Von Jürgen Müller
Es ist Nacht, als Dagmar Schmidt ihre Heimatstadt Lommatzsch erreicht. Was sie als erstes sieht, ist der neue Kreisverkehr an der Döbelner Straße. Nackt, wie ein leerer Teller steht er da. Auf diesem Kreisel hätte ein Werk der gebürtigen Lommatzscherin stehen können. Ein Spiralturm, fünf Meter hoch, aus Spiralelementen einer Förderschnecke, die dem Transport von Zuckerrüben diente, zusammengesetzt. Der Turm sollte auf den bedeutsamsten Wirtschaftszweig in Lommatzsch hinweisen, die Agrarwirtschaft. Doch der Stadtrat lehnte das Geschenk ab. Es gibt andere Vorschläge. Einen Zunftbaum zum Beispiel. Oder gar Kühe aus Beton.
Chance für Einmaliges vertan
Dagmar Schmidt ist nicht gram, dass die Stadt ihr Kunstwerk ablehnte. Überrascht ist sie schon. Denn es ist nicht der erste Anlauf, den sie nahm, der Stadt den Spiralturm zu schenken. Er passe gut nach Lommatzsch, hieß es damals. 1994 war das. Nur fand sich kein passender Standort. „Es ist schon komisch, dass ausgerechnet die Stadträte, die damals das Kunstwerk gut fanden, sich heute dagegen aussprechen“, sagt die 44-Jährige. Und sie kennt auch den Grund. „Es ging bei der Diskussion nicht um Inhalte, nicht um das Werk, sondern um Personen. Ich fühle mich nicht persönlich angegriffen, es wurde wohl eher ein Stellvertreterkrieg geführt“, sagt sie. Den Vorschlag, den Spiralturm auf dem Kreisel aufzustellen, hatte offenbar die „Falsche“ eingebracht. Es war Bürgermeisterin Anita Maaß (FDP). Deshalb wohl lehnte der Stadtrat ab, vermutet die Künstlerin. Als das Vorhaben publik wurde, tauchte jedenfalls ganz plötzlich ein anderer Vorschlag auf. Fakt ist, Lommatzsch hat damit eine Chance vertan. Die Chance, etwas Einmaliges zu besitzen. So wie Riesa mit der „Elbquelle“, der riesigen eisernen Stele am Eingang der Stadt, geschaffen von Jörg Immendorff.
In der Poliklinik geboren
Obwohl Dagmar Schmidt seit vielen Jahren nicht mehr in Lommatzsch wohnt, fühlt sie sich der Stadt nach wie vor verbunden. Sie ist in Lommatzsch geboren, darauf legt sie Wert. Nicht in Meißen, wie das heute üblich ist, sondern in der Lommatzscher Poliklinik. Die gab es damals noch wie so vieles andere in der Stadt. Wo einst die Poliklinik war, steht heute ein Altenheim. Irgendwie ein symbolisches Bild. Denn Lommatzsch überaltert, stirbt aus. Die Jungen ziehen weg.
Kunst braucht Netzwerke
Dagmar Schmidt hat Lommatzsch sehr zeitig verlassen. Nach dem Abitur an der damaligen EOS „Ernst Schneller“ in Meißen, dem heutigen Franziskaneum, arbeitete sie erst einmal ein Jahr im Spannbetonwerk in Coswig. Danach studierte sie an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar und an der Burg Giebichenstein, der Hochschule für Kunst und Design Halle, macht ihren Abschluss als Diplom-Künstlerin. Zwischendurch hält sie sich längere Zeit in Spanien auf. 1992 lernt sie ihren künftigen Mann auf einer Fachtagung kennen. Ihr Kind heißt Karl und ist inzwischen vier Jahre alt.
Die Künstlerin macht Halle an der Saale berühmt, jedenfalls die Neubausiedlung „Silberhöhe“. Die kannte vorher kaum jemand, doch später macht sie deutschlandweit Schlagzeilen. Das Plattenbaugebiet soll teilweise abgerissen werden, doch das Erdgeschoss eines Blocks bleibt stehen. Es wird zum Kunstobjekt. Dagmar Schmidt entwirft die Skulptur „Grabungsstaedte“. Für das Werk erhält sie einen Preis für Kunst am Bau. Nur in Lommatzsch will man von ihrer Kunst offenbar nichts wissen. „Wenn man weg ist, wird man schnell vergessen“, sagt sie. Es ist Nacht, als Dagmar Schmidt mit ihrer Familie ihre Heimatstadt wieder verlässt. Das Letzte, was sie sieht, ist der Kreisel. Kalt und nackt wie ein leerer Teller steht er da. Vielleicht kommt hier mal ein Zunftbaum drauf, so einen wie es ihn zu Tausenden gibt. Oder Kühe aus Beton. Die passen auch viel besser aufs Dorf.