Das Baumlabor von Tharandt

Sie versteht die Sprache der Bäume. Mit den Fingern fährt Marieke van der Maaten-Theunissen über die blanke Baumscheibe. Dunkel zeichnen sich dort die Jahresringe ab. Mal sind sie schmal, mal breiter. „Wenn man sich damit auskennt, ist es wie in einem Geschichtsbuch zu lesen“, sagt die Wissenschaftlerin.
Die Bäume erzählen so von ihrem Leben, von regenreichen Jahren und von Dürreperioden. Von Phasen, in denen sie kraftvoll wachsen konnten und von Zeiten, in denen sie ihre ganze Kraft in den Kampf ums Überleben stecken mussten. Gemeinsam mit ihrem Mann Ernst van der Maaten wird die Wissenschaftlerin in den nächsten Jahren viele solcher Jahresringe analysieren.
In einem neuen Labor, das dafür in Tharandt entsteht. Die Proben stammen von Tausenden Bäumen in Europa. Sie sollen zeigen, ob und wie die Bäume mit dem Klimawandel zurechtkommen.
Seit einem Jahr arbeiten die beiden Niederländer am Tharandter Institut für Waldwirtschaft und Forstliche Informatik der TU Dresden. Beide bewarben sich damals auf die Professur für Waldwachstum und Produktion von Holzbiomasse. Beide waren im Bewerberverfahren erstplatziert. Letztlich wurde sie zur Professorin berufen, er als wissenschaftlicher Mitarbeiter angestellt.

Dass zwei sich eine Professur teilen, war im System nicht vorgesehen. „Dass wir zusammenarbeiten können, sehen wir aber als großen Vorteil an“, sagt Ernst van der Maaten. Schon im Studium lernten sie sich kennen, waren zuletzt beide an der Universität Greifswald beschäftigt. Mit dem Projekt „ForeSight“ haben sie nun ein großes Forschungsprojekt an die TU Dresden geholt.
Das Ehepaar ist einem Thema auf der Spur, zu dem bisher noch wenig bekannt ist. Welche Auswirkungen nämlich lange Trockenheit und ein damit einhergehendes gehemmtes Baumwachstum oder sogar ein Baumsterben auf die Wälder haben. „Das Wissen darüber, wie sich der Klimawandel auf das Ökosystem Wald auswirkt, hat derzeit noch große Lücken“, erklärt es Marieke van der Maaten-Theunissen.
Doch Holz ist wichtig und wird gebraucht. Es ist Rohstoff für die Energiegewinnung, die Möbelherstellung oder die Produktion von Verpackungen und Papier. „Wir müssen deshalb herausfinden, wie genau die Wälder auf diese Veränderungen reagieren“, fügt Ernst van der Maaten hinzu.

Bäume und Menschen haben etwas gemeinsam. Bei großer Hitze und Trockenheit kommen beide ins Schwitzen. Der Baum hat dann Stress, seine Blätter welken. Fotosynthese, die Bindung von Kohlendioxid aus der Luft sowie die Verdunstung, die zur Abkühlung der Umgebungstemperatur führt, werden dann eingestellt.
Im Fokus des europaweiten Forschungsprojekts soll der am weitesten verbreitete Laubbaum, die Rotbuche, stehen. Sie liefert wertvolles und vielseitig einsetzbares Holz, ist aber anfällig für Trockenheit. Gemeinsam mit Kollegen der schottischen University of Stirling, der englischen Durham University, der TU München und der britischen Forschungsorganisation Forest Research UK sollen in den nächsten drei Jahren wichtige Fragen geklärt werden.
Grundlage dafür werden zum einen Jahresringdaten sein. „Wir werden uns Material von über 500 Buchen-Standorten aus ganz Europa ansehen“, sagt die Wissenschaftlerin der TU Dresden. Damit berechnen die Forscher unter anderem die Fläche aus der Dicke eines Jahresrings. Nehmen die Größen ab, ist das ein Zeichen dafür, dass die Bäume Stress haben. Analysiert werden soll so auch, ob es in Europa regionale Unterschiede gibt. Welchen Einfluss haben also Standort- und Witterungsbedingungen auf den Zustand der Wälder? Wo wächst die Buche am besten?

Doch damit nicht genug. Später wollen die Forscher auch herausfinden, ob sich das analysierte Wuchsverhalten aus den Jahresringen auch anhand von Satellitenbildern nachvollziehen lässt. Ein wichtiger Punkt. Denn können wirklich Parallelen nachgewiesen werden, wäre das eine Chance für die Zukunft. Dann könnten Satellitenbilder künftig flächendeckend für die Überwachung und Vorhersage des Zustands von Wäldern verwendet werden. Dafür sollen Modelle programmiert werden, die später zum Beispiel Forstbehörden dabei helfen einzuschätzen, ob Buchen in bestimmten Gebieten weiter aufgeforstet werden sollten oder nicht.
Letztlich ginge es aber auch darum, die Ergebnisse auf die Genetik der Bäume zu übertragen, sagt Ernst van der Maaten. „Wir werden untersuchen, inwieweit Bäume in der Lage sind, sich auf die Veränderungen einzustellen.“ Schon seit den 1980er-Jahren gibt es in Europa sogenannte Herkunftsversuche mit der Buche. Spanische Bäume wurden so beispielsweise in Süddeutschland angepflanzt. Jetzt soll analysiert werden, welche Bäume mit der Trockenheit besser zurechtkommen.
Wer nun glaubt, für ihre Analysen und die dafür notwendigen Baumscheiben müssten die Wissenschaftler immer erst Bäume fällen, den kann das Forscher-Ehepaar beruhigen. Heute können aus Bäumen auch Holz-Bohrkerne gewonnen werden. „Dazu müssen wir zwar Löcher in die Stämme bohren, doch davon erholt sich der Baum wieder“, sagt Ernst van der Maaten. Um zu ergründen, was mit unseren Wäldern geschieht, wären solche Maßnahmen allerdings notwendig. Damit der Mensch künftig auf Bäume setzt, die trotz des Klimawandels bestehen können. Genau das braucht der Wald.