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„Das ist Sterben auf Raten“

Das Hotel Goldener Anker in Radebeul ist der typische Fall, wie eine ganze Existenz vernichtet werden kann.

Von Peter Redlich
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Gäste brauchen die Hotels und Pensionen jetzt, um Überleben zu können. Seit März läuft die Saison, bis zum Oktober. In dieser Zeit muss für den mageren Winter vorgesorgt werden.
Gäste brauchen die Hotels und Pensionen jetzt, um Überleben zu können. Seit März läuft die Saison, bis zum Oktober. In dieser Zeit muss für den mageren Winter vorgesorgt werden. © Norbert Millauer

Radebeul. Petra Paul ist adrett gekleidet, weiße Bluse, dunkle Hose. Die 59-Jährige will sich auf den ersten Blick nicht anmerken lassen, was sie innerlich fast zerreißt. Ihr Hotel Goldener Anker am Kötzschenbrodaer Anger ist seit Mitte März geschlossen. 60 Zimmer, 114 Betten – kein Gast.

Normalerweise startet im März die Saison und geht bis Oktober. „In dieser Zeit müssen wir die Rücklagen für den mageren Winter erwirtschaften“, sagt sie. Normal wäre im März Start mit der Whisky-Messe und reichlich Einquartierungen gewesen. Ostern mit guter Belegung wäre gefolgt. Hochzeiten, Bälle, Busse mit Seniorenreisen landen im Goldenen Anker. Monteure und Ingenieure vom Druckmaschinenhersteller KBA nehmen hier Quartier. Wäre, hätte, Corona.

Gleich im Foyer – wer hier rein will, muss sich die Hände desinfizieren, sagt Hotelbetreiberin Petra Paul.
Gleich im Foyer – wer hier rein will, muss sich die Hände desinfizieren, sagt Hotelbetreiberin Petra Paul. © Norbert Millauer

Der Minister vertröstet nur

Im Netz kursiert ein Video, auf dem ist Petra Paul anlässlich des Stühleprotestes auf dem Dresdner Altmarkt im Gespräch mit Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) zu sehen. Gespräch ist untertrieben. Sie fleht ihn an, endlich wieder ihr Hotel öffnen zu dürfen. Ist nahe dran, vor ihm auf die Knie zu fallen. Dulig nennt die Corona-Verordnungen und vertröstet.

Der Goldene Anker gehört nicht zu jenen Pensionen und Hotels, die ohnehin jedes Jahr wirtschaftlich wackeln. Die Zahlen bestehen vor jedem Wirtschaftsprüfer – nur, es muss eben wieder Leben ins Haus kommen. Fast 25.000 Euro Pacht sind jeden Monat zu zahlen. Vom Vermieter gibt es bisher kein Zeichen des Entgegenkommens.

Petra Paul hat erst vor reichlich einem Jahr investiert, in eine moderne Küche, in neue TV-Geräte, Teppiche. Insgesamt 275.000 Euro. Die Rücklagen sind dafür verwendet worden. „Wir erfüllen hier das Haus mit Leben und entwickeln es und zahlen treu unsere Pacht“, sagt sie verbittert. 

Kosten für Strom, Wasser – wenn auch jetzt wesentlich weniger – stehen trotzdem auf der monatlichen Rechnung. Lohnanteile von 2.500 Euro müssen gezahlt werden. Immerhin: Die Stadtwerke Elbtal verlangen derzeit keine Vorauszahlungen. Bis Ende Mai wird der Goldene Anker 460.000 Euro Umsatzeinbuße haben.

Von 28 Mitarbeitern sind 26 in Kurzarbeit geschickt. Mancher der ganz treuen komme trotzdem jeden Tag, unentgeltlich, einfach um mit nach dem Rechten zu sehen, sagt Petra Paul. Zwei Mitarbeiter arbeiten noch stundenweise. Ihr Sohn Roland hat den Flur gemalert. „Wir putzen die Fenster, pflegen die Blumen und die Terrassen – obwohl wir gar nicht wissen, ob das jetzt schon einen Sinn hat“, sagt die verzweifelte Hotelbetreiberin.

50 Prozent Auslastung reichen nicht

„Ein Sterben auf Raten“, nennt Petra Paul das, was möglicherweise für Ende Mai oder Anfang Juni vage in Aussicht gestellt ist. Sie zählt auf, wie die Hygiene in der Hotellerie und im Goldenen Anker erst recht auch ohne Corona einzuhalten war und ist. „Hände waschen und desinfizieren gilt als Grundregel bei uns für alle Mitarbeiter. Gäste sind auf dem Zimmer jeder für sich. 

Wenn ein Paar zu zweit oder eine kleine Familie am Tisch sitzt, setzt sich sowieso niemand mehr dazu.“ All das sei viel mehr auf Abstand und Hygiene bedacht, als etwa in einem Supermarkt. Was solle also die Aussicht, das Haus nur mit 50 Prozent Belegung betreiben zu dürfen. Ein Sterben auf Raten, wenn es keine langfristige Perspektive und dazu Förderung gibt. Gäste statt Kredite, steht auf dem Plakat am Anker.

Es ist wie ein Pflänzchen, von dem man nicht weiß, ob es stirbt oder sich vermehrt. Es gibt derzeit einen Gast im Goldenen Anker. Ein Geschäftsreisender, der sich nur auf dem Zimmer aufhalten darf und das Tablett mit dem Frühstück nach dem Ankreuzen der Speisen am Vorabend gereicht bekommt. „Aufwand und Nutzen stehen hier in keinem Verhältnis“, sagt Petra Paul. „Aber wir machen das, um zu zeigen, es gibt uns noch. Noch.“

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