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Deshalb verdienen die Görlitzer so wenig 

Wirtschaftsprofessor Johannes Laser nennt Gründe für das niedrige Lohnniveau. Sein Fazit ist überraschend positiv.

Von Frank Thümmler
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Symbolbild ©  dpa

Die Diskussionen im Netz sind vielfältig nach der vor wenigen Tagen veröffentlichten, bundesweiten Statistik der Agentur für Arbeit für das Jahr 2018: Im Landkreis Görlitz ist das Verdienstniveau deutschlandweit am geringsten. Das monatliche Bruttoarbeitsentgelt (da zählen zum Beispiel auch Urlaubs- und Weihnachtsgeld mit rein) von Vollzeitbeschäftigten betrug im Landkreis Görlitz 2018 durchschnittlich 2 272 Euro.

Vorletzter ist der Erzgebirgskreis (2 301 Euro), Drittletzter der Kreis Vorpommern-Rügen (2 303 Euro). Auf den letzten 50 Plätzen befinden sich ausschließlich ostdeutsche Kreise, Bautzen zum Beispiel ist 21. von hinten mit 2 396 Euro Durchschnittsverdienst. Die Reaktionen auf diese Statistik sind weitestgehend erwartbar: Politikversagen heißt es bei Parteien in der Opposition, Mindestlöhne hoch und mehr Tarifverträge bei Gewerkschaften und Linken.

Wirtschaftsprofessor Johannes Laser von der Hochschule Zittau-Görlitz, Spezialgebiet Volkswirtschaftslehre und Regionalökonomie, beschäftigt sich beruflich unter anderem mit genau diesem Thema und betrachtet es aus eher wissenschaftlicher Sicht. Er sagt im SZ-Interview, was er von der Situation hält.

Herr Professor Laser, welche Gründe sehen Sie für das aus hiesiger Sicht katastrophale Ergebnis dieser Statistik?

So ein Arbeitsmarkt reagiert wie andere Märkte auch, nämlich über Angebot und Nachfrage. Das Angebot an Arbeitsplätzen ist bei uns durch viele kleine und mittelständische Unternehmen geprägt, zum Teil durch verlängerte Werkbänke. Management und Geschäftsführung sind woanders. Es gibt kaum große Unternehmen. Außerdem ist die Tarifbindung gering. Und bei den vielen kleinen Unternehmen mit regionalem Absatz vor Ort spielt dann auch wieder die geringe Kaufkraft eine Rolle, was geringere Umsätze und am Ende auch geringe Löhne für die Mitarbeiter zur Folge hat. Dazu kommen polnische und tschechische Arbeitnehmer, die relativ wenig verdienen. Fachkräfte sind andererseits abgewandert dorthin, wo sie mehr verdienen können. Es gibt also unheimlich viele Gründe.

Wenn man den Landkreis Görlitz mit Brandenburger oder Mecklenburger Landkreisen vergleicht, fällt einem sofort die geografische Lage mit viel Grenze zu Ländern mit geringerem Lohnniveau ins Auge. Wirkt sich das auf die Lohnstatistik aus?

Davon ist auszugehen. Schließlich haben sich entlang der Grenze Betriebe angesiedelt, die auf polnische und tschechische Mitarbeiter setzen, für die das für Deutschland niedrige Lohnniveau in ihrem Land attraktiv ist. Das drückt natürlich die Statistik hier. Aber ich glaube, dass der Unterschied zu anderen ostdeutschen Kreisen gar nicht so groß ist. Was auch eine Rolle spielt, ist die nach wie vor schlechte Infrastruktur. So bekommen sie nur sehr schwer Investoren zum Beispiel in den südlichen Teil des Landkreises.

Ist aus Ihrer Sicht in den vergangenen drei Jahrzehnten etwas falsch gelaufen in der Politik? Haben die Politiker versagt?

Ich glaube nicht, dass die Politiker versagt haben. Letztendlich werden Arbeitsplätze geschaffen von privaten Unternehmen, auch wenn der öffentliche Dienst insgesamt eine wichtige Rolle spielt und attraktiver Arbeitgeber ist. Ich würde nicht sagen, dass in diesem Landkreis politisch viel falsch gelaufen ist. Bei der Infrastruktur ist sicherlich noch mehr der Bund gefragt.

Professor Johannes Laser (57) ist seit 1998 an der Hochschule Zittau-Görlitz und Spezialist für Regionalökonomie.
Professor Johannes Laser (57) ist seit 1998 an der Hochschule Zittau-Görlitz und Spezialist für Regionalökonomie. © Jens Freudenberg

Gibt es vielleicht einfache Rezepte, die das Lohnniveau schnell steigen lassen würden?

Ich bin kein Verfechter, der sagt, der Markt regelt alles. Aber was jetzt als Nachteil wahrgenommen wird, kann sich auch schnell umkehren. Der Fachkräftemangel zum Beispiel wird zu höheren Löhnen für Fachkräfte führen. Das Geld, das Polen und Tschechen in Deutschland verdienen, bringt ihnen mehr Kaufkraft und den hiesigen Firmen wieder mehr Umsatz. Die können dann deshalb wiederum bessere Löhne zahlen. Ich glaube an eine wesentlich positivere Entwicklung als in den vergangenen Jahren.

Was kann Politik aktiv tun?

Ich arbeite schon lange bei der Hochschule und habe zum Beispiel die Arbeit von Dr. Knüpfer bei der Wirtschaftsförderung Zittau gesehen. Der hat schon Impulse gesetzt. Man muss den Ball flach halten. Ansonsten sind die wichtigen Schritte bekannt: Infrastruktur verbessern, Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst hier ansiedeln, für ein positives Image der Region sorgen, wie das mit der Zittauer Kulturhauptstadtbewerbung zum Beispiel geschieht und den Strukturwandel nutzen, um neue Unternehmen herzubekommen. Am Ende aber entscheiden immer noch die Unternehmen selbst, ob sie im Landkreis investieren und welche Löhne sie zahlen.

Trotz des niedrigen Lohnniveaus: Ist es attraktiv für die Menschen, hier zu leben?

Das glaube ich schon, wird aber viel zu wenig kommuniziert. Lohn ist nicht alles. Wenn ich die Work-Life-Balance sehe, die Ausstattung mit Kindertagesstätten, die Klassengröße in den Schulen, inzwischen auch den Zugang zu schnellem Internet, dann spricht eine Menge dafür hier zu leben. Außerdem dürfte wegen geringerer Preise, bei Mieten zum Beispiel oder Waren des täglichen Bedarfs, die reale Kaufkraft wiederum höher sein als in anderen Regionen. Auch die Unternehmenskultur spielt für das Wohlfühlen der Menschen eine große Rolle. Flache Unternehmensstrukturen, wie sie es hier in einigen Fällen gibt, werden zum Beispiel als sehr attraktiv empfunden. Es gibt also viel mehr Dinge als den Lohn, die darüber entscheiden, ob das Leben hier schön ist.

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