Von Carola Lauterbach, Peter Ufer
Die Frau läuft aufgeregt zu den Menschen neben der Schinkelwache. „Was machen sie hier, warum gaffen sie? Wollen sie mit ihrer Anwesenheit diesen Mann auch noch ehren?“ Die Frau fragt lautstark die verblüffte Menge. Dann gehen ihre Worte unter im Lärm eines Hubschraubers. Es kommen Motorräder und schwarze Karossen angerollt. Putin ist da, aber kaum zu sehen.
Seit 14.30 Uhr geht zwischen Schinkelwache und Taschenbergpalais gar nichts mehr. Der Stadtrundfahrtbus muss wenden, die Straßenbahn halten. Oben auf dem Dach des Zwingers spazieren Scharfschützen, auch auf dem Taschenbergpalais und auf den Türmen des Schlosses. Die Sicherheitsmuskelmänner sind schnell ausgemacht. Sie haben einen Knopf im Ohr und manche tragen ein Jackenschild mit der Aufschrift: Sicherheit beim Besuch seiner Exzellenz Wladimir Putin.
Kein Blick für Felix Eltern
„Seiner Exzellenz, so ein Unsinn,“ ruft die Frau und der russische Präsident läuft mit Gefolge ins Schloss. Dort schaut er sich die Schätze des Grünen Gewölbes an. Die Frau geht zum Kongresszentrum, andere rollen ihre Plakate ein.
Auch die Eltern von Felix, des Babys, das vor 22 Jahren auf mysteriöse Weise verschwand – vermutlich in die damalige Sowjetunion. Rechtzeitig hatten sie sich gut am Taschenberg-Hotel postiert. Mit einem weißen Laken. Auf dem stand: Herr Putin, bitte helfen Sie uns, wo ist unser Sohn Felix? Der russische Präsident aber hat ihnen bei seiner Ankunft vor dem Residenzschloss keinen Blick geschenkt. Gehört, da ist sich Leonore Tschök, die Mutter von Felix, sicher, hätte er ihren Ruf.
Am Maritim-Hotel ist gegen 16 Uhr gespannte Ruhe. Im Foyer verfolgen Gäste die Pressekonferenz der Bundeskanzlerin und des Präsidenten auf n-tv. Gegenüber des Kongresszentrums entrollen die Grünen ihr Protest-Plakat. Die Frau gesellt sich dazu. Und als sie von Journalisten nach ihrem Namen gefragt wird, da ist sie plötzlich ganz still. „Nein, das möchte ich nicht“, sagt sie. Nein, Angst habe sie nicht, „aber man müsse ja vorsichtig sein bei diesem Putin.“ Dann erzählt sie, dass sie fast 70 Jahre alt ist und dabei war, als in Wendezeiten die Grünen gegründet wurden und dass sie in der DDR schon gegen die Diktatur gekämpft habe und dass sie unbedingt nach Petersburg reisen möchte, aber wenn sie jetzt ihren Namen sagen würde und ihn alle lesen könnten, dann gebe es bestimmt Schwierigkeiten. Immer gebe es Schwierigkeiten, wenn einer gegen Putin sei.
Roßberg bei Dostojewski
In der Lobby des Hotels wird es unruhig. Russen und Deutsche kommen, es werden immer mehr. Der Dresdner Sozialbürgermeister Tobias Kogge ist unter ihnen. Er weiht das Denkmal von Dostojewski mit ein. „Ich war immer für dieses Denkmal“, sagt er „und Herr Roßberg übrigens auch.“ Der suspendierte Oberbürgermeister kommt dann auch mit seiner Frau. Er ist Besucher, er sagt nichts.
17 Uhr rauscht die Wagenkolonne auf den Vorplatz des Kongresszentrums. Nur wer ein Schild „Petersburger Dialog“ trägt, darf durch die Sicherheitszonen. Aber nicht alle. Die Schilder haben gelbe, rote, blaue Streifen. Rot darf nicht viel, Blaugelb darf alles. Draußen darf niemand mehr etwas. Der nagelneue Fahrradweg ist schon unterhalb des Landtages gesperrt, die Devrientstraße auch. Das Volk guckt zu. Auch die Eltern von Felix. Freilich sehr aus der Entfernung. Gut 200 Meter entfernt vom Platz, wo eben die Bundeskanzlerin, der russische Präsident und Sachsens Ministerpräsident das Denkmal enthüllen. Und von wo freudiger Applaus hinüberweht. Das Ehepaar Tschök applaudiert nicht. Es faltet das weiße Laken zusammen. Sie hätten nicht mehr erwartet, sagen die Eltern von Felix tapfer.
Abends wird im Maritim gefeiert. Auch Ingolf Roßberg ist eingeladen, die Frau längst verschwunden, Putin zu Gesprächen im Schloss Eckberg. Die Polizei wacht rundum.