Von Bernd Dreßler
Wie verläuft eine Lesung mit einer Schriftstellerin, die mit einem in Neusalza-Spremberg handelnden autobiografischen Roman aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges den Nerv vieler Oberlausitzer getroffen hat? Wie gibt sich eine Autorin, die auch in anderen Gegenden Deutschlands in vieler Munde ist? Die Erfahrung bei vielen Lesungen im Oberland und zuletzt in Zittau: Zunächst einmal bleiben keine Stühle leer. Annelies Schulz, die Hauptperson des Abends, sitzt indes bescheiden an ihrem Vorlesetisch und ist beeindruckt, wie viele etwas aus ihrem „Kindheitshaus“ hören wollen. Ein Buch, das sie wohl nie geschrieben hätte, wenn sie nicht nach vielen Schriftstellerjahren in Berlin in ihre Heimat an der Spree zurückgekehrt wäre. Die plötzlich wach werdenden Erinnerungen drängten sie dazu , ihre Kindheitserlebnisse zu Papier zu bringen. Als die Taubenheimerin zu lesen beginnt, werden die Helden des Romans durch die Stimme der 71-Jährigen lebendig, als stünden sie plötzlich zwischen den Bücherregalen. Das Schelmische, das Komödiantenhafte, offenbart sie als ihre große Stärke, wie das schon zu DDR-Zeiten bei ihrem im Eulenspiegel-Verlag erschienenen Roman „Katzenmilchjahre“ der Fall war. Köstlich, als ihr Vater von einer winterlichen Kneipentour ohne Gebiss zurückkehrt und die ganze Familie in der Dunkelheit die Straßen danach absucht, um nicht zum Kleinstadtgespött zu werden. „Weil sie das Heitere beherrscht, ist ihr Buch auch so begehrt“, sagt Frank Stübner vom Bautzener Lusatia-Verlag, ihr Verleger.
Wobei das Traurige des Hitlerkrieges im „Kindheitshaus“ genauso überzeugend zum Tragen kommt, der Roman durch seine gekonnte Balance von Komischem und Tragischem berührt.
Fortsetzung möglich
Als Annelies Schulz vier Kapitel gelesen hat, gibt es nicht nur Beifall, sondern vor allem Diskussionsbedarf. Schließlich ist es nicht alltäglich, dass ein Schriftsteller damit rechnen muss, dass noch lebende Angehörige von Personen reagieren, die im Roman nicht gerade gut wegkommen. Solche Angehörige haben sich in der Tat bei ihr gemeldet und – ihr bescheinigt, dass sie die Charaktere genau richtig gezeichnet hat. Ob Frau Schulz vielleicht eine Fortsetzung schreiben würde, wird sie gefragt. „Wenn es keine „Kindheitshaus“-Lesungen mehr gibt und ich den Kopf wieder frei habe, dann vielleicht“, schmunzelt sie. Und erfreut den ersten Leser in einer langen Warteschlange mit einer persönlichen Widmung: „Mit heimatlichen Grüßen – Annelies Schulz.“