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„Das Gesundheitsamt ist an der Kapazitätsgrenze“

In 41 von 53 Kommunen gibt es Corona-Fälle in Mittelsachsen, sagt Landrat Damm. Welche das sind, bleibt geheim.

Von Maria Fricke
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Landrat Matthias Damm musste in den vergangenen Wochen immer wieder schnell auf kurzfristige Ereignisse und Entscheidungen reagieren. Im Gespräch mit sächsische.de lobt er die vom Coronavirus betroffenen Mittelsachsen für ihr besonnenes und verantwortungs
Landrat Matthias Damm musste in den vergangenen Wochen immer wieder schnell auf kurzfristige Ereignisse und Entscheidungen reagieren. Im Gespräch mit sächsische.de lobt er die vom Coronavirus betroffenen Mittelsachsen für ihr besonnenes und verantwortungs © André Braun/Archiv

Mittelsachsen. Stagnierende Corona-Fallzahlen, Lockerungen im öffentlichen Leben, Kliniken, die den Krisenmodus verlassen: Die Einschränkungen durch das Coronavirus werden geringer. Normalität gibt es trotzdem noch nicht. Auch nicht im Landratsamt. Landrat Matthias Damm (CDU) äußert sich im Gespräch mit sächsische.de zur Informationspolitik des Kreises, dem Mitspracherecht bei Entscheidungen und zur Nachfrage nach Schutzausrüstung.

Seit dem 30. April gibt es nur einen neuen Nachweis des Coronavirus. Ist der Landkreis damit über den Berg?

Wir hatten bei den Erkrankungszahlen Glück. Es gab im Vergleich zu anderen Landkreisen keine Schwerpunktregionen. Das Gesundheitsamt ist akribisch bei der Ermittlung von Kontaktpersonen gewesen, um Infektionsketten zu unterbrechen. Die Betroffenen haben sehr besonnen und verantwortungsvoll gehandelt und aus meiner Sicht einen wichtigen Anteil daran, die Ausbreitung zu minimieren.

Befürchten Sie angesichts der bevorstehenden Lockerungen, vor allem im Bereich der Kitas und Schulen, einen erneuten Anstieg der Zahlen?

Die Öffnung von Schulen und Kitas ist ein wesentlicher Schritt. Er erfordert von den Akteuren viel Kraft und Disziplin. Die Bevölkerung ist sensibilisiert. Ich gehe davon aus, dass die Öffnungen gut verlaufen.

Auch Hotels und Gastronomie sollen zeitnah wieder eröffnen. Ist mit einem Ansturm zu rechnen oder werden die Mittelsachsen eher zurückhaltend sein?

Das lässt sich heute noch nicht sagen. Ich denke, das Leben kehrt, soweit es geht, langsam zurück – aber unter anderen Bedingungen als vor der Corona-Welle. So gut sich die Erkrankungszahlen derzeit entwickeln, so wichtig ist es, auf Hygiene zu achten und einfachste Punkte, wie Händewaschen und Abstand halten, zu beachten.

Der Landkreis koordiniert über ein Bestellsystem die Verteilung der Schutzausrüstung. Wie hoch ist diesbezüglich aktuell noch die Nachfrage?

Die Nachfrage hat abgenommen und alle Bestellungen können bedient werden. Für diese Woche können noch bis Mittwoch 8 Uhr Bestellungen aufgegeben werden.

Wie groß ist das Mitspracherecht des Landkreises in den aktuellen Entscheidungen über die Lockerungen?

Es gab auf unterschiedlichen Verwaltungsebenen einen regelmäßigen Austausch, zum Beispiel Telefonkonferenzen mit der Staatsregierung. Über unsere Interessenvertretung auf Landesebene erhalten die Kreise direkt oder indirekt die Möglichkeit, eine Einschätzung zu geben beziehungsweise Erfahrungswerte zu vermitteln.

Andere Kreise, wie zum Beispiel Meißen, geben sehr detaillierte Informationen in die Öffentlichkeit, unter anderem auch über die regionale Verteilung der Nachweise. In Mittelsachsen hält sich das Landratsamt in dieser Hinsicht bedeckt. Was ist der Grund für diese Informationspolitik?

Wir möchten unbedingt vermeiden, dass Rückschlüsse auf mögliche Erkrankte gezogen werden könnten – gerade in kleineren Gemeinden. Damit sollen in jedem Fall Persönlichkeitsrechte gewahrt beziehungsweise Betroffene geschützt werden. Es sollen keine Spekulationen entstehen oder falsche Rückschlüsse gezogen werden. Es gibt in 41 von 53 Städten und Gemeinden im Landkreis bestätigte Fälle. Rund die Hälfte der Kommunen haben nur ein bis zwei Fälle. Außerdem tangiert das Thema die ärztliche Schweigepflicht.

In einigen Gesundheitsämtern fehlt es an genügend Personal, um Infektionsketten nachzuvollziehen. Wie sieht dies in Mittelsachsen aus?

Auch unser Gesundheitsamt ist seit Wochen an der Kapazitätsgrenze und innerhalb des Landratsamtes wurde dieses zur Ermittlung der Kontaktpersonen verstärkt. Wir beurteilen ständig die Lage neu, ob die Ressourcen reichen, müssen entscheiden, in welchem Umfang und mit welchem Personal das Gesundheitsamt verstärkt wird. Bisher haben wir die Aufgabe zur Ermittlung der Kontaktpersonen erfüllt.

Das Coronavirus dominiert noch immer Vieles. Welche Aufgabengebiete im Landratsamt sind im Rahmen der Krise komplett auf Eis gelegt worden? Gibt es schon Pläne, wann in diesen Bereichen wieder aktiv gearbeitet werden soll?

Grundsätzlich galt und gilt für das gesamte Landratsamt mit den verschiedenen Bereichen, dass weiterhin beraten wird und die telefonische Erreichbarkeit gewährleistet ist. Auch bei dringenden Bürgeranliegen ging es darum, die Zahl der unmittelbaren Kontakte zu reduzieren. Daher haben wir uns auf die dringendsten Angelegenheiten konzentriert. Wenn Anträge postalisch gestellt werden können, war dies weiterhin möglich. Die meisten Anträge werden über den Postweg abgegeben, die entsprechenden Mitarbeiter waren per Telefon zu erreichen. Aber auch im Landratsamt waren Mitarbeiter von der Schließung der Kitas und Schulen betroffen; mussten die Kinderbetreuung neu organisieren oder von zuhause aus arbeiten.

Welche Einschränkungen gibt es derzeit noch in den Verwaltungsbereichen des Landratsamtes, zum Beispiel in der KFZ-Behörde oder beim Bauamt? Wann sind hier Lockerung denkbar?

In der Bauverwaltung gab es keinen Verzug in der Bearbeitung, mit Ausnahme der Unterlagenbeschaffung, bei der es um die Ersatzbeschaffung alter Bauunterlagen geht, die beim Antragsteller nicht vorhanden sind. Und mit der Führerscheinstelle und KFZ-Zulassung wurden zu jeder Zeit berufsbedingt notwendige und unerlässliche Dienstleistungen aufrechterhalten. 

>>>Über die Ausbreitung des Coronavirus und über die Folgen in der Region Döbeln berichten wir laufend aktuell in unserem Newsblog.<<<

Der Zutritt zur KFZ-Zulassungsbehörde ist aktuell nur nach telefonischer Terminvereinbarung oder mit einem online gebuchten Termin gestattet. Ohne Termin erfolgt kein Einlass. Besucher müssen eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen und den Erfassungsbogen zur gegebenenfalls erforderlichen Infektionskettenverfolgung ausfüllen. Es gibt Überlegungen, die Zulassungsstelle weiter zu öffnen.

Gab es auch Betroffene im Landratsamt? Wenn ja, welche Folgen hatte dies für den Betrieb der Verwaltung?

Ja, gab es. Aber das hatte keine Auswirkung auf den Dienstbetrieb.

Die Einschränkungen für die Wirtschaft sind zurzeit immens. Wie wirkt sich die Krise konkret auf die Wirtschaft in Mittelsachsen aus? Haben Sie sich diesbezüglich schon einen Überblick verschaffen können?

Mittelsachsens Wirtschaft ist sehr kleinteilig geprägt. Kleinstunternehmen und Soloselbstständige reagieren sehr individuell auf die Krise. Viele passen sich flexibel den neuen Gegebenheiten an. Die Wirtschaft wird von der Nachfrage bestimmt. Dennoch gibt vor allem der Arbeitsmarkt nach. Über 3.400 kleine und mittlere Unternehmen haben im April Kurzarbeit angezeigt. Davon sind fast 37.000 Beschäftigte betroffen. Diese Zahl sagt aber auch aus, dass die Firmen um ihren Erhalt kämpfen, sie die Arbeitsplätze nicht aufgeben wollen und trotz Kurzarbeit versuchen, diese besondere Zeit zu überbrücken.

Was war für Sie als Landrat in den vergangenen Wochen die größte Herausforderung im Rahmen der Krise?

Das war die dynamische Entwicklung in den vergangenen Wochen. Die unterschiedlichen Aspekte, die es zu beachten gab. Zahlreiche Entscheidungen mussten getroffen werden und das schnell, aber immer unter der Maßgabe der gültigen Rechtssprechung und gesetzlichen Rahmenbedingungen. Wir sind in diesen Wochen immer auf „Sicht“ gefahren und mussten das Handeln den neuen Regelungen anpassen.

Inzwischen formiert sich deutschlandweit auch Widerstand gegen die Einschränkungen aufgrund des Virus. Ist dies auch in Mittelsachsen der Fall? Haben Sie Verständnis für diejenigen, die dagegen protestieren?

Die Versammlungsfreiheit ist in Deutschland ein hohes Gut. Daher steht es jedem zu, es zu nutzen, und ich habe immer Verständnis, wenn Argumente in sachlicher Form geäußert werden.

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