Von Alexander Müller
Eines stand schon seit Dezember fest: Pirnas Waisenhaus ist gerettet. Auf das Areal dieses historischen Gebäudes und der nicht weniger geschichtsträchtigen Immobilien „Liebenausches Vorwerk“ und „Blauer Hecht“ soll das neue Finanzamt Pirna gebaut werden. Alle drei Siegerentwürfe des vorangegangenen europaweiten Wettbewerbs wollten die alte Bausubstanz integrieren. Fraglich war nur noch, wer das Finanzamt am Ende tatsächlich bauen darf.

Auch das ist nun entschieden, es ist das Berliner Büro um den Architekten Philipp Tscheuschler. Er hatte auch den ersten Preis im Wettbewerb gewonnen und hat nun den Auftrag bekommen, das Projekt zu verwirklichen. Gegenüber der SZ erläutert er die Pläne und wie er sie umsetzen will. „Wir versuchen zum einen, ein Maximum an Altsubstanz zu erhalten, zum Anderen bewusst sehr offen mit dem Bestand umzugehen“, erklärt Philipp Tscheuschler.
Sein Team begreife die erhaltenswerten Gebäudeteile als Strukturen, die es weiterzuentwickeln gelte. Der Architekt will fließende Übergänge zwischen Alt- und Neubau schaffen. „Das wesentliche Argument dafür stellt für uns die wechselhafte Geschichte der Gebäude dar, die in ihrer Vergangenheit durch unterschiedliche Nutzungen bereits zum Teil maßgebliche Änderungen in Gestalt und Nutzung erfahren haben“, erklärt Philipp Tscheuschler. Gerade durch diesen Umstand spielten der Denkmalschutz und die Aufarbeitung der (Bau-)Geschichte dieses Ortes, die man beabsichtige weiterzuschreiben, eine große Rolle. „Die Aufnahme dieser Spuren ist für uns ein Thema, das sich bis in die baulichen Details und die Gestaltung der Außenanlagen ziehen wird.“
Konkret heißt das zum Beispiel, dass der Platz, der vom Waisenhaus und der ehemaligen bzw. noch vorhandenen Bebauung nördlich des Vorwerkes gebildet wird, erhalten bleibt. Er soll zum Eingangsbereich für das zukünftige Finanzamt werden. Ein Neubau ist unter anderem direkt an der B 172 geplant. „Verkehrslärm und städtebauliche Aspekte legen einen baulichen Abschluss des Areals nach Norden und damit eine bauliche Ergänzung des Waisenhauses nahe“, beschreibt Philipp Tscheuschler seinen Entwurf.
In Ergänzung zu den Neubauten möchte der Architekt die einstige Gaststätte „Blauer Hecht“, das Hauptgebäude des Liebenauschen Vorwerks sowie Teile des Waisenhauses erhalten. Das dritte Geschoss des Vorwerkes sowie dessen Dach werden wiedererrichtet. Neu- und Altbauten werden so miteinander gruppiert, dass sich drei jeweils um einen Innenhof organisierte Baukörper ergeben.
Der besondere Clou des Entwurfs ist eine gemeinsame, gebäudeübergreifende Dachlandschaft. „Sie vermag es, Alt- und Neubauteile miteinander zu einer durchgängigen Struktur zu verbinden“, erklärt Tscheuschler. Diese Idee war es auch, die die Jury, in der auch Pirnas Oberbürgermeister Klaus-Peter Hanke (parteilos) saß, besonders überzeugt und Philipp Tscheuschler zum Sieger des Architektenwettbewerbs gemacht hatte.
Für Besucher zugängliche Bereiche des Finanzamts sollen im Erdgeschoss der Gebäude angesiedelt werden. Der mittlere der drei Baukörper wird voraussichtlich den Informations- und Besucherbereich aufnehmen. In die Obergeschosse kommen Büros sowie Besprechungs- und Schulungsräume. Der ehemalige Gasthof „Zum Blauen Hecht“ schließlich soll nach Süden hin der städtebauliche Schlussstein des Ensembles werden. Er übernimmt Speise- und Küchenbereich.
Wann die Bauarbeiten beginnen und was das Vorhaben kostet, steht derzeit noch nicht fest. Aktuell wird nach Auskunft des Staatsbetriebs Sächsisches Immobilien- und Baumanagements die Entwurfsplanung erarbeitet. Bauzeiten und Kosten seien Bestandteil dieser Planung und stehen erst nach deren Abschluss fest. Es sei vorgesehen, dass zum Ende dieses Jahres das Gelände beräumt wird. Dieser Maßnahme folge dann ein möglicher Baubeginn im kommenden Jahr. Seine Arbeit könne das neue Großfinanzamt dann möglicherweise ab 2016 aufnehmen.
Architekt Philipp Tscheuschler fühlt sich dieser Herausforderung auf jeden Fall gewachsen. „Mein Bruder und ich leiten ein noch recht junges Büro, das sich im Laufe der letzten Jahre vor allem mit der Bearbeitung von Wettbewerben im europäischen Raum auseinandergesetzt hat.“ Währenddessen habe man als freie Mitarbeiter etablierter Büros in Aachen, Berlin und Wien eine Vielzahl praktischer Erfahrungen bei der Realisierung sehr unterschiedlicher Projekte in den Bereichen Büro-, Wohn-, und Klinikbauten sowie öffentlicher Bauten gesammelt, zum Teil auch mit großem denkmalpflegerischen Bezug.
Diese Erfahrungen bildeten für das Büro die Basis seiner Herangehensweise, die „stets in der innigen Auseinandersetzung mit der Aufgabe“ begründet sei. „Architektur ist für uns keine vorgefertigte Ware von der Stange, sondern Ergebnis eines intensiven Dialoges mit dem Bauherrn und den übrigen Beteiligten.“