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Das Meißner CSI

Einbrecher, Betrüger, Schläger: Jeder hinterlässt eine Spur. Egal wie klein – die Kriminaltechniker wollen sie finden.

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Von Christoph Scharf

So viel Zärtlichkeit hat der wuchtige gelbe Bolzenschneider wohl noch nie erlebt. Katja Huth wischt mit einer Art Schminkpinsel so behutsam darüber, als wäre das Werkzeug aus Meissener Porzellan. Das kiloschwere Stahlungetüm liegt allerdings nicht in einem Verkaufstresen, sondern auf Folie gebettet auf einem gefliesten Arbeitstisch. Auch die Wände sind gefliest. In der Luft liegt ein strenger Chemikaliengeruch. „Das ist Ninhydrin“, sagt die 37-Jährige. Ein Spray, das in der früheren Jägerkaserne in Zaschendorf gern verwendet wird. Denn dort haben die Kriminaltechniker der Außenstelle Meißen der Dresdner Kripo ihren Dienstsitz. Ninhydrin macht Fingerabdrücke etwa auf Papier, Pappe oder Holz sichtbar. Auf Stahl allerdings nützt es nichts, weshalb Katja Huth beim Bolzenschneider vorsichtig eine andere Chemikalie aufträgt. „Mit dem Adhäsionsmittel holen wir Spuren ans Licht, die vorher unsichtbar waren.“

Eine Kunst, die viel Fingerfertigkeit und Erfahrung bedarf. Jeder Kriminaltechniker bevorzugt dabei eine eigene Chemikalie, außerdem kommen unterschiedlichste Pinsel zum Einsatz. Auf der gelb lackierten Oberfläche tauchen langsam graue Linien auf. „Hier könnte was sein“, sagt Huths Kollege Rico Oehme. Ein mustergültiger Fingerabdruck sieht allerdings anders aus. „Das ist irgendwas Textiles“, sagt der 41-Jährige, „wahrscheinlich ein Handschuh.“

Ganz so dumm hat sich der Täter mit dem Bolzenschneider nicht angestellt. Geschnappt wurde er trotzdem – direkt, nachdem er in einer Gartensparte drei Lauben geknackt hatte. Aber was bleibt der Kriminaltechnik überhaupt noch zu tun, wenn die Kollegen einen Einbrecher auf frischer Tat stellen? „Genug“, sagt Katja Huth. Nach rund 20 Jahren bei der Polizei weiß die Beamtin, dass ertappte Täter vor Gericht meist nur das zugeben, was auch glasklar zu beweisen ist. Und Beweise zu sichern ist die Hauptaufgabe der Kriminaltechniker.

„Ist der Tatort auch noch so klein – wir wollen was finden, um den Täter zu überführen“, sagt Rico Oehme. „Für mich ist das das Schönste an der Polizeiarbeit überhaupt“, sagt der Familienvater aus dem Meißner Umland. Ob nach einem Laubeneinbruch, einem Brand, einem gewalttätigen Übergriff: Wo auch immer er angefordert wird, versucht sich der Polizist in den Täter hineinzudenken. Was hat ihn angetrieben? Wie ist er vorgegangen? „Die höchste Belohnung ist es, genau dort Spuren zu finden, wo man sie erwartet.“

Bei einem Bolzenschneider ist das nicht so schwierig, wie in den Ruinen eines abgebrannten Hauses. Denn der 41-Jährige hat sich auf die Tätigkeit als Brandursachenermittler spezialisiert. Gerade in Meißen gab es da zuletzt genug Arbeit. Seine Kollegin hat ihren Schwerpunkt woanders gesetzt: im Anfertigen von Phantombildern. Für alles gibt es bei der Polizei Lehrgänge. Man muss nur das Glück haben, einen Platz zu ergattern. Gelernt wird das Zeichnen von Phantombildern noch immer mit Stift und Papier. Tatsächlich arbeitet man heute aber meist mit dem Computer, der den Zeugen bei der Vernehmung schmale und breite Wangen, dicke und dünne Augenbrauen, lange und kurze Nasen anbietet. Einfacher macht das die Sache trotzdem nicht. Viel Fantasie und Einfühlungsvermögen brauchen die Ermittler noch immer. „Jeder Zeuge ist anders, darauf muss man stets eingehen.“ Denn während die Kriminalität für die Polizisten Alltagsarbeit ist, können selbst kleine Delikte den Betroffenen schwer mitnehmen. „Für manchen Kleingärtner bricht eine Welt zusammen, wenn jemand in seine Laube eingestiegen ist“, sagt Rico Oehme. Viel schlimmer ist das noch bei Wohnungseinbrüchen: Die Kriminaltechniker hatten mit Fällen zu tun, in denen schlafende Bewohner von Einbrechern überrascht wurden. „Einmal war ein kleiner Junge darunter, der musste anschließend in psychiatrische Behandlung.“ Mancher Fall macht auch den Ermittlern selbst zu schaffen – wenn etwa nach einer versuchten Vergewaltigung und Misshandlung die Wunden der Frau und die Fingernägel des Täters unter die Lupe zu nehmen sind. „Man darf das nicht zu nah an sich ran lassen“, sagt Katja Huth. Trotzdem hatte die 37-Jährige nie einen anderen Wunsch, als Kriminaltechnikerin zu werden. „Das liegt wohl im Blut. Schon mein Opa war bei der Kripo.“ Zur Motivation trägt auch bei, dass kein Arbeitstag wie der andere ist. So kamen jetzt etwa die Gerätschaften auf den Untersuchungstisch, mit denen in Klipphausen und anderswo versucht wurde, die Daten von Tankkarten auszuspähen. Das Alltagsgeschäft allerdings sind Einbrüche – etwa in Kindergärten, Vereinshäuser, Arztpraxen. Die Beweismittel stapeln sich in braunen Papiertüten im Büro der Kriminaltechniker. Nach Langeweile sieht das nicht aus. Kein Wunder, wenn das Einsatzgebiet der Meißner von Niederwartha bis zur brandenburgischen Landesgrenze und von Nossen über Riesa bis Radeburg reicht. Trotz der weiten Wege fahren die Fahnder kaum mit Blaulicht. Denn die Kriminaltechniker kommen erst zum Einsatz, wenn sie durch Polizisten, die schon am Tatort sind, angefordert werden. Deswegen gibt es für sie keine regulären Nachtschichten, sondern normale Früh- und Spätdienste und nächtliche Rufbereitschaft. Besonders schnell geht es aber leider auch mit den Ergebnissen nicht. Während Krimizuschauer bei den Ermittlern der Serie CSI die Lösung in 45 Minuten erwarten, dauert es im echten Leben auch Wochen oder Monate. Unter Umständen sogar noch länger – etwa wenn ein Fingerabdruck auftaucht, der passende Täter aber erst Jahre später in einem anderen Fall erkennungsdienstlich behandelt wird. Und auch im Fall des gelben Bolzenschneiders bleibt es spannend: Mal sehen, ob die Richter mit den nachgewiesenen Spuren zufrieden sind.

Im nächsten Teil lesen Sie: Rudi sorgt für Ruhe – auf Streife mit der Polizei-Reiterstaffel.