucksvollsten „Radtouren“ führten bislang durch den Waldschlößchen-Tunnel und über die Albertstraße. Auf der Albertstraße waren mehrfach und zum Teil bis zu 200 Radfahrer gemeinsam unterwegs. Sie bremsten bewusst Autos aus und versperrten Querstraßen.
Sind die Aktionen nicht als Demonstration zu werten?
Dazu gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Die Teilnehmer sagen Nein. Sie argumentieren, dass sich Radfahrer mehr oder weniger unorganisiert treffen und fahren. Sie wollen deshalb auch nicht von der Polizei begleitet werden. Die Aktion vom Dienstag bildete eine Ausnahme. Sie war als Demo angemeldet worden, die Polizei sperrte deshalb Straßen. Die Dresdner Beamten sahen Critical Mass-Touren bereits in der Vergangenheit als Demonstration an. Zu den Radtouren auf der Albertstraße war zum Teil von Parteien aufgerufen worden, außerdem gab es eine konkrete politische Forderung, nämlich die Schaffung des Radwegs an der Albertstraße.
Warum spielt es eine Rolle, ob die Konvois als Demo eingestuft werden?
Der Unterschied zwischen einer gewöhnlichen Fahrradtour und einer Demo liegt zum Beispiel darin, dass die Polizei für Demo-Züge Fahrbahnen sperrt. Ein Fahrradkonvoi darf sich dagegen in den fließenden Verkehr einordnen. Die Polizei begleitete Critical Mass-Aktionen in der Vergangenheit, obwohl die Konvois nicht als Demo angemeldet waren. Die Beamten argumentierten mit der Sicherheit der Radfahrer im fließenden Verkehr.
Was sagt die Polizei zu Critical Mass-Aktionen?
Polizeirat Gerald Beier, Leiter der Dresdner Verkehrspolizei, stellte kürzlich klar, dass die Teilnehmer einer Critical Mass künftig auch als solche erkennbar sein müssen. Demnach genüge es nicht, wenn sich eine ausreichende Zahl Radfahrer versammele und gemeinsam fahre. Es müsse „die Verbandszugehörigkeit jedes einzelnen Teilnehmers unmissverständlich sein.“ Laut den Ausführungen der Polizei im Internet bedeutet das: Gerade bei Critical Mass-Veranstaltungen mit vielen Teilnehmern sollen die Teilnehmer künftig durch eine Kennzeichnung eindeutig zugeordnet werden können. Andernfalls werden sie wie Einzelradler behandelt, die dann gegen Verkehrsregeln verstoßen.